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Bis 1998 wollte keine Bundesregierung die Verantwortung für den Schadensausgleich übernehmen. Zuerst hieß es, die Entschädigung bleibe einem Friedensvertrag vorbehalten – der aber sabotiert wurde und nie zustande kam. Als endgültige Regelung der Folgen des 2. Weltkriegs galt dann der Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990, in dem jedoch das Thema Zwangsarbeit gar nicht angesprochen ist. Mitte der Neunziger Jahre erklärte zwar das Bundesverfassungsgericht individuelle Klagen für prinzipiell zulässig, doch die ehemaligen Zwangsarbeiter wurden mit der Behauptung abgewimmelt, ihre Ansprüche seien verjährt. Dieses beschämende jahrzehntlange Sich-Drücken vor historischer Schuld und Verantwortung hätte auch nach 1998 kein Ende gefunden, wenn nicht in den USA Sammelklagen gegen deutsche Industrie-, Versicherungs- und Bankenkonzerne erhoben worden wären. Aus Angst vor diesen Prozessen und vor allem aus Furcht vor Imageverlusten und Minderung von Profitchancen im Export gründete sich eine »Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft«. Mit Unterstützung der seit 1998 amtierenden SPD/Grünen-Bundesregierung verhandelte das deutsche Großkapital mit den Vertretern der Opfer über eine Möglichkeit, »Rechtssicherheit« vor den Klagen zu erreichen, um dann wieder ungestört seinen Geschäften nachgehen zu können. Nach einem zweijährigen peinlichen Gefeilsche zahlten Wirtschaft und öffentliche Hand je fünf Milliarden Mark in eine Stiftung ein, aus der symbolische Leistungen an die Opfer gezahlt werden. Die Hintergründe dieses bedrückenden Kapitels der Zeitgeschichte erhellt der Berliner Wirtschaftswissenschaftler Thomas Kuczynski in seinem Buch »Brosamen vom Herrentisch«. Kuczynskis Analyse ist schon deswegen bitter notwendig, weil sich die deutsche Wirtschaft nicht geniert hat, den Verhandlungsprozeß durch eine von ihr angestellte und bezahlte junge Historikerin im Stile der Hofberichterstattung darstellen zu lassen. Auch die durchaus lesenswerten Erinnerungen des amerikanischen Chef-Unterhändlers Stuart Eizenstat sind logischerweise von dem Bestreben geprägt, die eigene Rolle möglichst rosig erscheinen zu lassen. Um so dringender erforderlich ist eine kritische Analyse, wie Kuczynski sie vorgelegt hat. Der Autor läßt aber keinen Zweifel daran, daß er nicht »unparteiisch« an das Thema herangegangen ist, sondern selbstverständlich auf der Seite der Opfer steht. Kuczynski ist auch insofern nicht völlig »unbeteiligt«, als er 1999 – während die Entschädigungsverhandlungen liefen – ein Gutachten erarbeitet und darin vorgerechnet hat, wie hoch (einschließlich Zinsen) nach aktueller Währung der den Zwangsarbeitern vorenthaltene Lohn ist. Er kam auf einen Gesamtbetrag von 180 Milliarden DM und erklärte, dieser Betrag sei das mindeste, was man den Opfern schuldet (er selber hat dieses Thema wiederholt in Ossietzky behandelt). Daraus ist ersichtlich, in welch gigantischem Umfang sich Hitlers Kriegswirtschaft und damit auch Konzerne wie Siemens und Degussa fremde Arbeitskraft widerrechtlich angeeignet haben. Weder die deutsche Wirtschaft noch die Bundesregierung waren bereit, die Realitität der vorenthaltenen Löhne in dem von Kuczynski nachgewiesenen Umfang anzuerkennen. Doch widerlegt ist seine Berechnung bis heute nicht. Wenn man die Zahlen kennt, die Kuczynski in seinem Buch akribisch und nachvollziehbar zusammenrechnet, versteht man den Titel des Werkes: Zehn Milliarden Mark sind wahrhaftig nicht mehr »Brosamen« im Verhältnis zu den tatsächlichen Ansprüchen. Für den einzelnen Betroffenen blieben gerade einmal zwischen 5000 und 15 000 DM als »Entschädigung« für Deportation, Zwangsarbeit und unvorstellbares Leid übrig. Dieses Mißverhältnis klarzumachen, ist Hauptteil und Hauptverdienst der Abhandlung. Kuczynski klärt die Leser aber auch darüber auf, warum die Opfervertreter letztlich die zehn Milliarden Mark akzeptieren mußten. Er schildert in packender Weise die Finten der Verhandler, die nach der altrömischen Methode »divide et impera« die verschiedenen Opfergruppen entsolidarisierten. Schließlich spielte auch der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle. Es war abzuwägen, ob die hochbetagten Überlebenden überhaupt noch eine Entschädigung bekommen würden oder ob man sich auf langwierige Rechtsstreitigkeiten mit einem Gegner einlassen sollte, der entschlossen war, alles »auszusitzen«. Kuczynski zieht das zutreffende Fazit, auch das Gros der deutschen Bevölkerung habe keine echte Entschädigung, sondern nur einen »Schlußstrich« angestrebt. »Diese Mehrheit«, so sein Schlußsatz, »hat sich faktisch durchgesetzt.« Thomas Kuczynski, »Brosamen vom Herrentisch«, Verbrecher-Verlag Berlin, 188 Seiten, 13
Erschienen in Ossietzky 3/2005 |
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