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Doch gerade die Heuchelei – nichts Ungewöhnliches in Stoiber-Reden – bleibt in diesem Fall ungerügt. Sonst käme die viel größere Heuchelei zum Vorschein, die sich hinter der großen Empörung der Regierenden und der ihnen verbundenen Publizisten verbirgt. Die NPD – so suggerieren sie dem Publikum – ist ein Naturereignis. Sie fällt vom Himmel und landet ausgerechnet in unserem wohlregierten Deutschland. Niemand hierzulande kann etwas dafür, schon gar nicht die Regierenden und die Meinungsmacher. Unanständig, ihnen auch nur die geringste Mitverantwortung zu unterstellen… – Dieser Reflex, lange eingeübt, funktioniert geradezu automatisch. Wir erlebten die gleiche Empörung schon, als Oskar Lafontaine auf Ähnlichkeiten zwischen Hartz-Reformen und Brünings Notverordnungen hinwies. Ihm und uns allen wurde zu verstehen gegeben: Man darf jeden erdenklichen Unsinn von sich geben, aber keine historischen Wahrheiten. Jeder Vergleich zwischen Weimarer Zeiten und heute ist strikt verboten – auch jede Äußerung, die einen solchen Vergleich irgendwie nahelegen könnte. Also wehe dem, der etwa die hohen Arbeitslosenzahlen am Ende der Weimarer Republik erwähnt oder auf die Idee kommt, Otto Schilys Innenpolitik, zum Beispiel seine Methoden der Immigrantenabwehr, vor dem historischen Hintergrund der Politik des preußischen Innenministers Carl Severing zu untersuchen oder gar die notorisch weiße Weste der SPD mit der Erinnerung an den letzten sozialdemokratischen Reichskanzler Hermann Müller zu beflecken, der im Wahlkampf 1928 den Bau des von der Reichswehr gewünschten Panzerkreuzers mit starken Worten ablehnte, um gleich nach der Wahl den Auftrag zu erteilen. Schweigen, ewiges Schweigen über Noske. Und über Eberts Bündnis mit den reaktionärsten, brutalsten kaiserlichen Militärs. Und über all das, wogegen Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky in der Weltbühne tapfer gekämpft haben. Geschichte muß verleugnet werden, weil man sonst aus ihr lernen könnte. Die SPD als Partei der deutschen Mitte ist niemals an irgendetwas mitschuldig, ist nie Täter, sondern immer nur Opfer gewesen. Sie ist bis heute im Zustand der Unschuld geblieben und wird es bleiben immerdar. * Bei »Christiansen« hat die Gastgeberin, neben Friede Springer die einflußreichste Medienunternehmerin des Landes, liiert mit dem einflußreichsten Chemieunternehmer des Landes, zur Erörterung des Themas »Fünf Millionen Arbeitslose« den neuen Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Jürgen Thumann, den zuständigen Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement, die CDU-Vorsitzende Angela Merkel und den Ökonomie-, in Wahrheit aber eher Ideologie-Professor Jürgen Blume um sich versammelt. Früher hielt sie es noch für angebracht, jeweils einen Alibi-Gewerkschafter hinzuzuladen; die Zeiten sind vorbei. Das Gesamtkapital erklärt hier der Nation, was sie zu denken hat – nämlich das, was ein wohlsortiertes Publikum brav beklatscht. Die Antwort auf den Anstieg der Massenarbeitslosigkeit lautet: Weiter so! Noch mehr »Reformen«. Noch mehr Erleichterungen für die Unternehmer, also – aber das wird nicht ganz so deutlich ausgesprochen – noch mehr Belastungen fürs Volk. Professor Blume kommentiert Stoibers Äußerungen über die NPD lässig mit der Bemerkung, gefährlicher als die Rechten seien doch die Linken. Niemand widerspricht dem vornehmen Professor. Clement nickt ihm besonders oft zu. Die Dresdner »Weber«-Aufführung, in der ein Arbeitslosenchor gegen »Christiansen« protestiert, bleibt verboten, »Christiansen« aber wird weiterhin allwöchentlich zur besten Sendezeit nach dem »Tatort« ausgestrahlt, schon in der »Tagesschau« angekündigt und nachher in den Nachrichtensendungen und Montagsblättern ehrfürchtig zitiert. Das Nonplusultra deutscher Meinungsbildung. * Voriges Jahr versuchte Schily, dem Bundesverfassungsgericht die Schuld an der Fortexistenz der NPD zuzuschreiben. Es hatte den Verbotsantrag abgelehnt, weil Schily ihn mit Äußerungen von NPD-Funktionären begründet hatte, die von Verfassungsschutzämtern gesteuert und finanziert wurden. Jetzt schiebt das Gericht den Schwarzen Peter zurück: Schily möge einen neuen Antrag stellen. Das Schmierentheater (einschließlich der gelegentlich von der Regierung anberaumten »Aufstände der Anständigen«) wird weitergehen, die NPD darf weiterbestehen. Sie wird gebraucht. Sie muß Immigranten und Antifaschisten drangsalieren. Sie muß Naziverbrechen leugnen, damit uns die braune Vergangenheit nicht mehr quält. Sie muß soziale Probleme zu nationalen Problemen umlügen. Sie muß so tun, als verträte sie die Interessen der Arbeitslosen und der von Arbeitslosigkeit Bedrohten, damit diese nicht etwa selber – also demokratisch – aktiv werden. Und wenn es keine sogenannten Rechtsextremisten gäbe, könnten die