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Jan Philipp Reemtsma, Sozialforscher. – Wieder einmal haben Sie sich mit der »Roten Armee Fraktion« auseinandergesetzt, diesmal in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung . Ihre Deutung des Phänomens: »Gewalt verspricht die Wonnen der Unterkomplexität. Wer sich an die bürgerliche Gesellschaft einigermaßen anpaßt, findet andere Möglichkeiten, das Bedürfnis nach Unterkomplexität immer mal wieder zu befriedigen, ohne zur Gewalt zu greifen: Er geht campen, er sieht Actionfilme an.« Der Interviewer, FAZaS -Redakteur Thomas Schmid, wollte von Ihnen noch wissen, ob eine geistige Verwandtschaft zwischen RAF-Gewalttätern und im KZ tätigen SS-Männern bestehe. Sie bestätigten diese Vermutung: »Ich sehe da eine parallele Befindlichkeit.« Also lassen sich auch die Verbrechen der Nazis unterkomplexologisch interpretieren. Actionfilme hätten sie sich anschauen sollen, die Himmler, Heydrich & Co.

Peter Struck, Minister für Militäreinsätze. – Unklar ist die Anrede Ihres Briefes an die Witwe des Nazi-Fliegers Mölders: »Hochverehrte Frau«. Gilt diese ungewöhnliche Ehrerbietung den Taten des Mannes, der als »Legion Condor«-Pilot bei der Bombardierung von Guernica Killer-Ruhm erworben hat? Oder ist sie als Annäherung an die Nazi-Formel »Hohe Frau« zu verstehen, wie sie gegenüber der Angetrauten des Oberfliegers Göring geboten war? Oder hat sich Frau Mölders durch humanitäre Wiedergutmachung an den Opfern ihres Mannes Respekt verdient? Davon hat die Öffentlichkeit bisher nichts erfahren.

Hans Overdiek, Vorstandsvorsitzender, Firma Pfleiderer. – Sie geben den neuen Ton im Betrieb an: Wenn die Belegschaft nicht spurt und innerhalb von vier Tagen je Woche 40 statt 35 Stunden arbeitet, selbstverständlich ohne Mehrbezahlung, steigt Pfleiderer aus dem Arbeitgeberverband aus. Dann gibt es keinen Tariflohn mehr, und die 3400 Mitarbeiter in Deutschland können sehen, was aus ihnen wird. Sie haben ja schon im polnischen Grajewo und im russischen Nowgorod neue Produktionsstätten bauen lassen. Die Süddeutsche Zeitung merkt an, der Kasernenhofton herrsche auch zwischen den Aktionären und Ihnen. Müssen Sie Ärmster gleichfalls um Ihren schönen Arbeitsplatz bangen?

Erschienen in Ossietzky 6/2005