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Der Volmer-Erlaß (»Im Zweifel für die Reisefreiheit«) machte zwar formal keinen Unterschied zwischen den Adressaten. Aber soll es wirklich ein Zufall sein, daß beispielsweise an den deutschen Botschaften im Nahen und Mittleren Osten die Visa-Antragsteller weiterhin strengen Überprüfungen unterworfen wurden? Nein, die Gesamtlinie blieb restriktiv, doch im Umgang mit Staaten, die bewußt aus der Einflußsphäre Rußlands an den »Westen« herangeführt werden sollten, ermöglichte der Erlaß eine großzügigere Vi-sapraxis. Er wurde also gezielt als Mittel einer expansiven deutschen und EU-Außenpolitik angewandt. Die Ukraine, noch dazu mit ihren Bodenschätzen, ist ein Nachfolgestaat der UdSSR, auf den der Westen besonderen Wert legt. Wenn nun bekannt geworden ist, daß der Volmer-Erlaß auch an den deutschen Botschaft in Moldawien, Weißrußland oder Albanien bewirkt hat, daß deutlich mehr Visa erteilt wurden, paßt dies durchaus ins Schema. Von diesen und anderen Hintergründen ist nicht die Rede. Statt dessen verkommt die Berichterstattung über die »Affäre« zu einem Wettlauf der Journalisten, wer als erster welches hochwichtige Dokument aus den Akten zugespielt bekommt und veröffentlicht. Immerhin kann man auf diese Weise erahnen, welche Journalisten gute Beziehungen zur CDU/CSU pflegen und demgemäß mit Aktenstücken bedient werden und an welche Magazine sich unzufriedene Ministerialbeamte wenden, wenn sie, um sich an ihren Chefs rächen, mehr oder weniger Brisantes aus den Aktenablagen ihrer Behörden herausgeben – wegen unterdrückter Karrierechancen oder wegen des erregenden Gefühls, den Regierungswechsel 2006 mit zu organisieren. Die übliche Gegenstrategie der Regierenden, immer mehr Unterlagen als »vertraulich« und »nur für den Dienstgebrauch« zu stempeln, nützt dagegen gar nichts, sondern erhöht eher den Warenwert der verkauften Information. So dürfen wir seit Wochen auch in als liberal geltenden und regierungsfreundlichen Blättern unentwegt lesen, welches Schreiben von wem an welchem Tag sich mit vermeintlichem und echtem Visa-Mißbrauch befaßt hat, wer wen frühzeitig gewarnt hat, wer an wen Durchschläge von alledem gesandt hat. Die Absicht ist, Wissen und damit Verantwortung zuzuweisen. Ein Beispiel dafür bot die Karwoche. Nachdem eine Provinzzeitung am 23. März 2005 damit aufgemacht hatte, fand sich die Meldung am selben Tag in allen online-Magazinen und am nächsten Tag in den Printmedien: Fischer habe schon im Jahre 2000 von den Vorgängen in Kiew gewusst. Beweis: ein Schreiben von ihm an das Kanzleramt. Das Dementi des AA kam prompt: Das Schriftstück, das irgendjemand einem der zahllosen Berliner Journalisten überlassen hatte, war nur ein Entwurf, der nie abgeschickt worden ist. Beweiswert daher gleich null. Manchmal hat man eben Pech mit seinen Informanten. Der Kleinkrieg um Faxe, Kopien und Entwürfe ist Teil einer klaren Strategie der Opposition und vieler Medien. Die Visa-Affäre hat am Image von Joseph Fischer als dem großen Zampano der deutschen Außenpolitik kräftig gekratzt. Welche Ironie der Geschichte! Ein Außenminister, der einst zu den größten Kritikern einer Militarisierung der Außenpolitik gehörte, verrät seine Ideale und führt völkerrechtswidrige Kriege. Er tut das Gegenteil dessen, was in seinen Wahlprogrammen versprochen wurde. Das alles hat ihm – dank bisheriger Unterstützung der Medien – bei der breiten Masse nicht geschadet, laut Umfragen soll er zum beliebtesten deutschen Politiker aufgestiegen sein, und ausgerechnet eine Fehleinschätzung dessen, was Konsularbeamte an Auslandsvertretungen zu tun haben, reicht nun, um ihn rasch abrutschen zu lassen. Eine Petitesse. Da Fischer aus seinem Imageverlust nicht mehr herauskommt, gilt es für die Opposition, als nächstes den Skalp von Otto Schily zu erobern. Über den »roten Sheriff« haben sich CDU/CSU-Politiker schwarz geärgert, weil die Politik, die er machte, so konservativ, sl autoritär war, daß sie ihn nicht mehr rechts überholen konnten. Der Habitus des starken Mannes in gefährlichen Zeiten hat Schily vielleicht nicht populär gemacht, aber doch in den Augen großer Teile der Bevölkerung zur