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Sex und Politik versprach Berlinale-Chef Dieter Kosslick als thematische Schwerpunkte seines diesjährigen Programms. Beides verbindet auf unterhaltsame, manchmal auch komische Weise eine Hollywood-Produktion, die zugleich Aufklärung vermittelt, was sonst nicht gerade eine Spezialität der marktdominierenden US-Zelluloid-Importe ist. Der schlichte Titel »Kinsey« mag manchen erst einmal gar nichts sagen, und wer sich des Verfassers eines bei seinem Erscheinen 1948 Furore machenden Bestsellers, »Das sexuelle Verhaltern des Mannes«, erinnert, könnte vielleicht Ähnliches erwarten wie weiland kassenträchtige Oswald-Kolle- oder Sex-Report-Serien. Regisseur Bill Condon segelt zwar auf der Welle gerade modischer »bio-pics« (»Aviator«, »Ray«, »De-Lovely«, »Beyond the sea« et cetera), verzichtet aber auf Sentimentalität, Show- und Glamour-Effekte wie auch spekulative Sexszenen. »Kinsey hat die Art und Weise verändert, wie man in Amerika über Sex denkt und wie wir darüber reden, doch als Mann ist er fast völlig in Vergessenheit geraten.« Die von Condon festgestellte Veränderung muß man freilich relativieren. Denn trotz der zeitweiligen »sexuellen Revolution« der 68er und aller heutigen optischen, merkantilen und televisionären Sexualisierung wird über Intimstes noch immer keineswegs so offen geredet wie über andere Dinge des Alltags. In den USA ist die Rückkehr zu puritanischer Verklemmtheit inzwischen schon ideologischer Mainstream. Religiöse Fundamentalisten hetzen gegen den Film, obwohl auf sie wahrscheinlich nicht weniger zutrifft, was Kinsey in seinem ersten Report herausfand: daß die Hälfte aller Ehemänner Affären, 37 Prozent homosexuelle Erfahrungen haben und 92 Prozent masturbieren. Nirgends gibt es so viel Heuchelei wie beim Thema Sex. Ausgerechnet der sein eigenes Schwulsein panisch verbergende FBI-Chef Edgar Hoover verfolgte den Forscher, weil dieser sich weigerte, Homosexuelle zu denunzieren. Nachdem Kinsey 1953 seinen zweiten Report, »Das sexuelle Verhalten der Frau«, veröffentlicht hatte – ein noch stärkerer Tabubruch –, nahm die Diskriminierung zu. Bush-Freund Billy Graham predigte gegen den Sittenverderber, und McCarthy-Schnüffler deuteten an, daß Kinsey unter kommunistischem Einfluß stehe und Teil eines Komplotts zur Schwächung des amerikanischen Wertesystems sei. Als Folge stoppte die Rockefeller-Stiftung 1954 ihre für seine akademische Forschung notwendigen Subventionen. Erst 62, starb Kinsey zwei Jahre später an Herzversagen. Daß er in den Sixties mit wissenschaftlichen Pionieren wie Galileo und Darwin verglichen wurde, hat er nicht mehr erlebt. Jetzt wird seine Leinwand-Verkörperung durch Liam Neeson zu einem Toleranzplädoyer, das in den USA neben Michael Moores »Fahrenheit 9/11« als politischster Film des letzten Jahres gilt. Deutscher Start: 24. März. Zwei Wochen später, am 7. April, kommt ein dokumentarischer Berlinale-Beitrag in unsere Kinos. »2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß« ist ein ungewöhnlicher Beitrag zu dem Thema »Täterkinder«, das von Betroffenen schon mehrfach in Büchern abgearbeitet wurde. Neu ist, daß bei der Suche des Regisseurs Malte Ludin nach den Spuren seines 1947 in Bratislava als Kriegsverbrecher hingerichteten Vaters die ganze Familie bis hin zu Schwägern und Neffen einbezogen wurde. Hanns Ludin, Jahrgang 