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Er hat nicht andres im Kopf als nach zwei Wochen Trennung seine geliebte Schönheit A. wiederzusehen und umarmen zu dürfen, aber er erkennt die Straßen und Plätze, in denen er erwachsen zu werden versuchte, nicht mehr wieder: man versammelt sich unter Rufen gegen die deutsche Obrigkeit und mit Freudenrufen an den obersten russischen Kahlkopf mit dem Feuerzeichen auf der Stirn. (Schon Nostradamus sagte voraus, daß am Ende ein Mann mit einem solchem Zeichen auf der Stirn in bester Absicht den Untergang der Welt einleiten werde)…« Diese Passage macht viel von Braschs Denk- und Dichtungsart deutlich. Geboren 1945 in Westow/Yorkshire in England wurde er 1946 in den Osten des in mehrerlei Hinsicht verwüsteten Deutschland verbracht, der sich alsbald anschickte, ein selbständiger Staat zu werden. 1976 hat er diesen Staat wieder verlassen und 1983 seine deutsche Staatsbürgerschaft abgegeben. Von dem Riß, den dieser Abriß ahnen läßt, wurde der Dichter geprägt. Er hat ihn auf seine künstlerische Weise bearbeitet und vorgezeigt. Nie ausgestellt! Brasch war Dramatiker, Filmemacher, Erzähler, Lyriker, und er war in allem, was er künstlerisch tat, Poet. Eine universelle poetische Begabung (die auch seine eigenwilligen Shakespeare- und Tschechow-Übertragungen durchdringt). In dem zitierten Tagebuch findet sich bald danach ein Gedicht: »ach, a. mit deinem schönen brennend roten haar/ nie war eine nacht so wunderbar und so sonderbar/ wenn angst und liebe sind ein paar/ sind alle worte wirklich wahr.« Das ist schön schlicht. Und schlicht schön. Gelegentlich ist angemerkt worden, daß in Braschs künstlerischen Produktionen die Lyrik eher eine Nebenlinie gewesen sei. Zufalls- oder Alltagsprodukte, hingeworfen mit leichter Hand. Das darf dahingestellt bleiben. Nur, für die Rezeption seines lyrischen Schaffens sollte dies nicht gelten, meine ich. Für mich ist Brasch in der DDR- und in der gesamtdeutschen Lyriklandschaft eine singuläre Erscheinung. Hermetik oder Innenweltlyrik waren dieses Dichters Sache nicht. In seinen Texten meint man beinahe die physische Präsenz des lyrischen Ichs zu spüren. Brasch schlägt sehr unterschiedliche Töne an. Er beherrscht mannigfaltige lyrische Formen und weiß sie auch souverän gegen den Strich zu bürsten. So gehen Nüchternheit, analytische Strenge und ein zuweilen elegischer Ton in seinen besten Texten eine symbiotische Verbindung ein. Er gelangt an die Grenze des Aussprechlichen, dabei gleitet er nie in Sentimentalität ab. Davor bewahrt ihn sein Vermögen, zwischen Alltäglichkeit und Unmittelbarkeit die Dinge hinter den Dingen zu sehen und dies mit großem Atem mitzuteilen. Zwischen Braschs Texten liegt eine große inhaltliche, aber auch ästhetische Spannweite. Zwei Beispiele also. Der erste Text heißt »Hamlet gegen Shakespeare« und handelt, grob gesagt, von der Utopie, daß die widermenschliche Ordnung zerbrochen wird durch eine menschenfreundliche Unordnung: »Das andere Wort hinter dem Wort./ Der andere Tod hinter dem Mord./ Das Unvereinbare in ein Gedicht:/ Die Ordnung. Und der Riß, der sie zerbricht.« Das zweite Gedicht trägt den Titel »Anna«: »Anna, komm, mein warmer Stein/ leg dich in mein Kissen/ trink von mir und trink vom Wein/ morgen werd ich nichts mehr sein/ nur das mußt du wissen.« Ein Vier- und ein Fünfzeiler, beide auf sehr unterschiedliche Art ich- und welthaltig. Braschs Fähigkeit, nüchtern und ironisch auch grauenvolle Sachverhalte zu vermitteln, führt in seinen Texten oft zu einem ernom dichten Sprachgewebe, wo es im Wortsinne auf jedes Wort ankommt. Im Text »Friede den Wächtern« wird in der ersten Strophe die Eingangssituation beschrieben. Es ist die eines Knastes in der DDR, in welchem Thomas Brasch 1968 wegen »staatsfeindlicher Hetze« im Zusammenhang mit dem Einmarsch der Staaten des Warschauer Vertrages in der CSSR einsaß. » An den Wänden die Drähte/ auf dem gebohnerten Fußboden Teppiche gegen/ den harten Schritt der Stiefel/ in deinen Rücken. Tür an Tür die Einzelzellen/ der neuen Gesellschaft. Wessen Straße ist die Straße.« Dieses »Wessen Straße ist die Straße«, ist aus einem Lied, dessen nächste Zeile lautet: »Wessen Welt ist die Welt ?