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Deutschland krankt weder an zu hohen Arbeitskosten in Relation zur Produktivität noch an überbordendem Sozialstaat noch an ungünstiger demographischer Entwicklung. Deutschland krankt eher an den Medikamenten, die man ihm gegen die falsch diagnostizierten Krankheiten einflößt. Worum geht es wirklich? Seit Jahren haben wir eine gespaltene Konjunktur. Deutschland ist das wettbewerbsstärkste Land der Welt – wie jetzt selbst der mehrheitlich neoliberal besetzte Sachverständigenrat der Bundesregierung bescheinigt hat. Den Titel Exportweltmeister verdienen wir sowohl für den Gesamtwert der Exporte als auch für den Exportüberschuß, allerdings erkauft durch eine lahmende, schwache Binnennachfrage. Infolge der einseitig forcierten Auslandsorientierung hatten wir in den letzten vier Jahren nur ein jahresdurchschnittliches reales Wirtschaftswachstum von gerade einmal 0,6 Prozent. Der vielbeschworene Aufschwung, der die Arbeitslosigkeit verringern sollte, blieb aus. Vielmehr stieg die Zahl der registrierten Arbeitslosen zwischen 2001 und 2004 um 529 000 (13,7 Prozent). Zählt man die verdeckte Arbeitslosigkeit (Kurzarbeiter, Teilnehmer an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Weiterbildung u.a.) und die Menschen dazu, die es wegen Aussichtslosigkeit aufgegeben haben, ihre Arbeitskraft anzubieten (die sogenannte stille Reserve), so fehlen in Deutschland fast acht Millionen Arbeitsplätze. Gleichzeitig ist – trotz einer enormen Zunahme an Teilzeit- und für den Lebens-unterhalt oftmals unzureichenden Beschäftigungsverhältnissen – die Zahl der Erwerbstätigen seit 2001 um 1,2 Prozent zurückgegangen und das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen sogar um 1,7 Prozent. Dies ist die Folge eines äußerst schwachen realen Wirtschaftswachstums im Inland, das unterhalb des Produktivitätswachstums lag. Sinnvoll wäre es deshalb gewesen, die Arbeitszeit je Erwerbstätigen massiv zu senken, um damit zumindest die Beschäftigung zu halten. Statt dessen wurde aber die durchschnittliche Arbeitszeit je Erwerbstätigen zwischen 2001 und 2004 nur um 0,5 Prozent gesenkt. Dies zeigt, wie töricht die Forderungen nach Arbeitszeitverlängerung sind. Genauso falsch sind Lohnsenkungen. Der private Konsum, das größte Bereich und stärkste Motor der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, geht seit 2002 zurück. Verantwortlich dafür sind stagnierende und real abnehmende Masseneinkommen. Schon lange hat die Lohnpolitik den produktivitätsorientierten Pfad verlassen. Der Anstieg des Reallohns bleibt hinter der Produktivität zurück. Hierdurch kommt es zu einer Umverteilung vom Lohn zum Gewinn. Die Lohnzurückhaltung hat dazu geführt, daß die Lohnstückkosten in Deutschland nur um 0,44 Prozent gestiegen sind (in den Ländern der Europäischen Währungsunion insgesamt dagegen um 2,01 Prozent) und daß sich insofern die Wettbewerbsbedingungen für deutsche Firmen verbessert haben. Sie hat aber nicht zu Beschäftigungsanstieg und Abbau der Arbeitslosigkeit geführt – entgegen allen Behauptungen und Verheißungen der Neoliberalen. Die Löhne müßten nur sinken, um Beschäftigung zu generieren und Arbeitslosigkeit zu reduzieren – so ihre Irrlehre, die von der Empirie seit langem widerlegt ist. Die Besonderheit der Löhne, sowohl Kostenbestandteil als auch Einkommensgröße zu sein, ist eine der vielen Rationalitätsfallen kapitalistischer Ordnungssysteme. So stellt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zu Recht fest: »Es mag sein, daß Lohnsenkungen in einzelnen Betrieben partiell Arbeitsplätze sichern und Verlagerungen aufschieben können. Als Rezept für eine gesamte Volkswirtschaft taugt dies nicht: Niedrigere Löhne senken zwar die Kosten, hemmen gleichzeitig aber auch die Binnennachfrage. Im Falle Deutschlands konnten die dadurch induzierten Exportsteigerungen diesen Rückgang nicht ausgleichen.