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In den letzten drei Jahren sind die Profite um 60 Prozent, die Löhne aber nur um zehn Prozent gestiegen. In derselben Ausgabe ist – zum wiederholten Male – davon die Rede, daß Amerikas Arbeitsmarkt »weniger Jobs als erwartet« hervorgebracht habe. Und jede Ausgabe dieser Publikation ist voll von düsteren Ahnungen über eine baldige Weltwirtschaftskrise. Diese wachsenden Sorgen reflektieren vor allem die wachsende Verschuldung der US-amerikanischen Staatshaushalte, und tief beunruhigend wirkt auch die Tatsache, daß die USA wie auch Großbritannien unentwegt mehr Waren aus der ganzen Welt konsumieren, als sie selbst in die Welt liefern – auf Dauer könne das nicht so weitergehen. Zu allem Übel kämen auch die kapitalistischen Volkswirtschaften Nr. 2 und Nr. 3, Japan und Deutschland, trotz goldumrahmter Unternehmensbilanzen und vielumjubelter Exporterfolge nicht aus ihrer Stagnation heraus. Alle Fakten, die man braucht, um diese Zusammenhänge zu verstehen, liegen auf der Hand – zum größten Teil sind sie sogar im selben Blatt zu lesen. Wenige Ausgaben vorher beispielsweise hat die Economist- Redaktion in einem »Spezialreport« Toyota gewürdigt, den gegenwärtigen Star am Himmel der internationalen Autoindustrie. Diese Firma hat in den letzten Jahren unentwegt Marktanteile dazugewonnen. Toyota erwirtschaftet zur Zeit einen Nettoprofit von elf Prozent, Ford erreicht nach derselben Rechnung knapp vier, VW knapp zwei Prozent. Das deutet darauf hin, daß die Expansionsphase dieses Unternehmens noch andauert. Schon jetzt liegt der Weltmarktanteil von Toyota bei zehn Prozent. Die Autos werden von 264 000 Arbeitern und Angestellten hergestellt. Diese im Vergleich zu den Konkurrenten und zu früheren Zeiten niedrige Zahl ist das Geheimnis der hohen Profitabilität des Unternehmens. Mit den wachsenden Marktanteilen zwingt Toyota die anderen Produzenten zu vergleichbaren Rationalisierungen, also Entlassungen, weil sie versuchen müssen, ähnlich effektiv und profitabel zu werden. Das ist die Peitsche, die zu den bekannten Ergebnissen von Bochum und Rüsselsheim geführt hat. Wenn gut eine Viertelmillion Menschen zehn Prozent Marktanteil schaffen, dann bedeutet das, daß etwa 2,5 Millionen Menschen, die mit gleicher Effektivität arbeiten wie bei Toyota, genügen, um 100 Prozent zu produzieren. Da die Autoindustrie viele Vorprodukte nicht mehr selber herstellt, sondern herstellen läßt, rechnen wir an dieser Stelle zu jedem Beschäftigten zwei hinzu, die direkt mithelfen, die rollenden Blechkisten zu bauen. Das heißt: Um den gesamten Globus mit einem stetigen Strom neuer Autos zu versorgen, werden nicht mehr als 7,5 Millionen Menschen gebraucht. Würde die werktätige Bevölkerung Nordrhein-Westfalens sich ausschließlich aufs Autobauen konzentrieren, müßte außerhalb dieses Bundeslandes niemand auf der Welt mehr eine Schraube an einem Neuwagen drehen. Die Zeiten, als allein das Modell T von Ford oder der Käfer von VW einer stetig wachsenden Anzahl von Menschen Arbeit gaben, sind vorbei. Die gleiche Entwicklung zeigt sich in der Stahl- oder Textilindustrie und vielen anderen Branchen wie auch bei Banken und Versicherungen. In der Stahlindustrie beispielsweise hat sich die Produktivität innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte verdoppelt: Den Stahl, den 1985 noch 100 000 Menschen gekocht haben, kochen heute 50 000. Der Economist geht davon aus, daß die Marktkräfte das alles schon irgendwie richten werden – in der Vergangenheit sei das auch so gegangen: »Die Wohltaten der Produktivitätsschübe, die von Eisenbahnen, Elektrizität oder Autos ausgingen, gelangten letztlich zu den Konsumenten und Arbeitern, indem der Wettbewerb die Firmen zwang, die Kosteneinsparungen als niedrigere Preise oder höhere Reallöhne weiterzugeben.