«. Bitterer kann Ironie nicht sein. Und genauer nicht eine wirkliche Frage, die stehen bleibt. Peter Hacks' ironisches Verdikt, der mal schrieb, man sollte die Menschen nie vor die Wahl stellen, anständig zu bleiben oder gut zu speisen, faßt Thomas Brasch gleichsam von der anderen Seite her. Er zeigt uns das ständige Ringen um die Verhältnisse, in denen er lebt und in denen er versucht, er selbst zu bleiben. Aber dies nicht von einer individualistischen Position aus. Die Lyrik des Dichters dokumentiert seinen stetigen Kampf gegen das Verschwinden des Subjekts: »Wer sind wir eigentlich noch./ Wollen wir gehen. Was wollen wir finden./Welchen Namen hat dieses Loch,/ in dem wir, einer nach dem anderen,/verschwinden.« Dieses »Wir« im Text deutet auf Braschs Subjektverständnis hin, das wesentlich auch ein gesellschaftliches war. So vermag Brasch mit seinen Texten dem uniformen Individualitätszwang des Westens ebenso zu widerstehen wie Tendenzen dumpfen Kollektivierens in der DDR, die so manchen kreativen Menschen dort die Luft abschnürte. Er hat mit zuweilen anarchischem Gebaren auf einem Gebrauchtwerden als Subjekt bestanden, das unverträglich war mit der gesellschaftlichen Realität beider deutscher Staaten. Und mit dem zusammengenagelten Resultat des Epochenbruchs allemal. »Brasch will die Veränderung der Verhältnisse nach den Vorschlägen der marxistischen Philosophie konsequenter, kompromißloser, auch anarchischer…«, sagte Christa Wolf in ihrer Laudatio auf Brasch anläßlich der Verleihung des Kleistpreises in Frankfurt am Main. Das war 1987. Die Zeit eines anderen Entwurfes für gesellschaftliches Zusammenleben war da, wie wir heute wissen, fast abgelaufen. Daß die DDR mit einem solchen Menschen und Dichter nichts zu beginnen wußte, ja daß sie nicht mal in der Lage war, ihn (im produktiven Sinne) zu »ertragen«, ist eines der Zeichen ihres Versagens aus sich und an sich selbst. Die dieser Tatsache innewohnende tiefe Tragik kann in vollem Umfange nur ermessen, wer den Versuch, eine gesellschaftliche Alternative zu den (heute wieder) herrschenden Verhältnissen zu entwickeln, geteilt hat. 1983 hat Thomas Brasch nach ausführlicher Kenntnisnahme der west-deutschen Realität seine deutsche Staatsbürgerschaft aufgegeben: »Als einzige Sprache kennt die deutsche die Verschmelzung/ der schlimmsten Gegensätze zu einem brauchbaren Wort:/ Staat und Bürger: Das ist der Rest der großen Umwälzung:/ Als Staat pflanzt sich der Bürger fröhlich fort.« Das ist schön unlyrisch und trifft. Vor allem in Braschs späteren Texten greift sich Trauer ihren Raum, die, um ein Wort von Peter Huchel abzuwandeln, »in die Mitte der Dinge« rückt. Der Abgrund, der sich für das lyrische Ich auftut, wird mittels Sachlichkeit aussprechbar: »Schließ die Tür und begreife,/ daß niemandem etwas fehlt,/wenn du fehlst, begreife,/ daß du der einzige bist, der ohne Pause/ über dich nachdenkt,/ daß du die Tür schließen kannst/ ohne viel Aufhebens und ohne Angst,/ es könnte dich einer beobachten./ Dich beobachtet keiner./ Du fehlst keinem./ Wenn du das begriffen hast,/ kannst du die Tür schließen hinter dir.« Im November 2001 ist Thomas Brasch in Berlin gestorben. Es ist zu vermuten, daß in seiner Hinterlassenschaft noch mancher Schatz darauf wartet, einer breiteren Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht zu werden. Man kann den Verlagen nur ausreichend Mut dazu wünschen – gerade weil die gegenwärtige Rezeption der Arbeiten des Dichters eher verhalten ist und die Theater für Braschs Stücke beinah wie vernagelt scheinen. Dies halte für Zufall, wer mag. In Zeiten, in denen die surreal anmutende Reduktion des Menschen auf seine (marktförmige) Funktionalität bereits weitgehend alle gesellschaftlichen Bereiche durchdrungen hat, wirken Braschs Gegenentwürfe anachronistisch. Zu radikal und gegen den herrschenden Zeitgeist. Brasch ist das Thema am 19.2.05, seinem 60. Geburtstag, ab 15 Uhr im Kunsthaus ACUD, Veteranenstraße 21, Berlin-Mitte: Filme, Theater, Kunst, Lesungen mit Anna Thalbach, Carmen Maja Antoni, Alexander Polzin, anaximander, Stefan Suschke und anderen, Nähere Informationen unter www.acud.de
Erschienen in Ossietzky 3/2005 |
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