« Dies wird auch zukünftig so sein. Egal wie sich die Exportdynamik noch entwickeln mag, für einen nachhaltigen Aufschwung mit spürbar größerer Nachfrage nach Arbeitskräften wird sie nicht ausreichen. Aber auch auf ein weiterhin florierendes Exportgeschäft ist kein Verlaß: Von einem weiter steigenden Euro-Kurs gehen beträchtliche Gefahren für die Exportwirtschaft aus. Durch Lohnsenkungen gerät zudem das Preisniveau unter einen gefährlichen deflatorischen Druck. Die Inflationsrate bewegt sich mittlerweile unterhalb der Ein-Prozent-Marke. Wenn immer mehr Nachfrage ausfällt, sinken die Preise, und für die Zukunft werden dann immer noch weitere Preissenkungen erwartet. Die Realzinsen sind selbst nach den in letzter Zeit von der Europäischen Zentralbank (EZB) vorgenommenen Nominalzinssenkungen bei einer niedrigen Inflationsrate in Deutschland immer noch zu hoch. Sie dämpfen die Investitions- und Konsumbereitschaft. In einem einheitlichen Euro-Währungsraum kann sich allerdings die Zentralbank bei der Festlegung ihrer Geldpolitik nur an der durchschnittlichen Preis- und Wirtschaftsentwicklung der Länder orientieren. Vor der Europäischen Währungsunion konnte dagegen die Deutsche Bundesbank moderate Lohn- und Preiserhöhungen noch mit niedrigen Zinsen belohnen. Dies kann die EZB nicht. Deshalb profitiert zum Beispiel Spanien mit hohen Lohn- und Preissteigerungen von niedrigen, teilweise sogar negativen Realzinsen. Hier kommt es zu Wachstum, während in Ländern mit unterdurchschnittlichen Lohn- und Preissteigerungen und damit hohen Realzinsen, beispielsweise in Deutschland, Wachstum ausfällt. Die Geldpolitik hat hier eine prozyklische Wirkung. Die weiter steigende Arbeitslosigkeit tut ein Übriges, die Konsumnachfrage zu schwächen. Sie stranguliert auf der Einnahmenseite nicht nur die staatlichen Sozialhaushalte, sondern Arbeitslose haben nun einmal weniger zum Ausgeben (mit Hartz IV noch weniger), und bei den Beschäftigten in den Unternehmen machen sich immer mehr Zukunftsängste breit. Beides lähmt den privaten Konsum und erhöht die gesamtwirtschaftliche Sparquote, die 2004 bei 10,9 Prozent des verfügbaren Einkommens lag. Da der Anstieg der verfügbaren Einkommen fast ausschließlich von den stark steigenden Gewinnen und Vermögenseinkommen der Kapitaleigentümer stammt, die viel sparen, bläht sich die Sparquote immer mehr auf. Dies wäre allerdings, sieht man von der Verteilungsfrage ab, noch kein Problem, würden die Unternehmen die Ersparnisse als Kredite für Investitionen nachfragen – was sie aber nicht tun. Bei schwacher Binnennachfrage und auch längerfristig schlechter Absatzerwartung wäre es betriebswirtschaftlich auch völlig irrational, zu investieren und sich dafür zu verschulden. Seit 2000 bauen die Unternehmen ihre Schulden ab und erzielen sogar Überschüsse: Gewinne und Abschreibungen auf den Kapitalstock übersteigen die getätigten Investitionen bei weitem. Wozu sollen Unternehmen da noch Kredite aufnehmen? Das gilt freilich nicht für alle Unternehmen gleichermaßen. Die mittelständische Wirtschaft ist nach wie vor auf Kredite angewiesen, erhält sie aber immer weniger, während mächtige Großunternehmen, bei denen sich mehr und mehr Kapital konzentriert, weitgehend zur Innenfinanzierung imstande sind. Außerdem beuten die marktmächtigen Konzerne als Auftraggeber den Mittelstand durch Anwendung von Nachfragemacht aus – mit der Folge, daß die Gewinne der Konzerne noch schneller steigen, während die Finanzkraft der mittelständischen Unternehmen weiter geschwächt wird. Die Insolvenzzahlen sprechen eine deutliche Sprache. Außerdem leiden die Mittelständler auf Grund ihrer hohen Verschuldung unter der beschriebenen deflatorischen Tendenz, wenn sie nicht mit einem Rückgang des Preisniveaus gerechnet haben. Ihre Kredite verteuern sich dadurch real. Profiteure der Deflation sind hingegen die privaten Vermögenseigentümer, die mittlerweile über ein Netto-Geldvermögen von mehr als 2,15 Billionen Euro verfügen, während der Staat als Schuldner mit gut 1,3 Billionen Euro Kreditsumme ebenfalls zu den Verlierern gehört. Zur Schwächung der Binnennachfrage trug neben der Lohnzurückhaltung auch eine völlig verfehlte Steuer- und Finanzpolitik bei. Die rot-grüne Bundesregierung senkt