« Das ist der Kern der liberalen Wohlstandsillusion. Eine Illusion ist sie deswegen, weil die Verteilung zu den Arbeitern nicht vom Markt, sondern von der Streikmacht der Gewerkschaften und vor allem nach 1917 von der Bedrohungsmacht der Revolution erzwungen wurde. Beides ist zur Zeit verschwunden. Arbeitskraft ist reichlich vorhanden und billig zu haben, die Gewerkschaften vor allem in den drei Kernländern USA, Japan und Deutschland sind zahm wie Hauskatzen, keiner der reicher und reicher werdenden Kapitalisten braucht sich vor Entmachtung durch eine Revolution zu ängstigen – warum sollte also irgendein Kapitalist so töricht sein, jetzt die Löhne zu erhöhen und sich selbst damit aus dem Markt zu katapultieren? So sind politökonomisch alle Zutaten zusammen, um uns noch einige Jahrzehnte Stagnation und Zerfall der jetzigen Ordnung zu garantieren. Rosa Luxemburg soll vor hundert Jahren einmal gesagt haben: »Revolution macht stark, alles andere ist Quark.« Richtig. So richtig wie nie zuvor. Aber wenn wir die regionale Monopolzeitung aufschlagen oder das Radio einschalten oder ins Fernsehprogramm zappen: Quark, nichts als Quark!
Nützliche MassenarbeitslosigkeitOtto Meyer Das Thema Massenarbeitslosigkeit war der Bild -Zeitung an zwei Tagen den Aufmacher wert. Über die ganze am Kiosk sichtbare obere Hälfte der Titelseite vom 1. März stand in Großbuchstaben: »5,2 Millionen – Frauen und Männer – ohne Arbeit – Tut endlich was!«, alles schwarz-weiß-rot. Beim Aufklappen las man dann auf der unteren Hälfte weiß auf schwarzem Trauergrund: »Wer denkt eigentlich an die betroffenen Menschen und an ihre Familien?« Dazu der Text, dick unterstrichen: »Heute ist ein Tag der Schande! Genau 5 216 434 Frauen und Männer in Deutschland sind offiziell arbeitslos! Das ist die höchste Arbeitslosigkeit seit dem Zweiten Weltkrieg... Die Wut der Arbeitslosen, was jetzt zu tun ist...« Solche Bild -Trauer, -Schande und -Wut verdrängten sogar das sonst auf der ersten Seite obligatorische nackte Playgirl. Auf Seite 2 verkündete dann »Deutschlands bester Wirtschaftsprofessor« Hans Werner Sinn, was »sofort getan werden muß«: Länger arbeiten, »kreative« Lohnsenkungen in den Betrieben statt Stellenabbau, weg mit Gewerkschaften und Tarifverträgen, radikaler Sozialabbau – Hartz IV reicht längst nicht hin, Steuern runter! Da wurde die Massenarbeitslosigkeit als Brechstange genutzt, um den neoliberalen Systemwechsel in radikaler Form voranzutreiben. Mit der Schlagzeile der nächsten Ausgabe zeigte Bild , daß es auch für diese Opfer ein Herz hat: »Schicksal arbeitslos«, mit Fotos vom arbeitslosen Vater und seinem verwirrt-trotzig fragenden Sohn: »Papa, warum bist du den ganzen Tag zu Hause?« Zur Entspannung gab's diesmal wieder reichlich nackte Frauenhaut schon auf der ersten Seite. Auf der zweiten dann die traurige Story, wie einer in der DDR Konditor gelernt und zufrieden in seinem Beruf gearbeitet hatte, nach der Wende sein Glück im Westen suchte und zunächst auch fand, aber jetzt schon jahrelang in Berlin zu Hause rumhängt; über 100 Bewerbungen haben nichts gebracht. Wieder mit großflächigem Foto von Vater und Sohn: »Warum hat mein Vater keinen Job?« Bei der Frage nach den Schuldigen nimmt Bild zunächst die Beamten und Angestellten der Bundesagentur ins Visier: » Schnarrrrrch-Agentur für Arbeit – Was treiben die 90 000 Bürokraten eigentlich?