Respektsperson werden lassen. Nun kann man, wenn man genug belastende Dokumente in den Akten des Innenministeriums findet, ihm wenigstens nachweisen, daß er in der Visa-Affäre untätig geblieben ist, und zwar wider besseres Wissen. Aber damit nicht genug. Die entscheidenden Zehntelprozente, um die der Stimmenanteil von Rot/Grün bei der Bundestagswahl zurückgehen soll, hofft die Springer-Presse (im Verein mit anderen Blättern und Sendern) holen zu können, wenn auch noch die Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers persönlich klargestellt wird. Das Szenario: Fischer und Schily streiten, der Kanzler entscheidet, daß Schily Ruhe bewahren muß. Wenn dieser (naheliegendene) Ablauf bewiesen ist, hat der Ausschuß aus Sicht der CDU/CSU seine Schuldigkeit getan. Dabei bräuchte man das Staatstheater, das allwöchentlich im Europa-Saal des Paul-Löbe-Hauses aufgeführt wird, nicht, um wesentliche Fakten zu benennen: Bei extrem unterschiedlichen Verdienstmöglichkeiten etwa im Vergleich zwischen der Ukraine und der EU versuchen osteuropäische Lohnabhängige selbstverständlich, ihre Arbeitskraft zu höherem Lohn zu verdingen. Das Zuwanderungsgesetz, ein lächerliches Monster der Bürokratie, schafft dafür kein Ventil. Noch so restriktive Visabestimmungen und noch so dicht abgeschottete Grenzen nützen nichts. Die Migration hält an – vor, während und nach der Visa-Affäre. Echten Schaden haben die jungen Frauen davongetragen, die – das ist nachgewiesen – in Deutschland gezwungen wurden, sich zu prostituieren. Diese abscheuliche Gewalt gegen Frauen ist aber nicht erst durch den Volmer-Erlaß entstanden, und die deutsche Politik hat bisher wenig dagegen unternommen. Ausgebeutet wurden diejenigen, die 500 Dollar an die (meist aus den Kreisen der Spätaussiedler stammenden) »Reisebüros« in Deutschland zahlen mußten, um ein Touristenvisum zu bekommen. 500 Dollar sind in der Ukraine ein Vermögen. Soweit die Betroffenen dann in der BRD Arbeit fanden, mußten sie auch noch von den Dumpinglöhnen einen Teil an die Vermittler abführen. Bereichert haben sich neben den »Schleusern« die Unternehmen, die die rechtlosen Arbeiter aus der Ukraine ausgebeutet haben. Von Strafverfahren gegen diese Firmen wegen Steuerhinterziehung oder Vorenthaltung von Sozialbeiträgen ist nirgends die Rede. Das ist ein echter Skandal! Schwarzarbeit, über die man sich jetzt künstlich aufregt, ist in der Tat ein beachtlicher Wirtschaftsfaktor; durch die Einreisen aus der Ukraine hat sie kaum zugenommen. Über 90 Prozent aller mit deutschem Visum eingereisten Arbeiter fuhren weiter nach Portugal und Spanien. Portugal brauchte wegen seines Baubooms noch zusätzlich 25 000 Bauarbeiter aus Brasilien. Dies bekundete im Ausschuß sogar der medienbewußte Kölner Oberstaatsanwalt Egbert Bülles, der mit seinen Prozessen gegen »Schleuser« die Affäre ins Rollen brachte und am liebsten die ganze Bundesregierung auf der Anklagebank sähe. Trotz seines Verfolgungseifers konnte Bülles weder deutsche Firmen benennen, gegen die er oder andere Staatsanwaltschaften ermitteln, noch die Zahl der Personen angeben, die tatsächlich in der BRD mit einem Visum aus Kiew schwarz gearbeitet haben. Doch Fischer, Schily und Schröder werden keine nüchterne Betrachtung und Bewertung dieser Fakten mehr erreichen. Zu dilettantisch war ihr Krisenmanagement. Die CDU/CSU punktet mit dem Thema, indem sie Ausländerfeindlichkeit und Sozialneid bedient. Fischer versuchte, sich hinter angeblichen Fehlern einzelner Beamter zu verstecken. Die politischen Zusammenhänge hat er bis heute nicht offensiv erklärt. Vor einer Aussage im Untersuchungsausschuss drückt er sich wegen der Wahl in NRW. Die rot/grüne Bundesregierung hätte ihren Absturz verdient. Mit ihrer Kriegspolitik und dem von ihr verantworteten Sozialabbau hat sie ihn selbst verschuldet. Es sagt viel aus über den Zustand der politischen Kultur in der BRD, daß Opposition und Medien sie nicht deswegen, nicht wegen der eklatanten Widersprüche zum eigenen Programm stellen, sondern wegen dieser von ihnen mit fremdenfeindlichen Ressentiments aufgeblähten abseitigen Affäre.
Erschienen in Ossietzky 7/2005 |
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