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Renate Schmidt, Expertin für Lebensmittel. – Als Bundesfamilienministerin wissen Sie Rat, wie der Armut in der Bundesrepublik beizukommen ist: In Bild am Sonntag empfehlen Sie minderbemittelten Eltern, ihre Kinder von den Pommes-Buden fernzuhalten und stattdessen zu Haus »Eintopf mit Saisongemüse« zuzubereiten. Das sei billiger, außerdem gut für die Gesundheit. Mal abgesehen davon, daß Sie in Ressorts Ihrer Kolleginnen wildern – Ihren haushälterischen Kenntnissen trauen wir nicht über den Weg. Ihr Rezept gegen Armut deutet darauf hin, daß Sie beim Preisvergleich zwischen Pommes frites und ­frischem Gemüse keine Erfahrungen haben. Deshalb wohl, weil Sie weder auf die Fastfood-Fritten noch auf den häuslichen Eintopf angewiesen sind.

Redaktion Frankfurter Rundschau. – Im »Überblick« auf Ihrer Titelseite kommentieren Sie: »Nachfrage stärken, Arbeitsplätze schaffen – originellere Ansätze hatte die ›Wahlalternative‹ (ASG) auf ihrem Programmkonvent in Göttingen nicht zu bieten.« Da sind die Rot-Grünen und Schwarz-Gelben besser dran, sie offerieren richtig Originelles: Steuern für das Kapital senken, Arbeitszeiten raufsetzen, Lohnarbeit billig machen. Das ist originell schon seit Jahren, oder länger – seitdem es Unternehmerinteressen gibt.

Kurt Beck, Fachmann für den Politmarkt. – Nicht nur rheinland-pfälzischer Landesvater sind Sie (mit Hilfe der FDP), sondern auch Vizevorsitzender der Bundes-SPD, und in dieser Eigenschaft haben Sie Ihre Partei aufgefordert, neu auf Partnersuche zu gehen, sich nicht auf das Bündnis mit den Grünen zu fixieren: »Die jüngsten Wahlen zeigen, daß es wichtig ist, dem Wähler verschiedene Koalitionsmodelle anzubieten.« Von welchem Modell dann nach der Wahl Gebrauch gemacht wird, entscheidet der SPD-Vorstand nach eigener Interessenlage. Man muß die wählenden Kunden ja nicht überfordern.

Wolfgang Clement, Arbeitslosenstatistiker. – Die Zahlen, die Ihnen und Ihrem Kanzler so viel Ärger machen, steigen weiter an. Aber das Zahlenwerk ist, wie Sie nun herausbekommen haben, verfälscht. Denn die Kommunen schieben, um Sozialhilfe zu sparen, Komapatienten, Gelähmte und türkische Hausfrauen administrativ an die Arbeitsagenturen ab, als erwerbsfähig, und so kommt es rechnerisch zur Massenarbeitslosigkeit. Aber ab März sieht alles besser für Sie aus. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden veröffentlicht nun auf Wunsch der Bundesregierung jeden Monat eigene Arbeitslosenzahlen. Dabei gilt als beschäftigt, wer mindestens eine Stunde im Monat bezahlte Arbeit leistet, und erhoben wird per Telefonbefragung. Sie können sicher sein: So kommen bessere Werte zustande als bei den Berechnungen aus Nürnberg.

Renate Köcher, Chefdemoskopin. – Als Leiterin des Meinungsforschungsinstituts Allensbach sind Sie eine vielgefragte Politikberaterin, und wenn es not tut, sagen Sie dem Volk, was es zu meinen hat. Jetzt haben Sie »den Deutschen« unbegründeten »Pessimismus« vorgeworfen – zur Klage über materielle Bedrängnis bestehe doch gar kein Anlaß: »Das frei verfügbare Einkommen pro Haushalt, nach Begleichen aller notwendigen Lebenshaltungskosten, hat sich in Westdeutschland von 297 auf 314, in Ostdeutschland von 213 auf 218 Euro pro Monat gesteigert.« Üppig ist das zwar nicht, aber so hat doch jeder Haushalt ein paar Euro mehr, die verpraßt werden können, soll das Publikum glauben. Möglicherweise gibt es aber BürgerInnen, die sich über den Aussagewert statistischer Durchschnittsangaben Gedanken machen, also merken: Wenn sich bei relativ wenigen Haushalten das frei verfügbare Einkommen in ganz anderen Höhen bewegt und weiter ansteigt, dann liegt es bei relativ vielen Haushalten nach Adam Riese unter dem von Ihnen genannten Betrag und sinkt weiter. Aber das muß Sie nicht kümmern, Sie sind für Meinungen zuständig, nicht für Fakten.

Erschienen in Ossietzky 5/2005