« Das Blatt macht daraus in den nächsten Tagen eine Kampagne, ruft alle Arbeitslosen auf, ihre negativen Erlebnisse auf den Agentur-Fluren und in den Beratungszimmern dem Bild- Kummerkasten der Nation mitzuteilen, druckt über eine Woche lang die schlimmsten Beschwerden ab und nimmt schließlich den Behördenleiter Weise ins Kreuzverhör, der reumütig Besserung und härteres Durchgreifen gegenüber den unzulänglichen Angestellten geloben muß. Der zuständige Minister Clement scheint hingegen machtlos, also unschuldig zu sein; Bild zeigt immer wieder Fotos eines niedergeschlagenen Mannes, der vor lauter Sorgen nachts kaum noch schlafen kann, weil alle ihn fallenlassen, wahrscheinlich selbst der Kanzler, obwohl doch Clement fast der einzige in der Regierung ist, der das Richtige will... Auf die Warum-Frage des Sohnes gibt das Blatt auch scheinbar sachliche Antworten, zum Beispiel durch Verweis auf beispielhafte Nachbarländer, die angeblich wahre Jobwunder vollbracht haben: In Großbritannien wurden »die Leistungen für Arbeitslose gekürzt, Arbeitslosengeld gibt's nur noch für 180 Tage. Erfolg: Die Quote sank von 10,4 (1993) auf 4,9 Prozent (2004)«. Als würde da auch unser rumhängender Konditor schnell in die Gänge kommen! Verschwiegen wird, daß es in Großbritannien nach dem Arbeitslosengeld immer noch Sozialhilfe gibt, ähnlich wie hier seit Hartz 4. In den Niederlanden, so erfahren die Leser weiter, seien die Löhne gesenkt worden, die Schweiz und Spanien hätten den Kündigungsschutz abgeschafft, und schon habe sich überall die Arbeitslosenzahl halbiert! Wie kann das alles auch bei uns erreicht werden? Bild fragt einen anderen »Fachmann«. Professor van Suntum antwortet: »Dazu brauchen wir eine große Koalition im Bundestag.« Daß die etablierten Parteien bei den Agenda- und Hartz-Gesetzen in Bundestag und Bundesrat längst als »Große Koalition« agiert haben, reicht nicht mehr. Bild powert für den »Kanzler-Gipfel«, der Bundespräsident mahnt die Gemeinsamkeit aller Demokraten an, man will das ganze Volk zum Opfern verpflichten und kennt deswegen wie Kaiser Wilhelm 1914 »keine Parteien mehr, nur noch Deutsche«. Der altbewährte Bild -Propagandist Peter Boenisch macht den Antreiber: »Ob Regierung, Opposition, Bosse oder Gewerkschafter – Alle sind schuld.« Doch »Deutschland kann seine Probleme aus eigener Kraft lösen. Wie in einer Ein-Eimer-Kette, wenn's brennt. Dann läßt man doch auch nicht den Eimer los, um mit seinem Nachbarn zu diskutieren.« Wie »wohltätig ist des Feuers Macht« (Schiller), wie nützlich ist die Massenarbeitslosigkeit: Sie schweißt zusammen, was zusammengehört, zur einig deutschen Arbeitsfront... Franz Josef Wagner, der Bild -Postonkel, hat keine Scheu mehr, seinen nationalsozialistischen Sehnsüchten freien Lauf zu lassen, er schreibt: »Liebe Politiker, wir haben Euch gewählt, damit Ihr unsere Interessen vertretet. Ich meine deutsche (Achtung Verfassungsschutz!) Nationalinteressen. Darunter verstehe ich, daß deutsche Menschen in ihrem Land Arbeit haben. Ich hoffe, daß man es noch sagen darf, Herr Verfassungsschutz, ohne unter NPD-Verdacht zu geraten. In dem Mietshaus in Berlin, wo ich lebe, hat jeder dritte keine Arbeit. Der ständige Import von Billigarbeitern und der ständige Export von Arbeitsplätzen liegt nicht im Interesse meiner Mitbewohner. Deren Chance ist der nächste Kiosk, wo sie sich die Birne zudröhnen, während Kanzler Schröder und Vizekanzler Fischer die Welt umarmen. Wir hören nur global, global. Wann endlich umarmt Ihr wieder einen Deutschen? Die Umarmung eines Deutschen ist nicht rechtsradikal. Es ist das legitime Recht deutscher Interessen. P.S: Mein bester Freund ist ein Türke.