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Das Soldatengesetz sagt in Paragraph 11 Abs. 2: »Ein Befehl darf nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde.« Und das Wehrstrafgesetz ergänzt in Paragraph 22, Abs. 1, daß ein Befehlsverweigerer »nicht rechtswidrig« handelt, »wenn der Befehl nicht verbindlich ist, insbesondere wenn er (…) die Menschenwürde verletzt oder wenn durch das Befolgen eine Straftat begangen würde«. In diesem Sinne haben vier Friedensaktivisten, darunter ich, im März, Juni und November 2004 die im rheinland-pfälzischen Büchel stationierten, zur Bewachung und Wartung US-amerikanischer Atombomben eingesetzten Bundeswehrsoldaten in Flugblättern darauf hingewiesen, daß die »nukleare Teilhabe« der Bundeswehr gegen das Völkerrecht und das Grundgesetz verstößt. Wir forderten die Soldaten auf: »Verweigern Sie konsequent Ihre entsprechenden Einsatzbefehle! Lehnen Sie sich auf gegen jegliche Unterstützung der nuklearen Teilhabe! Ermutigen Sie Ihre Kameraden, sich Ihrem Ungehorsam anzuschließen!« Über diese Aktion habe ich in Ossietzky 21/04 berichtet – und auch schon über die Reaktion der Staatsanwaltschaft Koblenz, die uns beim Amtsgericht Cochem wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten anklagte. Was sich dann am 23. November im Gerichtssaal abspielte, hat Elke Steven in Ossietzky 25/04 geschildert. Inzwischen liegt das schriftliche Urteil vor, in dem das Gericht begründet, warum es Johanna Jaskolski und Wolfgang Sternstein zu Haftstrafen (ohne Bewährung), Martin Otto zu 40 Tagessätzen, mich zu 45 Tagessätzen und uns alle auch zur Erstattung von Verfahrenskosten verurteilt hat. Ich schwanke, ob ich es für ein bemerkenswertes Zeitdokument halten soll oder für das klägliche Selbstzeugnis eines überforderten Richters, der sich einfach nicht vorstellen kann, daß der Staat Unrecht tut, und deswegen den Bürger schuldig sprechen muß, der staatliches Unrecht anprangert. Die Urteilsbegründung lautet in ihren Hauptpassagen: »Die Angeklagten haben öffentlich und durch Verbreitung von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat, nämlich der eigenmächtigen Abwesenheit nach § 15 WStG, der Fahnenflucht nach § 16 WStG, des Ungehorsams nach § 19 WStG, der Gehorsamsverweigerung nach § 20 WStG, der Meuterei nach § 27 WStG und der Verabredung zur Unbotmäßigkeit nach § 28 WStG aufgefordert (…) Es wird ohne Zweifel zum Ungehorsam gemäß § 19 WStG aufgerufen, denn aufgrund der ›angestrebten‹ Befehlsverweigerung ist nicht auszuschließen, dass dadurch wenigstens fahrlässig eine schwerwiegende Folge verursacht wird, beispielsweise wird durch die ›Befehlsverweigerer‹ die Schlagkraft der Truppe gefährdet, da die Anzahl der Einsatzkräfte dezimiert wird. Auch besteht dadurch eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Ebenso liegt ein Aufruf des Flugblattes zur Ungehorsamsverweigerung nach § 20 WStG vor. Es ist denkbar, dass sich ein Soldat angeregt durch das Flugblatt, auch nach wiederholter Befehlserteilung nicht zu dessen Befolgung veranlasst sieht. Zudem wird durch das Flugblatt zur Meuterei nach § 27 WStG aufgerufen, indem die Soldaten dazu angehalten werden, auch andere Kameraden zum Ungehorsam zu ermutigen und diese dann demnach folglich auch die Einsatzbefehle verweigern sollten. Eine Zusammenrottung von Soldaten mit dem Ziel der effektiven und gefährlichen Gruppendynamik zur Begehung von Wehrstraftaten ist somit nicht ausgeschlossen. Auch liegt in den Aufrufen des Flugblattes eine Verabredung zur Unbotmäßigkeit nach § 28 WStG , denn auch eine Verabredung zur gemeinschaftlichen Begehung einer Wehrstraftat ist durchaus denkbar und nicht unwahrscheinlich. Ein Aufruf zur eigenmächtigen Abwesenheit bzw. Fahnenflucht nach den §§ 15,16 WStG ist gleichfalls zu besorgen. Es ist nicht auszuschließen, dass Soldaten den Aufruf, sich nicht an den Einsatzbefehlen zu beteiligen bzw. diese zu verweigern, soweit verstehen, dass sie sich eigenmächtig von der Truppe entfernen bzw. Fahnenflucht begehen sollten.