Wortführer der sogenannten Mitte, also der bestehenden Macht, nicht immer wieder in schönster Ausgewogenheit vor den »Extremisten von links und rechts« warnen und ihre Entschlossenheit zur Gegenwehr sogleich durch Unterdrücken linker, vor allem antifaschistischer Proteste beweisen. (Das jüngste Berufsverbot gegen einen antifaschistischen Lehrer in Heidelberg, dem man nichts außer seinem antifaschistischen Engagement anlastet, spricht Bände.) An kritische Historiker und Publizisten – es gibt sie noch – ergeht hiermit die dringende Bitte, gründlich zu dokumentieren, wie seit Bestehen der Bundesrepublik Neonazi-Organisationen hochgepäppelt worden sind. Hier sei heute nur exemplarisch an einen Fall erinnert, den ich aus der Nähe beobachtet habe: In einem Lagebericht aus dem Jahre 1978 verbreitete sich das niedersächsische Verfassungsschutzamt über Terrorismus von links, dem es unter anderem einen Brandanschlag auf das Amtsgericht Hannover zuordnete. Einige Zeit später fand in Braunschweig ein Prozeß gegen eine Neonazi-Gruppe statt. Einer der Verteidiger brachte zum Vorschein, was der Staatsanwaltschaft angeblich nicht bekannt war: Einer der Angeklagten, der unscheinbar in der dritten Reihe saß, Hans-Dieter Lepzien, auch schon mal als NPD-Kandidat tätig gewesen, war Mitarbeiter des niedersächsischen Verfassungsschutzamts. In seiner Wohnung war die Neonazi-Gruppe gegründet worden. Er hatte den Kontakt zu einem Bombenbauer hergestellt. Er hatte den Sprengstoff für die Bomben besorgt. In seiner Wohnung wurden die Bomben einzelnen Aktivisten übergeben, darunter die, die am hannoverschen Amtsgericht hochging. Lepzien, der in der Gruppe die Funktion des »Sicherheitsbeauftragten« hatte, war vom Verfassungsschutzamt ermächtigt worden, an Straftaten wie der Einfuhr von Propagandamaterial der NSDAP-Auslandsorganisation (Sitz: USA) mitzuwirken. Von der Bombenproduktion und den Anschlägen will die Behörde jedoch nichts gewußt haben. In Wahrheit hatte sie, wie aktenkundig wurde, rechtzeitig vor den Anschlägen sogar noch eine Warnung des Berliner Verfassungsschutzamts erhalten, weil L. einem dortigen V-Mann über seine Pläne berichtet hatte. Welche Konsequenz hatte das niedersächsische Amt aus der Warnung gezogen? Es hatte L. den Kontakt zu dem Berliner V-Mann untersagt. L. wurde in dem Braunschweiger Prozeß verurteilt, aber das niedersächsische Innenministerium trug sämtliche Kosten für ihn und stellte ihm einen besonders teuren Münchner Anwalt, der im Revisionsverfahren eine Reduzierung des Strafmaßes erreichte. Beim Bundespräsidenten beantragte das Innenministerium, L. zu begnadigen; dem Antrag wurde stattgegeben. Den von L. angestifteten jungen Bombenlegern wurde solche amtliche Fürsorge nicht zuteil; sie konnten es sich nicht leisten, in Revision zu gehen. Selbstverständlich hat sich kein Geheimdienst oder Innenminister bei den Linken entschuldigt, denen die Terroranschläge öffentlich angelastet worden waren. * Jetzt zeigen sich führende Innenpolitiker wieder einmal fest entschlossen, etwas gegen die NPD zu tun: Sie wollen das Versammlungsrecht einschränken. Das wollen sie schon lange, aber sie ergreifen die günstige Gelegenheit und begründen ihre Absicht mit dem deutschen Ansehen in der Welt, das unter Bildern von durchs Brandenburger Tor oder zum künftigen Holocaust-Mahnmal marschierenden Neonazis leiden könne. Ich traue ihnen zu, solche Bilder notfalls selber zu produzieren, um Widerstände gegen ihren Grundrechts-, also Demokratieabbau auszuschalten. Für solche Pläne ist die NPD gut. Den Schaden haben andere. Nazis hängen nicht an Grundrechten und Demokratie. Während eifrige Berliner Journalisten die Zahl der Teilnehmer am hiesigen Karnevalsumzug auf eine Million hochjubeln, wird der Dresdner NPD-Aufmarsch kleingerechnet – sicher wieder in Sorge um das deutsche Ansehen in der Welt. Ihre Hauptaufgabe zu Beginn dieses Gedenkjahres hat die NPD bereits erfüllt: Die öffentlich-rechtlichen und die Konzernmedien sind 60 Jahre nach dem Bombenangriff auf Dresden voller Trauer. Das »Vakuum«, von dem der langjährige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf am nächsten Abend bei »Christiansen« schwafelt, füllt sich mit »nationaler Identität«. Wie schön für die Arbeitslosen, wenn sie nun doch endlich richtig stolz sein dürfen, Deutsche zu sein – wie es der britische Botschafter Sir Peter Torry unserem Volke in schönstem Einvernehmen mit der Talk-Gastgeberin zugesteht. Wenn sich doch wenigstens die Gewerkschaften an 1933 und ihr damaliges Versagen erinnern würden. Aber ver.di einigt sich mit Schily auf einen Tarifvertrag, der trotz Massenarbeitslosigkeit die Arbeitszeit nicht verkürzt, sondern verlängert und bei steigenden Preisen den Tariflohn für drei Jahre festschreibt.
Erschienen in Ossietzky 4/2005 |
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