« Nein, das ist nicht mehr »rechtsradikal« a la NPD, gesponsert und geführt vom Verfassungsschutz, das ist radikal-neoliberalistisch mit der Sehnsucht nach der faschistischen Volksgemeinschaft. Verlangt wird ein Führer, der »uns« alle umarmt und integriert in die deutsche Arbeitsfront, wo das Fremde ausgesondert wird und »wir alle« bereit sind zu nationalen Opfern für weitere Siege im globalen Weltmarkt-Krieg. P.S.: Jeder gute Nazi hatte schon immer einen »anständigen Juden« zum Freund.
Partnerschaften auf ZeitArno Klönne Noch regiert Rot-Grün im Bund, aber die Koalitionspartner machen nicht den Eindruck, als wäre ihre gegenseitige Zuneigung dauerhaft. Gerhard Schröder beschwört seine Liaison mit Joseph Fischer, indessen läßt sich daraus noch nicht folgern, der Bundeskanzler sei ein Verfechter der Unauflöslichkeit politischer Ehen. Und immer mehr prominente SPD-Politiker schieben vorsorglich schon einmal den Grünen die Schuld zu, für den Fall, daß auch bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen ihre Partei weiter absackt. Die Arbeitslosen, so das Argument, hätten eben nicht durch großzügige Visaerteilung an UkrainerInnen zusätzlich verärgert werden dürfen, und von Antidiskriminierungsgesetzen möchten sie auch nichts hören. In der Zeit , dem Organ für die gebildeten Schichten (zumeist schwer lesbar, was nicht nur am sperrigen Format liegt), findet sich ein amüsanter Beitrag von Tina Hildebrandt: »Grüner Jetlag und roter Selbsthaß«. Die Kritik der SPD an den Grünen, so steht darin, sei in einem zentralen Punkt ungerecht, denn immerhin hätten doch grüne PolitikerInnen wie Oswald Metzger, Fritz Kuhn, Christine Scheel und Katrin Göring-Eckardt der Sozialdemokratie bei den Reformen am Arbeitsmarkt und in den Sozialsystemen auf die Sprünge geholfen. Was diesen Sachverhalt angeht, so hat die Autorin Recht. Nur aus eigener ideologischer Kraft hätte die regierende Sozialdemokratie die Hinwendung zur neoliberalen Politik wohl nicht so schnell geschafft. Dabei handelte es sich jedoch, und das nehmen jetzt auch manche SPD-Oberen zur Kenntnis, um eine Art Sterbehilfe für die Mehrheitsfähigkeit der Sozialdemokratie. Der nämlich, und nicht der grünen Partei der Besserverdienenden, laufen wegen der Agenda-2010-Politik massenhaft WählerInnen davon. Von der SPD-Führung ist nicht zu erwarten, daß sie deshalb reumütig wieder zu sozialstaatlichen Idealen zurückkehrt, aber soll sie, solche Zusammenhänge dunkel ahnend, den Grünen noch für deren Reformeifer dankbar sein? Da liegt es schon näher, klammheimlich an eine Große Koalition mit der CDU/CSU zu denken. Wenn sich zwei Großparteien als Regierungspartner zusammentun, so könnte das Kalkül sein, läßt sich der Verdruß oder Zorn eines wachsenden Teils der Bevölkerung für längere Zeit überstehen. Aber kann eine solche neue Koalition im Bund schon vor der Bundestagswahl gebildet werden? Das wäre ziemlich plump, und die Verteilung der Regierungsämter würde sehr schwierig. Außerdem wäre es dann mit Gerhard Schröders Kanzlerschaft vorbei, auf spektakuläre Weise. Nach der Bundestagswahl hingegen werden die Karten neu gemischt. Und die SPD-Mitgliedschaft, soweit sie der Partei verblieben ist, wird dann ermattet genug sein, notfalls auch eine christdemokratische Kanzlerin als Kröte zu schlucken – dabei sein ist alles. Gerhard Schröder könnte mit einem Posten im Weltmanagement abgefunden werden; dort würde er Joseph Fischer gar nicht vermissen.
