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Nur vier Tage später – DDR-Außenministerium und sowjetische Botschaft hatten seine Emissäre schnöde abgewiesen – stimmten die Vertreter des Volkes am Zentralen Runden Tisch einstimmig dem großen Aufruf des kleinen Vereins zu. Die überforderte Modrow-Regierung unternahm nichts, daher gebührt der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière der Dank für eine humanitäre Tat. Im Mai 1990 ersuchten erste sowjetische Juden in der DDR um ihr Bleiberecht. Damit wurde vor ihrem Ende die DDR unerwartet zu einem Einwanderungsland für sowjetische Juden und Menschen aus jüdischen Familien. So ungewöhnlich wie diese Öffnung war, so wenig gelang es, sie in den Einigungsvertrag zu übertragen. Der ostdeutsche Unterhändler Krause konfrontierte seine westdeutschen Partner nicht mit diesem Beschluß zu humanitärer Hilfe aufgrund deutscher Geschichte, wie die DDR-Volkskammer fraktionsübergreifend erklärt hatte, und er unterließ, wozu ihn der Ministerrat beauftragt hatte. Zähneknirschend mußte das neu geeinte Deutschland dennoch öffentlichem und jüdischem Druck folgen. Im Februar 1991 beschloß die erste gesamtdeutsche Innenministerkonferenz ein jüdisches »Flüchtlingskontingentgesetz«. Humanitäre Hilfe wurde nachrangig, primär sollte es darum gehen, die schwachen jüdischen Gemeinden zu stärken. Inzwischen sind knapp 200 000 vormals sowjetische Menschen als jüdische »Kontingentflüchtlinge« nach Deutschland gekommen. Antragsteller müssen jüdische Mütter oder jüdische Väter nachweisen, Angehörige ersten Grades nicht. Das Kontingentverfahren ist großzügig ausgelegt. Dennoch gibt es migrationstypische Konflikte, lastet vor allem Arbeitslosigkeit und damit Sprachmangel, Geldmangel, Kontaktmangel schwer auf den meist hochqualifizierten Einwanderern. Man kann das auch ein komplexes Integrationsproblem nennen. Mangels Alternativen wurden die Jüdischen Gemeinden zu Integrationsstätten, ihre Kompetenz ergab sich im Mitmachen. Mancher, der sich erfolgreich in die Gesellschaft absetzen konnte, verließ dann diese Anlaufstellen. Im November 2004 nahm Außenminister Fischer in Sao Paolo an einem Freitagabend-Gottesdienst in der einst von deutschen Juden errichteten Synagoge teil. Er sagte auf der Kanzel, wie glücklich er über das neue jüdische Leben in Deutschland sei. Kurz darauf aber, am 13. Dezember, hatte eine Indiskretion in Berlin zur Folge, daß der Jüdische Kulturverein Berlin an die Öffentlichkeit ging. Noch vor Jahreswechsel, so hatte er erfahren, sollte geklärt werden, wie die jüdische Einwanderung drastisch eingeschränkt werden könne. Von historischer Verantwortung, die seinerzeit zur Grenzöffnung geführt hatte, war nicht mehr die Rede. Das Innenministerium wollte im Bunde mit dem Zentralrat der Juden auch nicht hinnehmen, dass nur 80 000 der Einwanderer in jüdischen Religions- gemeinden registriert sind. Es ging um die Überalterung jüdischer Gemeinden, den Kostenfaktor Sozialhilfe und mangelnde Deutschkenntnisse, und so schien es nun angemessen, nur noch einreisen zu lassen, wer nachweislich in und mit religiösem Sinn jüdisch, jünger als 45 Jahre und mit eigenem Broterwerb und deutscher Sprache gesegnet ist – wozu sich freilich anmerken ließe, daß eine solche Konfessionalisierung der Einwanderung nicht unbedingt gottgewollt, die Freiheit des Glaubens hingegen ganz sicher ein Verfassungsgrundsatz ist. Auch Israel mischte mit, denn im Jahre 2004 emigrierten erstmals mehr Juden nach Deutschland als in den jüdischen Staat, was dessen Grundphilosophie widerstrebte. In der allgemeinen Weihnachtsvorfreude wäre der Einwanderungsendplan unbeachtet geblieben, hätte der Kulturverein nicht Medien und Politiker alarmiert. Es folgten wütende Dementis. Am 1. Januar trat das Zuwanderungsgesetz ohne Sonderregeln für jüdische Einwanderer in Kraft, am 19. Januar tagte der Bundestagsinnenausschuß, der sich beleidigt zeigte: Der Innenminister hatte das Parlament nicht konsultiert, das wurde ihm nun nahegelegt. Während sich Otto Schily öffentlich zu erinnern meinte, alle Details stets offen mit Paul Spiegel, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, erörtert zu haben, war jener nach längerem Nachdenken eher der Auffassung, in dieser Sache niemals konsultiert, sondern nur vor eine ihn empörende Tatsache gestellt worden zu sein. Der mit ihm im Streit – auch um Finanzen – liegende Dachverband des liberalen Judentums bekannte stolz, gefragt worden zu sein, doch keine Einwände geltend gemacht zu haben. Der Weltkongreß russischer Juden protestierte wie der Jüdische Kulturverein, das Innenministerium reagierte nicht. Offenbar dank Innenausschuß dürfen 27 000 Einreisewillige, die die deutsche Zusage schon haben, im Verlauf dieses Jahres noch kommen. Fast 27 000 weitere warten zum Teil seit Jahren auf ihre Papiere. Inzwischen werden keine neuen Anträge entgegengenommen. Das Visa-Wintertheater wirft lange Schatten. War es das? Ist Schluß mit der humanitären jüdischen Einwanderung? Ist der Antijudaismus in Rußland, der Ukraine und anderswo überwunden? Wenn jetzt konfessionelle Zwecke die früheren humanitären ablösen sollen, dann wären eigentlich Rabbinatsstudenten aus Brooklyn, fromme junge Familien aus den zu räumenden Siedlungen Israels oder jüdische Sozialarbeiter aus Südafrika die passenderen Einwanderer. Die jüdischen Gemeinden würden dann jedenfalls gottesfürchtigere Mitglieder gewinnen und müßten keine Moskauer Ingenieure und Kiewer Ballettmeisterinnen aufwendig zur Religion bekehren. Aber so wird Geschichte denn doch nicht gemacht. Ich zumindest habe momentan keine Ahnung, wie die der Zeit, dem Ort und der deutschen Geschichte angemessene Lösung längerfristig aussehen könnte. Schade.
Erschienen in Ossietzky 5/2005 |
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