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Sie haben sich nicht erneut die Diäten erhöht (billiger sind eben tüchtige Mandatsträger hierzulande nicht zu haben), die Quelle der öffentlichen Erregung liegt tiefer, die Grundlagen unseres Staates scheinen in Gefahr. Einige (viele oder gar alle?) Volksvertreter im Bundestag haben sich klammheimlich ein Zubrot verschafft und sind dafür von zahlungskräftigen Gönnern unter Vertrag genommen worden. Die bange Frage lautet: Können sie, ausstaffiert von den Mächtigen, im Parlament noch unbeirrt das ganze Volk vertreten? Oder verstellt ihnen geschuldete Dankbarkeit den Blick? Die Juristen machen es sich leicht: Sie nennen die mandatsbegleitenden Arbeitsverhältnisse eine Nebentätigkeit, die meldungs- und genehmigungspflichtig sei. Die Abgeordneten haben also gefehlt, wenn sie die Einnahmequelle niemandem verraten haben. Nun überlegt man Sanktionen. Das Ärgerliche ist: Die Sünder sitzen in allen Fraktionen. Das dämpft die Emotionen in den Parteien. Die Jagd wird abgeblasen. Flugs haben die Parteien einander schon eine Zusammenarbeit signalisiert. Na bitte. Da sage einer, es mangele bei uns an Solidarität mit den Bedürftigen. Was wird bleiben? Nun, vielleicht ein gewisser Verstoß gegen die Ordnung, die staatliche. Diese allenfalls läßliche Sünde könnte wohl kaum zur schnöden Ablösung des Mandates führen. Eine Rüge vielleicht. Nebbich. Davon kriegt keiner ein Magengeschwür. So zartbesaitet sind die Leute nicht, die eben mal schnell unsere Sozialgesetzgebung makulieren, um die uns einst die ganze Welt beneidet hat. Wir wollten schon mit Achselzucken das verdrießliche Kapitel schließen, da bringt uns die Post einen Brief, der nachdenklich stimmt: Bernhard Drerup, Rechtsanwalt und Notar, Doktor der Jurisprudenz gar, teilt uns aus seiner Kanzlei in Münster seine ganz eigene Sicht der Dinge mit. Eine rein rechtliche, versteht sich. Sie unterscheidet sich von allem, das wir bisher gelesen haben. Dieser rechtschaffene Mann beurteilt kühl, mit wohltuender Sachlichkeit das Verhalten der Abgeordneten, korrekt nach Maßgabe unseres Grundgesetzes und der davon abgeleiteten Rechtsordnung. Er kommt zu dem unerwarteten, schockierenden wäre besser, also er kommt zu dem schockierenden Schluß, na was meinen Sie wohl: Nehmen Sie und lesen Sie seinen Brief, und prüfen Sie, ob dieser schlaue Fuchs aus Westfalen es ernst meint, bierernst vielleicht. Sehr geehrte Redaktion, ich bin wie jeder andere Bürger traurig und verärgert über Abgeordnete, denen ihre Privilegien nicht genügen und die deshalb ihre herausgehobene Stellung für private Geschäfte ausnutzen und sich dadurch ein kräftiges und nahrhaftes Zubrot verschaffen. Der Schaden, den diese Leute anrichten, ist unübersehbar: Es wächst der Argwohn, viele Politiker hätten weniger das Gemeinwohl als das eigene Konto im Auge. Aber macht die Bereitschaft, sich schmieren zu lassen, und macht die Annahme von Geschenken, Belohnungen, Aufsichtsratsposten, Beraterverträgen, ohne sie öffentlich zu nennen und als Nebentätigkeit genehmigen zu lassen, etwa untauglich, öffentliche Ämter zu bekleiden? Nimmt man als Grund der Regelung an, daß die Mandatsträger sich ganz ihrer Arbeit im Parlament widmen und vor allem darauf Acht geben müssen, daß sie mit dieser Tätigkeit dem ganzen Wolke dienen und nicht partikularen Gruppeninteressen, wodurch Abhängigkeiten entstehen, die im Sinne eines funktionierenden Parlamentarismus unerwünscht sind, dann dürfte die so geschützte Arbeit in der Legislative gewiß als Haupttätigkeit zu verstehen sein. In den Parlamenten hat sich aber allmählich eine Strukturwandlung vollzogen. Die Arbeit an den Gesetzen ist nach wie vor ein Schwerpunkt, doch wird der Abgeordnete durch einen Apparat von erstklassigen Assistenten entlastet, so daß er sich auf seine Arbeit im Wahlkreis konzentrieren kann, deren Vernachlässigung alle Parteien immer wieder beklagt haben. Erwünscht ist vor allem ein enger Kontakt mit Wirtschaftsverbänden, die durch den Abgeordneten stark in die parlamentarische Arbeit eingebunden werden. Wie schwach ist dagegen eine bloße Anhörung im Rahmen der parlamentarischen Beratungen. Der Abgeordnete, der seine Hand reicht, um ein vertrauensvolles, partnerschaftliches, freundschaftliches Verhältnis zu denen herzustellen, die durch Investitionen Arbeitsplätze schaffen und Wohlstand garantieren, verdient Lob und Anerkennung selbst dann, wenn er seine segensreiche Tätigkeit nicht an die große Glocke hängt. Die Tätigkeit ist ihrer Bedeutung nach keine Nebentätigkeit, sondern der Kern des ihm vom Wähler auferlegten Auftrags. Eine adäquate Gegenleistung mindert das Verdienst des Abgeordneten nicht. In einer Gesellschaft, der im steigenden Maße die Mittel fehlen, die Sicherung von Alter, Krankheit und Arbeitslosigkeit zu finanzieren, ist jede Hilfe willkommen. Nach allgemeiner Anschauung ist es weder verwerflich noch überhaupt zu tadeln, wenn selbst der Brave, Anständige das Ehrenamt als Relikt aus grauen Vorzeiten belächelt und nur kräftige Belöhnungen und Gegenleistungen ihn reizen können, sich als selbstlos und menschenfreundlich zu maskieren. Noch Schiller – bekanntlich ein hoffnungsloser Idealist – läßt seinen Dramenhelden Wilhelm Tell sagen: »Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt.« Das haben wir, seine Erben, ihm gründlich beigestrichen. »Der brave Mann denkt an sich, selbst zuletzt.« Kurz: Bei Anwendung der in anderen, längst vergangenen Zeiten verwendeten Vokabeln »Nebentätigkeit« und »Haupttätigkeit« ist die gesellschaftliche Veränderung einzubeziehen und die Bedeutung neu zu bestimmen. Angemerkt sei noch, daß der münstersche Anwalt in aller Biederheit versichert, diese Überlegungen aus eigenem Antrieb, ohne Auftrag und Honorar angestellt zu haben.
Erschienen in Ossietzky 3/2005 |
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