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Es geschah voriges Jahr in Redfern, einem Bezirk im südlichen Zentrum von Sydney: TJ Hickey (17), schwarz, fiel von seinem Fahrrad auf eine Zaunspitze. Von ihr durchbohrt starb er bald danach im Spital. Die Polizisten schworen, daß sie absolut nichts damit zu tun hatten. Doch jetzt sagt Paul Wilkinson, Aboriginal Community Liaison Officer (ACLO), eine Art Hilfspolizist, daß Constable Michael Hollingsworth, auch als Mad Mick bekannt, zuvor angekündigt habe: »Wir werden alle ›Coons‹ (anderswo würde man »Nigger«sagen; M.W. ) erschießen.« Und nachher habe Mad Mick einer Freundin erzählt: »Wir haben diesen TJ verjagt und ihm mit unserem Polizeiwagen einen guten Schubs gegeben.« Warum hat ACLO Wilkinson nicht früher ausgepackt? Jemand habe sein Auto verbrannt, erklärt er. Ein Kollege habe ihn besucht und gewarnt: »Sowas wie dem TJ könnte auch dir passieren.« Wilkinson wurde in Streß-Kur geschickt. Mad Mick wurde befördert. Der Premier des Landes New South Wales, Bob Carr, hält eine neue Autopsie für unnötig. Der Fall ist, so Carr, abgeschlossen. Die Jugendlichen, Schwarze und Weiße, die in den Tagen nach TJs Tod (sie sprachen von Mord) die Polizei mit Steinen und Flaschen angriffen, seien Kriminelle. Drogensüchtige. Frank Sartor, zur Zeit Minister, hofft der nächste NSW-Premier zu werden. Er sagte, vielleicht etwas unvorsichtig, zur Australian Financial Review , einer Zeitung für Geschäftsleute, bald würden in Redfern keine schwarzen Ureinwohner mehr wohnen. Diese Gegend sei eine Spitzenlage, bestens geeignet für die südliche Ausdehnung des zentralen »Business District« der Stadt. Aber Ken Morrison, Geschäftsführer des australischen Immobilien-Verbandes in NSW, wandte ein: »So lange noch die Aborigines im ›Block‹ wohnen, sind private Kapitalgeber daran nicht interessiert.« Die Ureinwohner und überhaupt die »schwierigen Jugendlichen« sollen weg. Wohin? Nun, zum Beispiel in die weit (50 Kilometer) vom Zentrum entfernten Vororte, in solche öffentlichen Siedlungen wie Macquarie Fields. Dort kann man sie vergessen. Man konnte es jedenfalls bis vor kurzem. Denn es gibt nur wenige Verkehrsverbindungen, und die sind teuer. In der Nähe findet man auch kaum Arbeit. Die sozialen Einrichtungen erhalten von Jahr zu Jahr weniger Geld. Die abgeschobenen, in solchen Siedlungen konzentrierten »Problemjugendlichen« werden immer schwieriger. Und organisieren sich. Bilden Gruppen. In Macquarie Fields mietete eine solche Gruppe ein zerfallenes Haus, reparierte es, wohnte dort. Die Jugendlichen halfen anderen, fütterten Obdach- und Arbeitslose – an die hundert Menschen, sagte mir Peter Perkins, Großvater von Jesse Kelly (20), einem der Organisatoren dieser Macquarie Fields Boys. Ich fragte Perkins: »Wie haben die das finanziert?« Perkins: »Manche hatten Gelegenheitsjobs, hätten gern bessere gehabt, suchten. Manche – natürlich – handelten mit Drogen. Stahlen Autos.« Peter Perkins (55), ein politisch aktiver Motormechaniker, erklärte mir: »Diese Jugendlichen leben in einer anderen Welt. Sie sind von der Konsumgesellschaft ausgeschlossen, sehen Besitztum anders. Haben ihre eigene Logik. Sie teilen, teilten, alles – ›alle für jeden; jeder für alle‹.« Offiziell, den Medien und der Obrigkeit zufolge, war in Macquarie Fields am Freitag, 25. Februar, alles in Ordnung, bis kurz vor 23 Uhr ein angeblich gestohlenes Auto gegen einen Baum fuhr. Zwei jugendliche Insassen, Matthew Robertson (19) und Dylan Raywood (17), starben. Manche im Ort meinen, die Polizei habe das Auto gerammt. Sie bestreitet das. Sicher ist, daß sie den Wagen mit hoher Geschwindigkeit innerhalb der Ortschaft verfolgt hatte. Eigentlich nichts Besonders. Allein in NSW (aus den anderen fünf Bundesstaaten und zwei Territorien fehlen die Zahlen) sind in den letzten zehn Jahren mindestens 61 Menschen bei Hochgeschwindigkeitautojagden der Polizei gestorben. Zwei davon waren Polizisten, mindestens neun Fußgänger. Aber was jetzt Macquarie Fields bekannt machte, war die Tatsache, daß der Fahrer, Jesse Kelly, entkam. Und daß sich 70 oder mehr Leute um das Auto sammelten und, fast sofort, die Polizei angriffen. Statt ihr, wie sonst in Australien üblich, bei Rettungsmaßnahmen zu helfen. Auch in den nächsten Tagen wurden Polizisten in Macquarie Fields wiederholt »angegriffen« – Einwohner nannten es »Verteidigung gegen Übergriffe«. Polizei-Hundertschaften durchkämmten die Siedlung, »unterstützt« von einem Hubschrauber, Pferden, Hunden. Dutzende