Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Antwort an die Jammer-WessisSiegfried Wenzel Im vergangenen Jahr wurde in den Medien eine Kampagne gegen die »Aufbauhilfe Ost« angeschoben. »1259 Milliarden Euro – wofür? Wie aus dem Aufbau Ost der Absturz West wurde«, titelte der Spiegel in seiner Nummer 15/04. »Aufbau Ost lähmt das Land« war ein Aufmacher der Berliner Zeitung überschrieben . Ein Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung stöhnte in einem Interview: »Der Osten hängt der Bundesrepublik wie ein Mühlstein am Hals.« Man hat also endlich den Hauptschuldigen für die wirtschaftliche Misere der Bundesrepublik gefunden. Nicht eine verfehlte Wirtschafts- und Steuerpolitik ist dafür verantwortlich, sondern die »Last des Ostens«. Hauptgegenstand des West-Gejammers sind die sogenannten West-Ost-Transfers. Ähnlich wie der Spiegel beziffern auch Politiker und Wissenschaftlern sie für die Zeit seit dem Anschluß der DDR bis 2003 mit 1,3 Billionen Euro. Für diese Summe gibt es jedoch keine stimmigen Belege und Nachweise. Im Kleingedruckten spricht der Spiegel richtigerweise von »brutto«. Das unscheinbare Wörtchen besagt, daß vieles, was hätte gegengerechnet werden müssen, nicht gegengerechnet worden ist, zum Beispiel das Steueraufkommen aus den neuen Bundesländern, der Solidarbeitrag der Ostdeutschen oder auch die Tatsache, daß mehr als eine Million Pendler und Übersiedler den alten Bundesländern Nachfrage und Steuerbeiträge beschert haben. Und es bedeutet auch, daß beispielsweise das Absperren der EU-Außengrenze zu den mittel- und osteuropäischen Staaten bis zu deren Beitritt 2004, der Aufbau des Bundesgrenzschutzes und die Stationierung der NATO-Streitkräfte in Ostdeutschland als Hilfe für die neuen Länder gerechnet sind. Diese Tricks der Kohl-Waigel-Regierung wurden schon in den 1990er Jahren von allen führenden wirtschaftswissenschaftlichen Einrichtungen einschließlich der Deutschen Bundesbank zurückgewiesen. Die tatsächlichen West-Ost-Transfers in den 14 Jahren seit dem Anschluß betragen nach gründlichen Untersuchungen, die in verschiedenen Instituten geleistet worden sind, netto, also bereinigt um die gegenzurechnenden Beträge, 900 Milliarden Euro, rund 70 Milliarden Euro pro Jahr. Das entspricht etwa drei bis vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Bundesrepublik Deutschland. Ansehnliche Summen – aber nicht so gewaltig, daß die drittstärkste ökonomische Macht der Erde sie nicht beherrschen könnte. Ein beträchtlicher Teil der Transfer-Aufwendungen ist der Arbeitslosigkeit geschuldet, die nach amtlicher Zählung in Ostdeutschland doppelt so hoch ist wie im Westen. Daß nach dem Ende der DDR so viele Ostdeutsche arbeitslos wurden, ist in wesentlichem Maße aus den verfehlten Methoden des ökonomischen Anschlusses zu erklären, wofür man weder die Menschen im Osten noch das frühere dortige System verantwortlich machen kann. Mehr als die Hälfte der genannten Nettosumme wurde und wird als »Aufbauhilfe Ost«, vor allem als Investitionshilfe, eingesetzt. Jahrelang wurden 12,5 oder 25, in vielen Fällen sogar 50 Prozent des jeweiligen Investitionsaufwandes zugeschossen. Wer aber konnte im Osten investieren, selbst wenn er 50 Prozent staatlichen Zuschuß bekam? Eigentlich nur Westdeutsche, und zwar diejenigen, die über Kapital verfügten, hauptsächlich die großen Konzerne wie VW in Zwickau, Opel in Eisenach, BMW und Porsche in Leipzig. Ein wichtiger Aspekt des West-Ost-Transfers bleibt in den offiziellen Verlautbarungen wie in den Darstellungen der meinungsbildenden Medien regelmäßig ausgeblendet: Zum größten Teil fließen die in den Osten transferierten Mittel als Nachfrage nach Konsumgütern, Leistungen, Ausrüstungen und damit als Wachstum, also auch als Arbeitsplätze an Unternehmen in den alten Ländern zurück. Im Grunde ist es ein Kreislauf zugunsten der alten Länder, der sich von Jahr zu Jahr wiederholt. Die Einstellung dieser Zahlungen würde