« Mal abgesehen von der gewiß unfreiwillig lustigen Wortschöpfung »Ungehorsamsverweigerung« ist es schon beeindruckend, was sich der Cochemer Amtsrichter Johann in seiner Phantasie alles ausmalt, zum Beispiel die »Zusammenrottung von Soldaten mit dem Ziel der effektiven und gefährlichen Gruppendynamik«, und gegen wie viele Paragraphen des Wehrstrafgesetzes wir vier Zivilisten mit unserem Flugblatt infolgedessen verstoßen haben sollen, zumal das Gericht auch noch einige Bestimmungen des Strafgesetzbuches (§§ 111, I, II, 25, 26) hinzufügt. An späterer Stelle des Urteils versteigt sich Richter Johann gar in folgende Überlegungen zur Frage der Verbindlichkeit oder Unverbindlichkeit von Befehlen: »im übrigen wäre die Rechtswidrigkeit der aufgeforderten Tat der §§ 19, 20 WStG nur dann entfallen, wenn der Befehl nicht verbindlich war, insbesondere, wenn dieser die Menschenwürde verletzt. Dies lässt sich indes nicht allgemein beantworten. Die Menschenwürde könnte dann verletzt sein, wenn eine Person zum bloßen Objekt, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt würde. Das wird man von einem möglichen Einsatzbefehl hinsichtlich eines direkten nuklearen Waffeneinsatzes durch die Bundeswehr nicht annehmen können, da die Bundesrepublik Deutschland aufgrund einer politischen Entscheidung auf den Besitz und auch den Einsatz von Atomwaffen verzichtet hat. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich politisch indes entschieden, eine Armee aufzubauen, diese zu bewaffnen und einem Militärbündnis beizutreten. Konsequenterweise würde dann unter Beteiligung des Bundestages, mithin der demokratisch legitimierten Vertretung des deutschen Volkes, und vor allem mit der Zustimmung der im Militärbündnis zusammengeschlossenen Partner entschieden, sich an einem bewaffneten Einsatz zu beteiligen. Diese Wertentscheidung der politisch Verantwortlichen und in diesem Fall auch der Gesellschaft führt letztlich dazu, dass auch die zum Gehorsam verpflichteten Soldaten (§ 11 Soldatengesetz), die zur Umsetzung der politischen Entscheidung verpflichtet sind, ihrem Einsatzbefehl im Grunde nach Folge leisten müssen.« Müssen Bundeswehrsoldaten dann eventuell auch bereit sein, im sogenannten Ernstfall die in Büchel gelagerten Atombomben einzusetzen? Aufgrund einer »Wertentscheidung der politisch Verantwortlichen«? Ohne Rücksicht auf Völkerrecht und Grundgesetz? Auf diese zentrale Frage läßt sich der Strafrichter nicht ein. Er scheut das heiße Eisen der »nuklearen Teilhabe«, vermeidet jede Auseinandersetzung mit den von uns aufgeworfenen juristischen Problemen. Um so leichter fiel es ihm bei der Strafzumessung, mit harter Faust zuzuschlagen. Mit unserer Meinungsfreiheit wurde er schnell fertig: Dieses Grundrecht werde eingeschränkt durch Paragraph 111 Abs. 1 StGB, der »die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr« schütze. »Den Angeklagten wird die Meinung zu vorliegendem Sachverhalt nicht verwehrt, sie haben indes nicht das Recht, über einen Aufruf zur Befehlsverweigerung ihrer Meinungsfreiheit Ausdruck zu verleihen.« Ich beurteile das Urteil so: Wie schon die Staatsanwaltschaft Koblenz verweigert das Amtsgericht Cochem die juristische Auseinandersetzung mit den Inhalten unseres Aufrufs. Beide begehen – um ein Wort aus dem Urteil zu verwenden – »Fahnenflucht« vor der eigenen Profession. Sie scheinen große Ängste zu haben. Nur nicht vor der Atombombe.
Die Berufungsverhandlung findet am 29. März um 9 Uhr vor dem Landgericht Koblenz (Karmeliterstraße 14) statt. Sicherheitshalber sollte man sich den Termin kurz vorher bestätigen lassen (Tel.: 0261/102-1752, Aktenzeichen: 2010 Js 32620/04 – 7 Ns). Wer den Aufruf unterzeichnen möchte (und damit allerdings die Einleitung eines Strafverfahrens riskiert) oder weitere Informationen zu dem Strafverfahren wünscht, wende sich an den Autor: Hermann Theisen, Moltkestraße 35, 69120 Heidelberg (). Spenden sind im Hinblick auf die weiteren Prozesse auf folgendes Konto erbeten: Sonderkonto Hermann Theisen, Sparkasse Heidelberg, Bankleitzahl 67250020, Konto 1000499036.
Erschienen in Ossietzky 4/2005 |
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