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Die ins Netz gestellte Liste soll die polnische Gauck-Behörde (IPN) zusammengestellt haben. Wildstejn behauptet, er habe die Liste illegal kopiert und ohne Wissen des IPN verbreitet. Polnische Zeitungen weisen allerdings darauf hin, daß der Journalist das niemals ohne Hilfe aus dem IPN hätte tun können. Diese scheinbar eigenmächtige Aktion, für die der Journalist vom Chefredakteur fristlos entlassen wurde, verliert ihren spontanen Charakter, sobald man fragt, wem sie politisch nutzt. Sie bildet den bisherigen Höhepunkt einer schon seit Herbst 2004 laufenden antikommunistischen Kampagne der äußersten Rechten. Ihre Wortführer im Parlament sind die »Liga polnischer Familien« (LPR), eine klerikal-nationalistische, von dem obskuren Radio Maryja gesteuerte Gruppierung, und die rechtsnationalistische Partei »Recht und Gerechtigkeit« unter Leitung der Brüder Kaczyñski. Diese Kräfte haben 1989 nicht mit am »Runden Tisch« gesessen, an dem die Vertreter der damaligen Regierungskoalition unter Führung der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) einerseits und die Aktivisten der Solidarnoœæ andererseits die Machtübergabe aushandelten. Und so verurteilen sie die damalige Politik der bürgerlichen Opposition als Verrat. Insbesondere attackieren sie die Entscheidung von Tadeusz Mazowiecki, dem ersten bürgerlichen Premierminister von 1989, keine »Generalabrechnung« mit den abtretenden Sozialisten zuzulassen und die Archive des Sicherdienstes (SB) verschlossen zu halten. Spätestens im September 2005 wird die Neuwahl des Sejm stattfinden. Die regierende Sozialdemokratie sieht aufgrund der prekären sozialen Folgen ihres neoliberalen Kurses und der nicht abreißenden Korruptionsskandale ihrer führenden Funktionäre einer sicheren Niederlage entgegen. Zudem ist sie durch innere Spaltungen zerrissen. Die nationalkatholische Rechte bläst zum Kampf gegen die »Postkommunisten«. Sie strebt eine »Dekommunisierung« an, die alle linken Parteien außerhalb des Gesetzes stellt. In einer »großen Putzaktion« sollen nicht nur die ehemaligen offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter des SB, sondern auch alle ehemaligen Funktionäre der PVAP und der Volksrepublik, insbesondere alle Staatsanwälte, Richter und Journalisten, von Regierungs-, Selbstverwaltungs- und Gemeindeämtern ausgeschlossen werden. Zum Auftakt der Hetzkampagne wurde die Sprecherin der Regierung Mazowiecki 1989, El¿bieta Niezabitowska, als Mitarbeiterin des SB entlarvt. Ihr folgten acht weitere Mitarbeiter der seinerzeit von Mazowiecki geleiteten Redaktion der katholischen Wochenzeitung Tygodnik Powszechny . Das Ergebnis ist öffentliche Hysterie. Einige Aktivisten kündigten an, die »Dekommunisierung« in die eigenen Hände zu nehmen und nunmehr unter den Professoren der Universität Kraków oder unter den wenigen liberalen Geistlichen der katholischen Kirche die inoffiziellen Mitarbeiter des SB aufzudecken. Dann folgte Wildsteijns »Bombe«. Die Kampagne richtet sich gegen die polnische Linke. Gleichzeitig kämpft man vor den Wahlen um die Vorherrschaft innerhalb des rechten Lagers. Offenbar sollen die nationalliberale »Bürgerplattform« und die – zur Zeit nicht im Sejm vertretene – »Freiheitsunion« ausgeschaltet werden. Außerdem geht es darum, das von Budgetkürzungen bedrohte und daher vorsichtig lavierende IPN zu einem schärferen Kurs