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Das Arbeitsentgelt muß der Leistung entsprechen und zum Lebensbedarf für den Arbeitenden und seine Unterhaltsberechtigten ausreichen...« – Zitate aus der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dezember 1946, die noch viele ähnliche Bestimmungen enthält. Sozialismus, wie in Stein gemeißelt. Und jeder Satz so fern von der Realität des 21. Jahrhunderts. Anfang 2002 war es denn auch so weit: Die hessische FDP forderte eine umfassende Revision des einst durch Volksentscheid mit Zweidrittelmehrheit angenommenen Staatsgrundgesetzes. Der Koalitionspartner CDU reagierte eher reserviert, während sich SPD und Grüne, eingedenk früherer gemeinsamer Pläne, aufgeschlossen zeigten. Die Sozialdemokraten hatten unter anderem von einem Staatsziel »Arbeits- und Lehrstellen« geträumt. Eine Enquête-Kommission, beraten von einer Bertelsmann-Forschungsgruppe, gebar drei kleinere Änderungen, darunter die Verlängerung der Legislaturperiode des Landtags. Das Hessenvolk stimmte am Rande einer Landtagswahl zu, wie ihm in allen Medien nahegelegt worden war. In der folgenden Wahlperiode ging es dann richtig zur Sache. Jeder durfte seinen Wunschzettel schreiben und nach Herzenslust schwadronieren. Neben der FDP taten sich vor allem die Grünen mit Erfindungsreichtum hervor. Sie lieferten gleich eine griffige Parole mit: »Eine Verfassung gehört nicht ins Museum, sondern in die Mitte der Gesellschaft.« Das gefiel allen. Im Dezember 2004 kam nun der sogenannte Kommissionsvorschlag heraus. Er will die Präambel und nicht weniger als 16 Artikel geändert oder gestrichen sehen. Das reicht von Banalitäten wie der anderweitigen Verortung des erst 2002 eingefügten Staatsziels »Sport« über die Aufhebung einer Vorschrift, die den Angehörigen der einstigen hessischen Fürstenhäuser die Übernahme von Ministerämtern verbot, bis zur Erleichterung von Verfassungsänderungen: Wenn sie im Landtag eine Zweidrittelmehrheit finden, soll die bisher notwendige Volksabstimmung entfallen. Schwerpunkt der Renovierung ist jedoch, man ahnt es, der Abschnitt »Soziale und wirtschaftliche Rechte und Pflichten«. Er spiegelt unter allen deutschen Landesverfassungen am getreulichsten wider, was am Ende von Diktatur und Krieg weitgehend Gemeingut aller Demokraten war: Wirtschaftliche Macht zerstört Demokratie und gebiert Krieg. Selbst die CDU formulierte in ihrem Ahlener Wirtschaftsprogramm vom Februar 1947: »Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.« Dem wollten die hessischen Parteien, mit Unterschieden im Detail, in dem Verfassungswerk begegnen. Den von SPD, KPD und CDU erzielten Kompromiß trug allein die LDP nicht mit. Heute nun bejubelt ihre Nachfolgerin, die FDP, die verabredete »Modernisierung der Wirtschaftsverfassung«. In der Tat: Die Aufhebung des unbedingten Aussperrungsverbots, die Streichung von Sozialisierung und Bodenreform sowie die Entwertung der Sozialversicherungsgarantie durch die Maßgabe der Leistungsfähigkeit bringen das bald 60 Jahre alte Regelwerk mit einem Schlag auf die Höhe der Zeit. Krönung ist allerdings der neue Artikel 38. Er verknüpft das Credo des Kapitalismus, die Freiheit wirtschaftlicher Betätigung, mit der bisherigen, ihm stracks zuwiderlaufenden Verpflichtung der Wirtschaft auf das Volkswohl. Man fühlt sich an die wirre Parole erinnert, die durch das revolutionäre Frankfurt von 1848 geisterte: »Mir wolle Pressefreiheit un Zensur!« Die Staatsrechts-Kommentatoren würden einen derart mißlungenen Formelkompromiß vermutlich bald für nicht vollziehbar erklären und die Freiheit der Wirtschaft dem Grundgesetz entnehmen, das Bindungen wie in Hessen nicht kennt. Die Interessenten sind des Lobes voll über ihr Werk. »Ein großer Wurf!«, schwärmt Axel Wintermeyer von der CDU und nennt ausdrücklich auch den der Präambel implantierten Gottesbezug. Der Grüne Andreas Jürgens sieht »die Tradition der Hessischen Verfassung als Volksverfassung im besten Sinne fortgesetzt« und appelliert an die Gewerkschaften, die Reform nicht zu blockieren. Ihm sekundiert Dieter Posch von der FDP, der die SPD »zurückrudern« und »im Würgegriff des Deutschen Gewerkschaftsbundes« sieht. Die also angesprochenen Sozialdemokraten stehen da wie das Kind beim Dreck. Sie haben sich in eine fast ausweglose Lage hineinmanövriert. Nun treten sie auf die Bremse, fordern eine breite öffentliche Debatte über den Kommissionsbericht und hoffen, daß die anderen Parteien die Abrede einhalten, Änderungen nur im Konsens vorzunehmen. Ausdrücklich wünscht die SPD, daß die Verfassung auch künftig nur durch Volksabstimmung geändert werden darf, daß der »Bürgerversicherungs-Artikel« von 1946 erhalten bleibt und daß Tarifverträge Vorrang vor Betriebsvereinbarungen behalten, denen jetzt ebenfalls Verfassungsrang zugedacht ist. Was sie im übrigen für unverzichtbar halten, ist für Außenstehende bisher nicht erkennbar. So ebnet sich eine Partei den Weg zum Abschied von ihren Wurzeln. Doch sollte sie den Sozialismus, den sie in Berlin schon lange auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen hat, in Wiesbaden verteidigen? Schnell weg damit, bevor etwa jemand auf die Idee kommt, zu dem brutalen Kapitalismus, der viele Millionen Menschen arbeitslos macht, enteignet, entrechtet und ihrer Würde beraubt, müsse es doch eine Alternative geben.
Erschienen in Ossietzky 5/2005 |
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