sofort zu einem großen Verlust an Wachstum und Arbeitsplätzen in den alten Ländern und in der Bundesrepublik insgesamt führen. Die Aufbauhilfe Ost und die Finanztransfers waren und sind das größte und am längsten anhaltende Konjunkturprogramm für die Wirtschaft, das es in der deutschen Wirtschaftsgeschichte je gegeben hat. Es ist deshalb kein Zufall, daß sich im Gegensatz etwa zu den Ministerpräsidenten Stoiber und Steinbrück die Spitzen der Wirtschaft noch niemals kritisch dazu geäußert haben. Zu dem viel verwendeten Begriff »Aufbauhilfe Ost« ist eine Anmerkung nötig: Besser würde man eigentlich von »Wiederaufbau Ost« sprechen. Denn vor dem Anschluß gab es eine Industrie, die rund 17 Millionen Menschen in allen Grundbedürfnissen versorgte. Zwei Jahre nach dem Anschluß stürzte die Produktion auf ein Drittel ab. Jetzt, nach 14 Jahren, hat sie gerade die Höhe von 1988/89 erreicht. Die Bevölkerung der DDR war – mit Mängeln und Schwächen – auf einem gesamtwirtschaftlichen Niveau etwa wie Österreich und Finnland versorgt. Der Pro-Kopf-Verbrauch von landwirtschaftlichen Produkten war in der DDR einer der höchsten in der Welt. Die Grundnahrungsmittel kamen komplett aus eigenem Aufkommen und wurden darüber hinaus noch exportiert. Heute deckt die hiesige Landwirtschaft den Bedarf nicht einmal mehr zur Hälfte. Die wie gesteuert erscheinende Jammer-Kampagne in den Medien, die für alle heutigen Probleme angebliche und tatsächliche Fehler des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems der DDR verantwortlich zu machen versucht, setzt konsequent die beim Anschluß dieses Landes an die BRD verfolgte Politik der »Delegitimierung« der DDR fort. Die »Delegitimierung der DDR und der SED-Herr-schaft« war ein erklärtes Ziel, verkündet vom damaligen Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) auf dem 15. Deutschen Richtertag. Diese Politik schloß und schließt die Delegitimierung dessen ein, was die Menschen der DDR unter schwierigen historischen Bedingungen, die von ihnen kaum zu beeinflussen waren, geleistet haben. Dazu gehört auch die Verunglimpfung und das beharrliche Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen mancher vernünftiger Lösungen für gesellschaftliche Entwicklungsprobleme. Ausreichende Betreuung für alle Kinder, Ganztagsschulen, unentgeltliche Gesundheitsversorgung, Vollbeschäftigung nicht nur der Männer, sondern auch der Frauen sind nur einige Stichworte. Die Entwertung der Ausbildung, der Abschlüsse und Berufe und die offiziell mit fast 20 Prozent angegebene Arbeitslosigkeit, die nun schon mehr als zehn Jahre andauert, liegen wie eine schwere Last auf den betroffenen Menschen. Auch das gehört zu den Kosten der Einheit und kann nicht in Geld erfaßt und ausgedrückt werden. Die Notwendigkeit der genannten Finanztransfers hat noch andere, in die Geschichte zurückreichende Gründe: Lange bevor nach dem Anschluß 1990 die West-Ost-Transfers einsetzten, hatten Ost-West-Transfers stattgefunden, die die Wirtschaft der DDR schwer schädigten, für die Entwicklung der alten Bundesländer dagegen – auf Kosten der DDR – sehr nützlich waren. Zu nennen sind hier vor allem die Nachkriegsreparationen und die Ost-West-Wanderung. Die DDR leistete an die Sowjetunion, wo die Großdeutsche Wehrmacht bei ihrem Rückzug systematisch »verbrannte Erde« zurückgelassen hatte, Reparationen nicht nur in der in Potsdam besprochenen Größenordnung von zehn Milliarden Dollar, sondern sogar noch etwa die Hälfte mehr; sie zahlte etwa 50mal mehr als die BRD. Pro Einwohner waren das zu Preisen von 1953 in der DDR 5500 Mark, in der BRD 42 Mark, im Osten also das Hundertdreißigfache. Nicht nur etwa 2500 der noch am besten erhaltenen Betriebe waren gleich nach dem Kriege demontiert worden, sondern aus der erst langsam in Gang kommenden Produktion mußte dann noch bis 1953 knapp ein Viertel als Reparation abgeführt werden. Von diesem substanzzehrenden Abfluß blieben die Westdeutschen mehr