Große und kleine ÜbeltatenRalph Hartmann Ein Herr F. wurde schwerer Schandtaten überführt und blieb trotzdem ein höchst angesehener Mann. Seinem Ansehen schadete es nicht, als er log, daß sich die Balken bogen. Aber als er anfing, sich der Wahrheit zu nähern, kam er in Verruf. Denn auf dem Berliner Narrenschiff ist alles möglich, um so mehr, wenn die ersten schäumenden Wogen des heranziehenden Wahlkampfes über das Deck schlagen. Schwarze und Gelbe, insgeheim selbst einige Rosa-Rote und Grüne sowie meinungsbildende Presseorgane von Bild bis Spiegel fordern mehr oder weniger offen den Rücktritt des bislang »beliebtesten deutschen Politikers« Joseph Fischer. Sie alle sind sich einig: Mit der Praxis der Visa-Vergabe in Kiew und anderswo hat der Außenminister seine Pflichten verletzt und Unheil über Deutschland gebracht. Fischer selbst hat Fehler eingeräumt und die politische Verantwortung übernommen. Eine Demission jedoch lehnt er, unterstützt vom Kanzler, ab. Warum sollte er auch zurücktreten? Der Obergrüne hat doch schon für wesentlich schwerere Vergehen Verantwortung zu tragen. Was sind schließlich die Versäumnisse bei der Kontrolle der Visa-Vergabe im Vergleich zur aktiven Mithilfe bei der Vorbereitung und Durchführung eines Angriffskrieges? Doch damals, Ende der 90er Jahre, verlangte außer einigen Friedensbewegten niemand Fischers Rücktritt, für den es mehr als genug Gründe gegeben hätte: Als Erfinder des »serbischen Faschismus« und der neuen Auschwitz-Lüge gehörte Fischer zu denen, die vehement eine Intervention der NATO in den jugoslawischen Bürgerkrieg forderten und die Kriegspropaganda in Deutschland zu seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gekannten Höhen oder Tiefen führten. Schon 1995, als in seiner Partei eine heftige Debatte um deutsche Bundeswehreinsätze in Bosnien geführt wurde, sprach er in einem zehnseitigen Brief an seine grünen Parteifreunde vom »Wiederauftauchen eines blutigen völkischen Faschismus« in Jugoslawien und forderte eine Intervention in Bosnien. Wörtlich schrieb er: »Ich habe die Position der Interventionspflicht bei Völkermord – es ist für mich der unveräußerliche Kern des Antifaschismus und seines Vermächtnisses des ›Nie wieder Auschwitz‹ – schon immer vertreten.« Fischer ist nicht der Geburtshelfer, er ist der leibliche Vater der neuen Auschwitz-Lüge und des zum Krieg verpflichtenden Antifaschismus, mit denen später der NATO-Krieg gegen Jugoslawien legitimiert werden sollte. Nachdem er Außenminister geworden war, bediente er sich immer wieder dieser selbstgemachten Legitimation. Er machte die »serbische Sonderpolizei« zur »SS von Herrn Milosevic« und die Albaner zu unter Schock stehenden Leuten, »weil sie denken, sie sind plötzlich im Film ›Schindlers Liste‹ aufgewacht«. Mehr noch: »Es war ein wirklicher Schock, daß Milosevic bereit war, zu handeln wie Stalin und Hitler.« Deshalb war der »Faschismus« des jugoslawischen Präsidenten für den deutschen Außenminister auch kein gewöhnlicher Faschismus: »Was Milosevic treibt, ist eine völkische Politik, es ist eine rohe, barbarische Form des Faschismus.