von Jugendlichen (die Aussagen des NSW-Polizeiministers Carl Scully sind unklar, die Angaben schwanken zwischen 38 und 62) wurden festgenommen, verhaftet. Darunter Brüder und andere Verwandte der beiden toten Jungen. Sogar während deren Totenwache. Die Fahndung nach Jesse Kelly blieb erfolglos. Aus seinem Versteck heraus versuchte er gemeinsam mit Freunden, seine Version den Medien und der Obrigkeit nahezubringen, die jedoch, außer in Stellungnahmen der Grünen und Artikeln der Green Left Weekly , »nur verdreht und verspottet wiedergegeben« wurde – eine Erfahrung der Jugendlichen, die vielleicht erklären kann, warum später auch Fernseh-Teams und zuletzt einige Journalisten angegriffen wurden. Was die Jugendlichen aus Macquarie Fields zu erklären versuchten, war vor allem dies: Die polizeiliche Null-Toleranz-Methode, vor mehreren Jahren aus New York importiert, sei für sie seit Monaten ein ständiger Angriff auf ihre Gruppe und ihr ganzes Leben gewesen. »Wir werden verfolgt, festgenommen, zusammengeschlagen, ohne einem Grund, ohne Anklage, wieder freigelassen. Unser Haus, auch andere Wohnungen, werden wiederholt (von der Polizei) überfallen, durchsucht, durchwühlt, mit oder ohne Durchsuchungsbefehl, ohne Erklärung. Die Hetzjagd am 25 Februar war der letzte Tropfen. Noch dazu zwei tote Kumpel…« Premier Carr bestätigt diese Vorwürfe im Kern: »Ja, diese Null-Toleranz-Methode bedeutet, daß die Polizei auch präventiv vorgeht. Wir setzen solche Gegenden, die aus polizeilicher Sicht problematisch sind, unter ständigen Druck.« Diese Methode wurde schon lange vor dem 25. Februar gegen die Macquarie Fields Boys, ihr Haus, ihre Selbstorganisation angewendet. Für die Obrigkeit, speziell für diese NSW-Regierung, ist eine solche Gruppe ein Greuel. Eine Gang. Ein krimineller Kern. So etwas mußte von vorn herein zerstört werden. Am 9. März – nach Verhandlungen mit Polizeikommissar Ken Moroney – stellte sich Jesse Kelly freiwillig der Polizei, belastet mit zahlreichen Anklagen, darunter auch Totschlag. Aber im Kittchen sieht man ihn ganz anders. Schon kurz nach dem 25. Februar hatten viele Hunderte Gefangene in vier Sydneyer Gefängnissen ihre $ 12 wöchentliches Spesengeld für die Begräbniskosten der beiden Toten gespendet. Der Baum des Autounfalls wird von der Lokalbevölkerung als Gedenkstätte gepflegt wie ein Heiligtum. Vor fünf Jahren schrieb Michael Kennedy an der Universität eine Studie über die damals noch ganz neue »Null-Toleranz-Methode. Kennedy war selbst mehr als 15 Jahre lang (1981-1996) Polizeidetektiv im Westen Sydneys gewesen. Seine These konzentrierte sich darauf, mit welchem »Erfolg« diese Methode in den arabischsprechenden libanesischen Gemeinschaften Sydneys angewandt wurde und wie sie sich auf die Polizeiarbeit auswirkte. Die Gemeinschaften, die vorher öfters bereit gewesen sein, der Polizei zu helfen, seien durch die massiven Polizei-Einsätze weitgehend »entfremdet« worden und hätten sich mit ihren Jugendlichen, auch den kriminellen, solidarisiert, stellte er fest. Viele Polizisten, die »guten«, hätten den Dienst verlassen; viele andere seien in langwierige Streß-Kuren gegangen. Kennedy sieht heute eine ähnliche Entwicklung, hofft auf mehr Verständnis, auf eine Umkehr, »bevor es zu spät ist«. Die heutige »kriegsähnliche« Null-Toleranz-Methode der Polizei, die den Ökonomischen Rationalismus auf einen Bereich des Regierungshandelns übertrage, lasse um die Zukunft fürchten. Ökonomische Rationalisten reden jetzt davon, die Siedlung Macquarie Fields »abzubauen«. Aber wohin dann mit den Einwohnern? Zum Schluß sei noch kurz erwähnt, zu welchem Ergebnis die staatsanwaltliche Untersuchung des »Unfalltods« des 36jährigen Schwarzen Cameron Domagee auf Palm Island im Bundesstaat Queensland führte ( Ossietzky 25/04). Nach diesem Todesfall waren die Polizeistation und ein Wohnheim für Polizisten niedergebrannt worden. Die Untersuchung ist in prozedurellen Schwierigkeiten stecken geblieben. Domagee sei, so die Polizei, ein paar Treppenstufen vor dem Revier heruntergefallen und habe sich dabei vier Rippen gebrochen, außerdem seien Milz und Leber verletzt worden. Er starb kurz danach im Kittchen. Palm Island, ursprünglich als eine Gefängnisinsel für Aborigines gedacht, ist, wie mir ein Landespolitiker des Staates Queensland sagte, »viel zu gut für diese ›Boongs‹«. Die schöne Insel könne für gutes Geld »developed« werden.
Erschienen in Ossietzky 7/2005 |
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