der »Dekommunisierung« zu zwingen. Der Sicherheitsdienst hatte in der Volksrepublik Polen nicht 240 000, sondern rund 100 000 inoffizielle Mitarbeiter. Nach Auskunft von Professor Leon Kieres, Chef des IPN, enthält die Wildstejn-Liste alle Namen von Personen, die in den Akten des SB vorkommen, sei es als Mitarbeiter, als zu werbende Kandidaten, als Objekte der Observation oder der Verfolgung. Mehr noch, auch die aktiven hauptamtlichen Mitarbeiter der Spezialdienste sind verzeichnet – teilweise bis in die unmittelbare Gegenwart. Daher beschuldigen einige Staatsanwälte Wildstejn des Verrats von Staats- und Militärgeheimnissen. Mit der Veröffentlichung der 240 000 Namen brach die Hölle los. Zahlreiche der auf der Liste Verzeichneten beantragten Einsicht in ihre Akten, da sie sich sonst gegen die Diffamierung nicht wehren können. Die Hysterie führte zu öffentlicher Mordhetze. Rechte demonstrieren gegen Wildstejns Entlassung und erheben ihn zum Nationalhelden. Einsichtigere Bürger qualifizieren ihn als »Affen, der mit dem Rasiermesser die Büchse der Pandora geöffnet hat«, um eine Formulierung aus dem Internet zu zitieren. Wildstejns Schritt erinnert an einen früheren Versuch, mit Namen angeblicher informeller Mitarbeiter der SB Politik zu machen. 1993 bereitete der Innenminister der Regierung Hanna Suchocka, Antoni Macierewicz, eine solche Publikation vor. Sie wurde in letzter Minute vom damaligen Präsidenten Lech Wa³êsa gestoppt, der sich auf diesen Listen als informeller Mitarbeiter »Bolek« verzeichnet wußte. Wie später bekannt wurde, hatte sich der Präsident seine Akten ausgeliehen und sie dabei »gereinigt«. Macierewicz wurde aus der Regierung geworfen, doch stürzte darüber die ganze Regierung Suchocka. Nach der Wahl von 1993 regierte eine Koalition aus Sozialdemokratie und Bauernpartei. Die gegenwärtige Regierung Belka wird über Wildstejns Aktion nicht stürzen, sie wird die Wahl aller Wahrscheinlichkeit nach verlieren, denn die sie tragenden Kräfte befinden sich in Auflösung und erweisen sich in der gegenwärtigen Hysterie als resigniert und wehrlos. Die amtierende Regierung ist zu schwach und Präsident Alexander Kwaœniewski nicht willens, der rechtswidrigen Aktion zu begegnen. Die heutigen Geheimdienste Polens, UOP, ABW und WSI, werden seit 1989 von den reaktionärsten Kräften beherrscht. Die von der Sozialdemokratie geführten Regierungen nach 1993 und nach 1998 hatten niemals die Courage, sie aufzulösen oder grundlegend umzugestalten, obwohl Beweise vorlagen, daß diese Dienste gegen die legalen Regierungen tätig waren. Die kritische Öffentlichkeit macht jetzt das IPN für die Zusammenstellung der 240 000 Namen verantwortlich. Zu Recht. An dieses Institut wäre aber auch die Frage zu stellen, warum es bisher nicht imstande war, beispielsweise Listen der politischen Gefangenen unter Gomu³ka, Gierek und Jaruzelski einerseits und unter dem Sanacja-Regime (1926-1939) zusammenzustellen. Bereits die zahlenmäßige Proportion spräche Bände, sie beträgt mindestens 1:1000 zulasten der heute verherrlichten II. Rzeczpospolita einschließlich ihrer Pilsudski-Diktatur. Aber das zur Verteufelung des »Kommunismus« institutionalisierte IPN wird keine Tatsache erforschen oder bekannt machen, die das Bild der Volksrepublik Polen als des übelsten aller Übel relativieren könnte.
Erschienen in Ossietzky 4/2005 |
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