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Januar sollte das neue System funktionieren, und die Obrigkeit hatte feierlich versprochen, die Alten und Armen würden keinerlei finanzielle Verluste erleiden – was sich als Lug und Betrug erwies. Nur in einigen Regionen der Russischen Föderation wurde tatsächlich Geld ausgezahlt, aber es stellte sich heraus, daß der gewährte Betrag nur ein Viertel oder gar ein Fünftel der zu zahlenden Gebühren ausmachte. In vielen anderen Regionen gingen die Leute leer aus, weil in den öffentlichen Haushalten solche Ausgaben gar nicht vorgesehen waren. Eine administrative Schwierigkeit kam hier ins Spiel: In Rußland gibt es zwei Kategorien von Rentnern, solche, die föderal, und solche, die regional zu versorgen sind. Für die erstgenannte Kategorie hatte Moskau den Gouverneuren zunächst zugesagt, die Kosten der Umstellung auf Barauszahlungen zu übernehmen, aber das stellte sich dann als leere Versprechung heraus. Also sollten die Regionen alles aus den eigenen Kassen finanzieren – aber woher nehmen? Die Folge war, daß Rentner, die bislang mit ihren Ausweisen kostenlos gefahren waren, nun aus den Bussen rausgeworfen oder beim Zugang zu den U-Bahnen angehalten und abgedrängt wurden. Kein Wunder, daß sie sich wehrten, Straßen sperrten und Büros stürmten. Die Obrigkeit hat inzwischen Zugeständnisse gemacht, manche Gouverneure sind zum alten System zurückgekehrt, und die Regierung versucht es nun mit Rabatt für Rentnerfahrkarten. Zur Zeit weiß niemand, was bei alledem herauskommt, aber klar ist: Rußlands Obrigkeit will soziale Verpflichtungen los werden, die sie aus sowjetischen Zeiten geerbt hat. Und diese Politik trifft Menschen, die mit ihren Hungerrenten sowieso nicht auskommen. Massenproteste haben die Regierenden partiell zum Rückzug bei den »Reformen« gezwungen. Zu befürchten ist, daß sie keine dauerhaften Einsichten bewirkt haben. * In einem Moskauer Restaurant kam es kürzlich zu einer Massenvergiftung. Eine zum Essen verabredete Gesellschaft hatte das vom Kaukasus stammende heilkräftige Mineralwasser Borshomi bestellt. Kaum hatten die Gäste davon getrunken, brauchten sie den Notarzt. Statt mit Mineralwasser waren sie mit einem Gemisch von Leitungswasser und Alkali bewirtet worden – illegal hergestellt irgendwo in einer verfallenen Werkhalle oder einem Keller. Das Leben ist immer gefährlich, erst recht das Leben in einer Welt von Falschwaren. Rußland ist heutzutage mit Imitationen aller Art und minderwertigen Artikeln überschwemmt. Vor Weihnachten mußten die Behörden beispielsweise einen großen Posten chinesischen Spielzeugs beschlagnahmen. Es war aus krebserregendem Material hergestellt. Wer ahnt, daß er durch Milchprodukte vergiftet werden kann? Die Medien berichten immer mal wieder über solche Fälle. Untersuchungen werden eingeleitet, doch ihre Ergebnisse bleiben meistens geheim. Vielleicht wird jemand zur Verantwortung gezogen und sogar bestraft, wir erfahren davon nichts. Die Herstellung von falschem Wodka hat das Ausmaß einer nationalen Katastrophe angenommen. Was uns angeboten wird, ist oft weniger ein Natur- als Chemieprodukt, aus dem Kaukasus nach Rußland geschmuggelt, mit Leitungswasser verdünnt und zu einem Preis abgesetzt, den sich anspruchslose Freunde des »Feuerwassers« gerade leisten können: 30 statt 100 Rubel je halben Liter. Eine amtliche Statistik, wieviele Menschen schwere Vergiftungen erlitten, erblindeten oder gar verstarben, wird nicht veröffentlicht. Wir erfahren aus dem Fernsehen: Jeder vierte Liter Benzin ist ein Imitat, ein Destillationsprodukt, dessen Oktanzahl durch technische Manipulation erhöht ist. Die Autos, vor allem zarte westliche Fabrikate, die mit solchem Kraftstoff gespeist werden, beginnen zu stottern, ihre Motoren sind bald ruiniert. Und wer unternimmt etwas dagegen? Gelegentlich finden Razzien statt, aber das falsche Benzin bleibt an den Tankstellen, gerade hier im Großraum Moskau. Ich rede nicht über die relativ harmlosen Fälschungen von Markenartikeln – Adidas-Kleidung, Salamander-Schuhe oder CDs; dadurch nimmt niemand Schaden an der Gesundheit. Aber die Arzeimittel... Das ist wirklich das Schlimmste: Jedes dritte pharmazeutische Präparat ist eine Fälschung, wie uns das Fernsehen aufklärt. Was sollen die Normalverbraucher dagegen tun? Vorsichtig sein und nicht die Nachahmung kaufen, lautet die Anweisung. Wie wir die Spreu vom Weizen trennen sollen, bleibt im Dunkeln. Ich jedenfalls kann mir ein eigenes Untersuchungslabor nicht leisten. Alles falsch? Das würde ich denn doch nicht sagen. Falsch sind unsere Legislative und Exekutive. Falsch sind ihre Mittel. Falsch sind ihre Wege und Ziele.
Erschienen in Ossietzky 4/2005 |
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