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Wir können dabei auf Scheidemanns Schriften aus dem Exil zurückgreifen, die erst 2002 das Licht der Öffentlichkeit erblickten – gegen den Willen des SPD-Parteivorstands. »Der Feind steht rechts! Arbeiter, seid einig!« Schon am 7. Oktober 1919 verkündete Scheidemann diese Parole vor der Nationalversammlung. Man habe ihn daraufhin »ausgelacht wegen Schwarzseherei« und ihm »die weitere Beteiligung an der ›Führung‹ der Partei direkt verekelt«, vermerkte Scheidemann anderthalb Jahrzehnte später in Kopenhagen. Er, der am 9. November 1918 vom Balkon des Reichstages gegen den Willen vieler seiner Parteifreunde um Friedrich Ebert die freie deutsche Republik ausgerufen hatte, verteidigte im dänischen Exil noch einmal seine Demission als Ministerpräsident im Juni 1919. Scheidemann war nicht bereit, dem Friedensvertrag von Versailles zuzustimmen, der, wie er befürchtete, den antirepublikanischen Geist in der Nationalversammlung und die heimlichen Querverbindungen zu den zahlreichen rechtsradikalen Kampfbünden stärken würde. Er sollte Recht behalten. Damals aber versagte er sich offene Kritik an seiner Partei und an Ebert. Seine Parteikarriere war beendet. Er zog sich in die Provinz zurück und übernahm das Amt des Oberbürgermeisters seiner Heimatstadt Kassel. Allerdings gehörte er weiterhin dem Reichstag an. Dort deckte er die geheimen Rüstungen der Reichswehr auf. Verhaßt bei der Rechten wie kaum ein anderer flüchtete er im Februar 1933 nach Prag. Im August 1934 wählte er Kopenhagen zum Exilort. Dort starb er im August 1939, wenige Monate bevor die deutsche Wehrmacht Dänemark besetzte. Dem kleinen zu Klampen Verlag gebührt das Verdienst, daß nach fast 70 Jahren die Schriften aus dem Exil endlich gedruckt wurden – nach langen juristischen Streitigkeiten und der Weigerung der SPD-Parteileitung, die Aufzeichnungen zu veröffentlichen. Der zeitweilige Parteivorsitzende Erich Ollenhauer schrieb am 25. Februar 1948 an Scheidemanns Tochter: »Es liegt im Interesse der Partei, wenn das Manuskript, in dem sich Ihr Vater ja teilweise sehr kritisch mit der offiziellen Politik der Partei in der Weimarer Republik auseinandersetzt, nicht in der gespannten Situation veröffentlicht wird.« Schonungslos geht Scheidemann mit seiner Partei ins Gericht, vor allem was ihr Verhalten 1918/19 und die Gründe für die katastrophale Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung 1933 betrifft: Die Mehrheitssozialdemokratie verfügte 1918/19 über entscheidende Machtpositionen in der jungen Republik, aber sie war nicht bereit, mit den einflußreichen Gruppen aus dem Kaiserreich zu brechen. Weil sie aus Angst vor dem Bolschewismus nicht wagte, die Macht- und Verwaltungsstrukturen durchgreifend zu erneuern, gewannen die reaktionären Kräfte schnell wieder an Einfluß. Und 1932/33 mahnte die SPD-Führung gemeinsam mit den ADGB-Gewerkschaften ihre kampfbereite Anhängerschaft so lange zur »Disziplin, bis es zu spät war, die Machtübertragung an Hitler zu verhindern«. Diese »absolute Disziplin der SPD, als heiligstes Parteisakrament gefeiert, ist uns heute fast unverständlich«, kommentiert er. Scheidemanns Kritik an den »Bonzen der Sopade« um Otto Wels und Friedrich Stampfer kulminiert in der Bemerkung: »Wels wurde von den deutschen Parteigenossen auf Umwegen (aus Prag, wohin auch er im Februar 1933 geflüchtet war; J.W. ) zurückgeholt, um an dringlichen Besprechungen teilzunehmen und als Parteivorsitzender im Reichstag die schwächliche Erklärung der Fraktion abzugeben, die Stampfer verfaßt hatte« (gemeint ist die bis heute vielgerühmte Rede gegen das Ermächtigungsgesetz vom März 1933). Das dreiste Auftreten der Nazis sei ab Februar 1933 übertroffen worden »von dem schwächlichen