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Da gegenwärtig in so manchen Amts- und Redaktionsstuben darüber gebrütet wird, wie man diesen Tag gebührend würdigen soll, fühle ich mich herausgefordert, den Reden- und Artikelschreibern, denen so viel abverlangt wird, in aller Bescheidenheit ein wenig propagandistische Hilfe anzubieten. So sei denn zuvörderst an die herzerhebenden Erklärungen des seinerzeitigen Bundeskanzlers erinnert, die mit goldenen Lettern in die Geschichtsbücher eingetragen sind. Als am Abend des 18. März bekannt wurde, daß die »Allianz für Deutschland« – so hieß, wie erinnerlich, das im Westberliner Gästehaus der Bundesregierung vom Kanzler aus der Taufe gehobene Wahlbündnis der Ost-CDU und ihr nahestehender Ostparteien – die Wahl mit 47,79 Prozent der Stimmen gewonnen hatte, erklärte Helmut Kohl u.a.: »Diese erste wirklich freie und direkte Wahl in der DDR ist ein historisches Ereignis... Es ist die erste wirklich freie Wahl seit 58 Jahren. Die Ereignisse in der DDR – die wohl friedlichste Revolution in der Geschichte der Deutschen – hat es möglich gemacht, daß es zu dieser freien Wahl kam.« Diese treffliche Wertung – der Enkel Adenauers hat sie an jenen Tagen und in den folgenden Jahren stets aufs neue getroffen – sollte in keinem Beitrag zum Wahljubiläum fehlen. Bei anderen Äußerungen des damaligen Kanzlers, vor allem bei denen vor dem Wahltag, ist eine gewisse Zurückhaltung angebracht. So beispielsweise bei der Rede, die er am 20. Februar 1990 auf der Wahlkundgebung auf dem Erfurter Domplatz hielt und in der er unter anderem mitteilte: »Ich habe heute früh in einer dreistündigen Konferenz mit mehr als 50 der wichtigsten Repräsentanten der deutschen Wirtschaft aus der Bundesrepublik gesprochen. Wir haben gemeinsam überlegt, was wir tun können. Was ich jetzt sage, ist nicht nur meine Botschaft: Wenn die Rahmenbedingungen gesetzt sind, wenn die notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen getroffen sind, dann werden nicht nur Hunderte, sondern Tausende von investitionsbereiten Unternehmern – von Großunternehmen bis hin zum Handwerk – aus der Bundesrepublik hierher kommen, und gemeinsam mit Ihnen werden wir hier in kurzer Zeit ein blühendes Land schaffen.« Zwar waren diese Worte so schlagkräftig, daß sie, nur leicht variiert, im CDU-Informationsdienst als »Musterrede« für alle »Allianz-für-Deutschland«-Wahlkämpfer verbreitet werden konnten und ihre Wirkung auf die Wähler nicht verfehlten. Deren Mehrheit war tatsächlich von der Aussicht fasziniert, künftig nicht nur 100 DM Begrüßungsgeld, sondern den ganzen Lohn in harter Westmark zu erhalten. Aber statt der Investoren kamen bekanntlich die Treuhänder und die Liquidatoren der volkseigenen Betriebe, so daß es mit dem »blühenden Land« nicht so recht geklappt hat. Es empfiehlt sich folglich, an »unserem Tag der Freiheit«, wie der sächsische Staatsminister Geisler den 18. März anläßlich des 10. Wahljubiläums nannte, nicht an dieses heikle Thema zu rühren. Statt dessen sollte des selbstlosen Einsatzes der westdeutschen Männer und Frauen gedacht werden, die in den Wochen des Wahlkampfes in der Noch-DDR landauf, landab zogen, um den Geist der Freiheit auszuschütten und im Vorgriff auf die Bundestagswahl im Dezember für ihre Parteien zu streiten. Als couragierte Demokraten und Patrioten ließen sie sich in ihrem aufopferungsvollen Einsatz auch nicht von der dreisten Forderung des ostdeutschen Zentralen Runden Tisches beirren, daß Politiker der Bundesrepublik sich aus dem Wahlkampf in der DDR heraushalten sollten, um das Recht der DDR-Bürgerinnen und Bürger auf Selbstbestimmung zu wahren. Glücklicherweise war auch die DDR-Koalitionsregierung unter Hans Modrow in dieser Frage weitgehend handlungsunfähig, denn in ihr saßen nicht wenige, die die Wahlhelfer aus der Bundesrepublik herbeiriefen. Diesem Ruf und dem des Vaterlandes folgend, zogen denn Kanzler Kohl, Volker Rühe, Theo Waigel, Alfred Dregger, Lothar Späth, Karl Lamers, Hans-Dietrich Genscher, Otto Graf Lambsdorff, Wolfgang Mischnik, Willy Brandt, Oskar Lafontaine, Hans-Jochen Vogel, Johannes Rau, Helmut Schmidt, Walter Momper und viele, viele andere wiederholt gen Osten, um den ostdeutschen Brüdern und Schwestern das Wesen demokratischer und freier Volkskammerwahlen zu erläutern. Natürlich