« Damit befand sich Fischer in schönster Übereinstimmung mit seinem fürs Militärische und für Greuelmeldungen zuständigen Kabinettskollegen Rudolf Scharping. Dieser hatte Wochen vor Kriegsbeginn mit einer Gruppe von Bundeswehrsoldaten die Gedenkstätte Auschwitz besucht und dort erklärt: Um ein neues Auschwitz zu verhindern, »ist die Bundeswehr in Bosnien« und wird »wohl auch in das Kosovo gehen«. Als die deutschen Tornados am Abend des 24. März 1999 in den Himmel über Jugoslawien eindrangen, um den NATO-Kampfflugzeugen freies Schußfeld zu schaffen, wurde die neue Auschwitz-Lüge zur Rechfertigung dieses Gewalt-aktes gebraucht. Peter Gingold, Holocaust-Überlebender und Bundessprecher der Antifaschisten, stellte dazu fest: »Mit ›Nie wieder Auschwitz‹ führte Deutschland seit dem 24. März Krieg. Auschwitz, Holocaust! Welch ungeheuerliche Verharmlosung, Banalisierung dieses in der Weltgeschichte einmaligen entsetzlichsten Verbrechens gegen die Menschheit...! Dies mit dem Bürgerkrieg im Kosovo, wie grausam er auch sein mag, gleichzusetzen! Eine neue Art der Au-schwitzlüge!« Niemals hat sich der deutsche Außenminister dafür entschuldigt, daß er den Holocaust so schamlos relativiert und verharmlost hat. Niemand von den Schwarzen und Gelben hat deshalb jemals seinen Rücktritt verlangt. Ebensowenig wurde der deutsche Außenminister für die »Rambouillet-Lüge« zur Rechenschaft gezogen, mit der er wesentlich dazu beigetragen hat, Deutschland in den Krieg zu manövrieren. Im Schloß Rambouillet bei Paris, in dem der Kosovo-Konflikt angeblich friedlich beigelegt werden sollte, wurde Jugoslawien im Februar/März 1999 unter Kriegsandrohung vor das unannehmbare Ultimatum gestellt, einer militärischen Okkupation seines gesamten Territoriums und einer späteren Abtrennung der südserbischen Provinz Kosovo und Metohien zuzustimmen. Als zuständiger Minister pries Fischer den Abkommensentwurf der NATO als »Friedensplan«, seinen wahren Inhalt, enthalten im Annex B, Ziffer 8, hielt er jedoch auch vor der deutschen Öffentlichkeit geheim, täuschte sie also. Selbst später, auf einem Sonderparteitag der Grünen Anfang Mai 1999, beteuerte er wortreich, er habe den jugoslawischen Präsidenten Milosevic persönlich förmlich angefleht, den »Friedensplan« von Rambouillet zu akzeptieren. In Wirklichkeit hatte er ihn aufgefordert, eine bedingungslose Kapitulation zu unterzeichnen. Die Ablehnung, die zum Vorwand für den NATO-Überfall wurde, war vorprogrammiert. Niemals hat sich Fischer dafür entschuldigt, daß er die Öffentlichkeit hintergangen und geholfen hat, den Zünder für den Krieg scharf zu machen. Niemand von denen, die heute wie Edmund Stoiber erklären, durch die Visa-Praxis seien »die Sicherheitsinteressen unseres Landes massiv beeinträchtigt worden«, hat damals den Rücktritt des Außenministers gefordert. Leichtfertig Einreisevisa ausstellen zu lassen, ist in der Bundesrepublik Deutschland offenkundig ein größeres Übel, als Auschwitz zu banalisieren und einen Angriffskrieg vorzubereiten.
Erschienen in Ossietzky 6/2005 |
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