die staatliche Nachfrage nach Gütern und Diensten. Gleichzeitige Steuersenkungen lassen zwar das verfügbare Einkommen ansteigen, doch ob sich daraus Nachfrage und Wirtschaftswachstum entwickeln können, hängt davon ab, welche, also wessen Steuern gesenkt werden. Wenn zudem der Staat wegen sinkender Steuereinnahmen seine Ausgaben kürzt, bremst er selber die konjunkturelle Entwicklung. Da die große Steuerreform der Regierung, nach Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) das »größte Steuersenkungsprogramm in der Geschichte Deutschlands«, überwiegend Unternehmen und Vermögende und weniger die Arbeitnehmer entlastet hat, war der Nachfrageeffekt bescheiden. Ein Großteil der insgesamt 55 Milliarden Euro Steuerkürzungen in den Jahren 2000 bis 2004 erhöhte lediglich die Sparquote und senkte die gesamtwirtschaftliche Steuerquote auf den historischen Tiefstand von 22 Prozent. Die Steuergeschenke an die Reichen mußten teuer bezahlt werden: mit der Kürzung konsumtiver (Sozialleistungen, öffentlicher Dienst u.a.) und investiver Staatsausgaben (Infrastrukturmaßnahmen) sowie einer zusätzlichen Staatsverschuldung. Die öffentlichen Investitionen beliefen sich 2004 nur noch auf 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – ebenfalls ein historischer Tiefstand. Der kumulierte Finanzierungssaldo, also die zusätzliche Kreditaufnahme des Staates, betrug zwischen 2001 und 2004 gut 300 Milliarden Euro. Die Staatsquote, der Anteil der gesamten Staatsausgaben am BIP, nahm dennoch auf 47,6 Prozent ab. Die Bundesregierung verkauft dies als spektakulären Erfolg. Hätte nach einer einfachen Modellrechung im letzten Jahr die Staatsquote noch wie Mitte der 1990er Jahre 50 Prozent betragen, dann wäre der Ausgabenspielraum des Staates (einschließlich Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen) um fast 53 Milliarden Euro größer gewesen. Wichtige Projekte im Bildungswesen und Investitionen in die ökologische Infrastruktur hätten damit realisiert werden können. Um den Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt (ESWP) nicht zu verletzen, der eine Nettoneuverschuldung von maximal drei Prozent des BIP vorschreibt, wurden selbst im konjunkturellen Abschwung die Staatsausgaben prozyklisch, also krisenverschärfend gesenkt. Die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen (Hartz I bis IV) hemmten ebenfalls das Wachstum, so daß sich Deutschland dann doch Jahr für Jahr über die ESWP-Linie hinaus neuverschuldete. Eine restriktive Finanzpolitik in der Krise führt unweigerlich in die Schuldenfalle. Aus alledem ergibt sich: Die deutsche Wirtschaftspolitik muß ganz und gar umgesteuert werden. Sonst wird sich die Lage der Bevölkerungsmehrheit nicht verbessern, sondern weiterhin verschlechtern, der Staat wird ärmer werden, der erhoffte Aufschwung wird ausbleiben. Entgegen der Propaganda der Neoliberalen, von der sich Rot-Grün auf gefährliche Abwege hat führen lassen, müssen entsprechend dem Produktivitätsfortschritt die Löhne erhöht, die Arbeitszeiten verkürzt werden. Aus humanen wie aus volkswirtschaftlichen Gründen darf die Deregulierung der Arbeitsmärkte nicht weitergehen; wer mit Hartz statt der Arbeitslosigkeit die Arbeitslosen bekämpft, verstärkt die deflatorischen Tendenzen. Die Finanz- und Geldpolitik muß zu einem antizyklischen Verhalten zurückkehren. Zu diesem Zweck ist der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht nur zu modifizieren, sondern ganz abzuschaffen. Der Staat darf sich nicht länger zunehmend von den Lohnsteuerzahlern finanzieren lassen, sondern muß Gewinne und Kapitaleinkünfte endlich wieder nach dem alten finanzwissenschaftlichen Grundsatz der Leistungsfähigkeit besteuern. Die enormen Vermögen, die sich bei Einzelnen akkumuliert haben, sind mit einer Vermögensteuer und im Erbfall mit einer drastisch (mindestens auf die international übliche Höhe) anzuhebenden Erbschaftssteuer zu belegen. Kurz: Dringend geboten ist das glatte Gegenteil der bisherigen Wirtschaftspolitik.
Erschienen in Ossietzky 4/2005 |
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