kamen die wahlkampferfahrenen Redner nicht mit leeren Händen. Mit ihnen kamen ihre Parteifahnen und -fähnchen, Wahlzeitungen, Flugblätter, Sticker und Plakate. Allein die CSU sandte unentgeltlich 25 Tonnen Propagandamaterial in die DDR, darunter zwei Millionen Flugblätter und eine Million Grundsatzprogramme ihrer ostdeutschen Schwesterpartei DSU. Und der Henkel-Konzern stellte zweieinhalb Tonnen Ia-Qualitätsleim zur Verfügung, um die in der Bundesrepublik entworfenen Wahlplakate dauerhaft zu befestigen. Da der Chemiekonzern für die gesamte deutsche Industrie steht, könnte man an dieser Stelle durchaus auch ihr für den Dienst am Vaterland danken. Anerkennung und Dank gebühren selbstverständlich – das sollte zum Wahljubiläum nicht unerwähnt bleiben – auch den unzähligen namenlosen Geburtshelfern der Demokratie, die sich vor der Schicksalswahl rastlos einsetzten. In Bundes- und Landtagswahlkämpfen gestählte Koordinatoren und Manager aus Düsseldorf und München, aus Bonn und Westberlin lenkten und leiteten die unerfahrenen DDR-Wahlkämpfer vor Ort. Die CSU entsandte für vier Wochen gar alle ihre hauptamtlichen bayerischen Wahlkreisgeschäftsführer in die DDR. Andere eiferten ihr nach. Der Einsatz der Wahlredner und -helfer kann durch keinerlei Verleumdungen herabgewürdigt werden, auch nicht durch solche abscheulichen Schmähungen, wie sie zum Beispiel in den Blättern für deutsche und internationale Politik im Mai 1990 zu lesen waren: »Was BRD-Politiker im DDR-Wahlkampf in der DDR unter Ausnutzung der Notlage und der Ängste der DDR-Bevölkerung vorgeführt haben«, so meinten sie, »übertrifft in vielen Beziehungen die Einmischungspraxis imperialistischer Vormächte gegenüber sog. Bananenrepubliken... Die in jenem ›unseren‹ Lande herumstampfenden westdeutschen Politikerherden (veranstalteten) ein wahrlich grandioses Finale der Selbstentblößung deutschnationalen Völkerrechtsdenkens.« Wahrlich, ein klassisches Beispiel intellektueller Ignoranz, die das sogenannte Völkerecht über das Naturrecht der Deutschen auf Einheit in Freiheit stellte. Trotzdem ist es, um Mißverständnisse zu vermeiden, ratsam, auf derartige Zitate zu verzichten. Gleiches gilt für Einschätzungen Egon Bahrs. Dieser ansonsten bewährte Demokrat hatte sich unmittelbar nach Bekanntwerden der ersten Wahlergebnisse im Schmerz über den verpaßten SPD-Wahlsieg zu einer unsäglichen Stellung-nahme hinreißen lassen: »Was ich in dieser Zeit in der DDR gesehen habe, hat mich zutiefst empört. Das waren die schmutzigsten Wahlen, die ich je in meinem Leben beobachtet habe... Die gesamte Wahlkampagne wurde zu einer von der westdeutschen CDU/CSU gesteuerten Aktion gemacht... In kleineren Städten in Thüringen und Sachsen wurden vielen bekannten Mitgliedern der SPD und der PDS heimlich Drohbriefe bis hin zu physischer Abrechnung zugestellt. In Suhl wurden einem Jugendlichen, der dazu aufrief, die SPD zu wählen, beide Beine gebrochen, und er lag auf dem Platz, bis er Hilfe erhielt. Auch Kinder mußten herhalten. Man gab ihnen Westgeld, damit sie durch die Höfe laufen und Flugblätter der Deutschen Sozialen Union, der Tochterpartei der westdeutschen CSU, verteilen. Das war reinster psychischer Terror nach Goebbels-Manier. Ich möchte wiederholen, daß dieser politische Schmutz aus der BRD exportiert wurde.« Es versteht sich, daß solche Auslassungen in den Reden und Artikeln zum Wahljubiläum keinen Platz finden sollten. Überzeugender und bewegender ist es dagegen, abschließend noch einmal den Kanzler der Einheit als Mensch in den Vordergrund zu rücken und darüber zu berichten, wie er laut Augenzeugen am Wahlabend ruhig und gelassen hinter seinem mächtigen Schreibtisch die Wahlberichterstattung im Fernsehen verfolgte, wie er anschließend in der »Elefantenrunde« im ZDF -Studio die Ostdeutschen mit den Worten »Nach 40 Jahren Schattenseite deutscher Geschichte streben sie danach, auf die Sonnenseite der Geschichte überzugehen« zornig gegen den Vorwurf verteidigte, sie hätten sich »für die DM verkauft«, und wie er schließlich nach getaner Arbeit mit seinen engsten Mitarbeitern ins italienische Restaurant »Isola d´Ischia« ging, die Champagnerkorken knallen und anstoßen ließ auf »die erste wirklich freie Wahl in der DDR«.
Erschienen in Ossietzky 5/2005 |
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