1905, diente bis 1930 als Offizier in der Reichswehr. Wegen nationalsozialistischer Umtriebe wurde ihm der Prozeß gemacht, zusammen mit seinem Kameraden Richard Scheringer, der sich danach zum Kommunismus bekehrte. In der Nazizeit hielt der inzwischen zum hohen SA-Führer avancierte Ludin seine schützende Hand über Scheringer, was der Film nicht erwähnt, aber zur Ambivalenz mancher Biografien jener Zeit gehört, die ja auch ihren »Alibijuden« hatten. Ludin aber wurde mitverantwortlich für die Judenvernichtung. Als deutscher Gesandter in Hitlers Vasallenstaat Slowakei übermittelte er dem Marionettenregime die Deportationsbefehle aus Berlin. Malte Ludin hat als 1942 geborenes jüngstes von sechs Geschwistern seinen Vater kaum gekannt und konnte so, geprägt von den Auseinandersetzungen der 68er mit der Elterngeneration – er studierte damals in Berlin am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität und der Deutschen Film- und Fernsehakademie –, relativ unbefangen an sein schwieriges Filmprojekt herangehen. Kontroversen mit den drei älteren Schwestern waren vorprogrammiert, sind sie doch noch enger mit der Mutter aufgewachsen, die in ihrem Mann einen zu Unrecht verurteilten »edlen« Nazi sah. Schwester Barbel wollte ursprünglich gar nicht vor die Kamera und wehrt sich oft vehement gegen insistierende Fragen des Bruders: »Als Täterkind sehe ich mich natürlich nicht. Aber ich sehe mich als Kind eines... auch eines Opfers dieser schrecklichen Zeit.« Den Kontrapunkt setzt Maltes Begegnung mit dem Schriftsteller Tuvia Rübner, dessen Eltern und Geschwister deportiert und ermordet wurden. »2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß« ist ein emotionales Familiendrama über Verdrängung und Verschleierung, exemplarisch, denn, so Malte Ludin: »Was ich erzähle, findet sich, vielleicht nicht so zugespitzt, in sehr vielen anderen, ganz normalen deutschen Familien auch.« Der liebevolle Vater und Ehemann Hanns Ludin überlebte als hoher SA-Führer 1934 den sogenannten Röhm-Putsch, der in einem anderen Berlinale-Beitrag zum Thema Sex und Politik eine Rolle spielte. Schließlich war er auch nicht homosexuell wie viele der damals Exekutierten. Regisseur Rosa von Praunheim schlägt in seiner Dokumentation »Männer, Helden und schwule Nazis« einen Bogen zur Gegenwart, indem er darauf hinweist, daß es, während Glatzen nicht nur Ausländer, sondern auch »Homos klatschen«, in der rechtsradikalen Szene Schwule gibt, von denen bei ihm auch einige zu Wort kommen. Praunheim, ein Pionier des emanzipatorischen »Gay Movement«, der heute an der Babelsberger Filmhochschule lehrt, zitiert in einem Kommentar den Journalisten Rainer Fromm mit der Schätzung, »daß 10-15 Prozent der Führungsmitglieder von Neonazi-Parteien Homosexuelle sind, deren Schwulsein intern geduldet wird«. Kurz vor seinem Aids-Tod Ende der achtziger Jahre schrieb der bekannte Neonazi Michael Kühnen noch, daß schwule Männer die besseren Kämpfer seien, denn ohne Familie seien sie unabhängiger und tapferer. Für die aktuelle NPD-Debatte mag dies alles nicht mehr als ein Beleg für rechtsradikale Doppelzüngigkeit sein. Jedenfalls ist es ein weiterer Beweis für die aufklärerische Funktion des Dokumentarfilms. Um so erfreulicher, daß dieses Genre zunehmend einen Platz in unseren Kinos findet.
Erschienen in Ossietzky 6/2005 |
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