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Gehören humane Entwürfe nicht auf die Bühne? Hat das Böse und schamlos Banale prinzipiell das letzte Wort? Was lassen uns die anderen großen Berliner Häuser dazu wissen? Verschreckt durch so viele schwarze Szenen suche ich einen Abend mit einem grundhumanistischen Text: Christa Wolfs »Kassandra« auf der Probebühne des Berliner Ensembles, szenisch vorgeführt von fünf jungen Schauspielerinnen unter Leitung von Eva Rößler. Die Damen stelzen feierlich umher, ein wenig rhythmisch betont, ebenso deklamieren sie. Damit soll vielleicht die Gediegenheit des Textes, die Botschaft verdeutlicht werden. Aber Christa Wolfs Texte wirken nicht auf dem Theater, sie wollen gelesen sein. Da wird berichtend die antike Heroen-Welt beschworen, doch die Figuren haben alle ein und denselben Rhythmus, Christa Wolfs eigenen. Sie ist für Worte zuständig, nicht für Szenen, sie ist nun einmal keine Dramatikerin (worüber sie sich selber nichts vormacht, wie ich kürzlich in ihrem Buch »Ein Jahr im Tag« las). Wozu dann aber solch eine Inszenierung? Eine gute Lesung hätte genügt und stärker gewirkt. Nach Heiner Müllers Tod vor zehn Jahren verschwand sein Werk fast überall von der Bühne wie er selber vom Bildschirm. Jetzt wird er hier und da wiederentdeckt. Jüngst brachte das Deutsche Theater »Germania. Stücke«, aus sieben Stücken montiert und inszeniert von Dimiter Gotscheff. Ein Schauspieler sei genannt: Robert Gallinowski, der aus einem Sprachkunstwerk ein Sprechkunstwerk gemacht hat. Keine Theater-Mätzchen. Sprache, die Geist in den Raum trägt, in die Köpfe. Müllers Geschichtsbegriff bleibt da so zwiespältig, wie er ist. Dann wieder einmal in die Volksbühne, wo Castorfs Wind weht, lauer geworden. Mit seinem Dostojewski-Zyklus hat er sich in die Theatergeschichte eingeschrieben. Nun folgt eine Version des »Spielers« unter dem Titel »Der Zocker« (wie modisch-einfältig). Der Bearbeiter und Regisseur, der Holländer Johan Simons, verkleinert den Radius und versimpelt die Idee der Geschichte: Alexej und andere Figuren sind nur Abzocker – ganz ohne Dostojewskis Abgründe. Dafür sehen wir viel modischen Krempel auf der Bühne. Das soll mal wieder Zeittheater sein. Schade für mich um die hundertsechzig qualvollen Spielminuten, schade für den eigentlich guten Schauspieler Samuel Finzi. Und was tut der Meister selber? Er inszenierte ein Märchen von Hans Christian Andersen, der in diesem Jahr wegen seines 200. Geburtstages geehrt wird: »Die Schneekönigin«. Nun ist gerade für Castorf ein Gedenktag gewiß kein zwingender Anlaß – aber welcher sonst? Das teilt sich nicht mit. Vor zehn Jahren noch wirkte Castorfs Ästhetik der Dekonstruktion und Dekomposition, zu der ihn die französische Philosophie vergangener Jahrzehnte angeregt hatte, provozierend, fast revolutionär. Das Pulver ist verschossen, und er hat nichts mehr zu entzaubern. Die vielen Gags – das Bügeln eines nackten männlichen Pos, ein Sofa mit Loch, wo alle durchfallen, die allmähliche Zerstörung der Bühne (ein Souterrain von Bert Neumann) – sind nur Gags, erzählen kaum etwas. Die Lautstärke bleibt immer gleich, außerdem wird schlecht, unverständlich gesprochen. Die Zeit, als Castorf noch auf große Weise irrte, scheint vorüber. Nun blieb nur noch der Weg ins Maxim Gorki Theater, wo sich die Sinnsuche derzeit zwischen Bankenstücken, Bibellesungen und Trauerarbeit bewegt. Kein schlechtes Programm. »Bankenstück« heißt ein solches von Lutz Hübner (Untertitel: »Das Geld, die Stadt und die Wut«), welches im Spielplan mit der »Dreigroschenoper« sinnreich korrespondiert. Man hat den neuen Manchester-Kapitalismus zum Thema gemacht, insofern hat das Theater seinen öffentlich-kritischen Auftrag verstanden – aber noch kaum künstlerisch-ästhetisch. Die Stücke sind Eintagsfliegen, die Inszenierungen schnell verbraucht. Solche Stoffe müssen erst ihre Form finden. Agitatorische Publizistik genügt nicht für die Bühne. Immerhin, das Publikum kommt, klatscht Beifall. Politisches Theater als poetisches Theater – man findet es in diesem Haus in »Trauer to go – Ein deutscher Abend« von Adriana Altaras, Annette Reber und Jockel Tschiersch. Ein Abend über deutsche Trauerarbeit am Beispiel des Verhaltens zum Denkmal für die ermordeten europäischen Juden. Die Autoren erfanden Texte und Szenen deutscher Wirklichkeit, daß es einen schaudert. So peinlich korrekt, daß es absurd wirkt, und als Theater des Absurden kommt es an. Es würde einen nicht wundern, wenn sich genau solche Szenen der Trauerarbeit bei der Einweihung des Shoa-Mahnmals im Mai abspielten. Zwischen Maxim Biller und Lea Rosh, zwischen allen Worten guten Sinns und allen Phrasen, zwischen Betroffenheit und Bösartigkeit, darf da auch gelacht werden? Es gibt Betroffene, die diese Art von Trauer nicht ernst nehmen können. Ich zum Beispiel. Adriana Altaras, mit der ich mich solidarisch erkläre, muß bitter gelitten haben, bevor sie dies inszenierte. An der Habima in Tel Aviv mit jüdischen Schauspielern hätte sie es leichter gehabt. Vor deutschem Publikum mehrerer Generationen reichen die szenischen Mittel nicht, die Dialektik von Dargestelltem und Darstellung auszuspielen. Einige besonders exzessive Szenen geraten aus der Kurve, können ins Peinliche entgleiten. Ein Kommentar von hoher Klasse ist die ausgewählte Musik von Richard Wagner bis Erwin Schulhoff, dem Theresienstädter. Doch wer wird ihn heraushören? Meine Spaziergänge durch Berliner Theater sind vorerst beendet. Was bleibt festzustellen? Wir haben keine große Zeit des Theaters. Antikapitalismus wird zum Thema. Aber zwischen Kritik und Apologie ist nur ein kurzer Schritt. Rasch wird aus dem Kapitalismus die menschliche Bestie geformt, die unveränderbar erscheinen soll: ein Stück Dreck. Das Menschenbild bleibt trübe, humane Möglichkeiten werden selten sichtbar gemacht. Komödien fehlen; gelacht wird meist nur zynisch. Theater deutscher Herkunft wächst nicht übers Provinzielle hinaus, Hoffnung und Weite kommen von außen. Hätte ich Preise zu vergeben, dann gäbe es zwei: den einen für »Tempus fugit« im Hebbel-Theater (s. O ssietzky 2/05) und dessen Internationalismus mit dem Willen, zur Humanisierung der Welt beizutragen, den anderen für »Trauer to go«, ein Bühnenwerk, das in der Auseinandersetzung mit einem großen Geschichtsthema Wege zu freierem Gehen nach vorn öffnet.
Erschienen in Ossietzky 3/2005 |
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