Verhalten des opportunistischen Restes der Reichstagsfraktion unter Führung des früheren Reichstagspräsidenten Löbe – von dem passiven Verhalten des Rumpfvorstands der SPD und der Vorstände der Gewerkschaften gar nicht zu reden«, deren »Verhalten kläglich zum Erbarmen gewesen« sei. Im zweiten Hauptteil der Aufzeichnungen (»Kritik an der deutschen Sozialdemokratie und ihrer Führung«) konzentriert Scheidemann seine Kritik auf den ersten Reichspräsidenten. Ebert sei hauptverantwortlich dafür, daß die SPD in der Novemberrevolution nicht die notwendigen Strukturreformen durchgeführt habe, um die Republik mit einem tragfähigen Fundament auszustatten. Wegen seiner »erstaunlichen Militärfrömmigkeit« sei Ebert – der noch dazu ein Bündnis mit den Freikorps einging – als Reichspräsident »der Gefangene der Reichswehr gewesen«. Ebenfalls vernichtend sein Urteil über die Gewerkschaftsführer. Ihre »Versuche, einen Modus vivendi mit Hitler zu finden«, stünden »beispiellos da in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung«. Sie hätten schon 1932 nach dem Papen-Putsch zum Mittel des Generalstreiks greifen müssen. Scheidemann hält fest: »Für den ernsthaften Forscher liegt klar zutage, wie eine große und starke Partei durch ellenbogenstarke Männer mit ungeheurem Einfluß – trotz aller Demokratie! –, mit großem Ehrgeiz, kleinem politischen Horizont und keinem historischen Sinn zugrunde gerichtet werden kann.« Daß er seinen eigenen Beitrag zu diesem Versagen ausklammert, schmälert die Bedeutung seiner Analyse nur unwesentlich. Sein Verdienst sei es gewesen, betont er immer wieder, dazu beigetragen zu haben, »daß Deutschland 1918/19 vom Bolschewismus verschont bleibt«. Resümierend notiert Scheidemann: »Der große Zusammenbruch im Jahre 1918 war die unmittelbare Folge des verlorenen Krieges. Der Hitlerumsturz war in der Hauptsache das Ergebnis der Kriegsnachwirkungen und der Weltwirtschaftskrise.« Daß aber »die Republik dem Faschismus ohne die geringste Gegenwehr in die Hände fiel, ist zurückzuführen auf die Zersplitterung der deutschen Arbeiterklasse, auf die Unfähigkeit der republikanischen Regierungen und die nicht minder große Unzulänglichkeit der Arbeiterführer, gleichviel, ob sie nun als Sozialdemokraten, als Kommunisten oder Gewerkschafter versagten«. Der Selbstbesinnungsprozeß des prominenten Sozialdemokraten blieb nach 1945 ungehört. Nicht die kritischen Repräsentanten des Exils kamen zum Zuge, sondern die von Scheidemann kritisierten Mitverantwortlichen für die Niederlage von 1933 in den Gewerkschaften um Fritz Tarnow und Hans Böckler und in der SPD um Paul Löbe und Carl Severing. Sie trugen nach dem Ende des NS-Regimes mit ihrem Antikommunismus dazu bei, daß die zweite Chance eines Neuanfangs vertan wurde. Scheidemann hatte von ihnen gesagt, daß »von den Führern, die in Deutschland bis zu ihrer Flucht ›tätig‹ gewesen sind«, keiner »jemals wieder irgendwo in der Arbeiterführung führend tätig sein« könne. Scheidemanns Schriften aus dem Exil sind mehr als eine Erinnerung an vergangene, bis heute nachwirkende Fehler der SPD. Seine Mahnung »Der Feind steht rechts! Arbeiter, seid einig!« ist aktuell geblieben. Doch SPD- und Gewerkschaftsführung scheinen auch heute nicht in der Lage zu sein, ihre Gegner realistisch einzuschätzen. Darüber könnten Sozialdemokraten und Gewerkschafter, soweit sie noch nicht unrückholbar in Resignation und Zynismus abgeglitten sind, aus Scheidemanns Beobachtungen einiges lernen. Philipp Scheidemann: »Das historische Versagen der SPD. Schriften aus dem Exil«, herausgegeben von Frank R. Reitzle. Mit einer Einleitung von Claus-Dieter Krohn, zu Klampen Verlag, 236 Seiten, 19.80 €
Erschienen in Ossietzky 6/2005 |
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