als 40 Jahre lang verschont; die von der BRD später erbrachten Wiedergutmachungsleistungen sind damit nicht vergleichbar. Man kann hier von einer Schuld der Westdeutschen an die Ostdeutschen sprechen, die spätestens nach der Vereinigung durch einen Lastenausgleich hätte beglichen werden müssen. Kohl und sein Finanzminister Waigel gingen 1990 aus wahltaktischen Gründen dieser historischen Wahrheit aus dem Wege, auf die weitsichtige Politiker der Bundesrepublik schon damals aufmerksam machten. Bundespräsident Richard von Weizsäcker stellte fest: »Teilung kann nur durch Teilen überwunden werden.« Auch Willy Brandt mahnte einen Lastenausgleich an. Der Münchener Experte Jörg Fisch bezeichnete die von der DDR erbrachten Reparationen als die höchsten, die man aus dem 20. Jahrhundert kenne – höher also auch als die dem Deutschen Reich im Ergebnis des Ersten Weltkrieges durch den Versailler Vertrag auferlegten, aber nie vollständig bezahlten. Der Historiker Arno Peters (Bremen) forderte 1989 in einem von 55 Professoren unterschriebenen »Aufruf an die Regierung der Bundesrepublik Deutschland« die Zahlung einer »Reparationsausgleichsschuld an die Deutsche Demokratische Republik« in Höhe von 727 Milliarden DM (zu Preisen von 1989). Diese Summe ergab sich bei normaler Verzinsung, wenn die durch die interalliierte Reparationsagentur bis 1953 ermittelten Leistungen der DDR gleichmäßig auf die Bürger ganz Deutschlands verteilt worden wären. Peters sagte damals, die BRD müsse sich »als Treuhänder ansehen für die Bevölkerung der DDR in Bezug auf ein gewissermaßen gespartes Kapital, mit dem wir ja arbeiten konnten. Und dieses Treugut muß man natürlich zurückgeben.« Der andere große Ost-West-Transfer bestand in der Wanderung von 2,5 Millionen meist jungen, gut ausgebildeten Deutschen in der Zeit der offenen Grenze von 1946 bis 1961. Das waren 20 bis 25 Prozent des gesamten gesellschaftlichen Arbeitsvermögens der DDR. Für die BRD bedeutete es einen Zufluß von fünf bis sieben Prozent der Erwerbstätigen in einer Zeit, als die Wirtschaft nach Arbeitskräften hungerte. Gert Leptin, Osteuropaforscher an der Freien Universität Berlin, schrieb dazu: »Wenn man berücksichtigt, daß jeder arbeitsfähige Flüchtling beim innerdeutschen Wirtschaftsvergleich einen Arbeitskräfteunterschied von zwei Personen ausmacht (im Osten -1, im Westen +1), dann wird die wachstumspolitische Bedeutung der Fluchtbewegung deutlich.« Die tonangebenden Medien reduzieren diesen Vorgang auf eine »Abstimmung mit den Füßen«. Aus der bundesdeutschen Statistik ist ablesbar, daß unmittelbar nach Schließung der DDR-Westgrenze die Zuführung von Gastarbeitern aus Italien, Spanien, Portugal und der Türkei sprunghaft anstieg. Als im Jahre 2002 die damalige Berliner Arbeitssenatorin Gabriele Schöttler in einer Gedenkveranstaltung zum 40. Jahrestag des ersten Staatsvertrages mit der Türkei über die Zuführung von Arbeitskräften den Beitrag der eingewanderten Türken zum deutschen Wirtschaftswachstum würdigte, kam seltsamerweise niemand auf die Idee, die wachstumspolitische Bedeutung der gutausgebildeten Arbeitskräfte zu würdigen, die bis zum 13. August 1961 in den Westen gekommen waren. Ein realistisches Geschichtsverständnis muß diese objektiven Voraussetzungen berücksichtigen, die dazu beigetragen haben, daß die Bundesrepublik zur drittstärksten ökonomischen Macht, noch vor den Siegermächten Großbritannien und Frankreich, heranwuchs. Für die DDR dagegen stand eher die Frage, ob sie unter den gegebenen Umständen je eine Chance hatte. Wenn man uns jetzt vorrechnet, welch hohe Summen seit 1990 von West nach Ost fließen, ist darauf aufmerksam zu machen, daß seit dem Anschluß das in 40 Jahren entstandene produktive Vermögen der DDR von 600 Milliarden DM (bereits 2:1 abgewertet) zu 85 Prozent an Westdeutsche und zu zehn Prozent an Ausländer vergeben, oft verschleudert wurde. Man kann es kaum anders als eine »feindliche Übernahme« nennen, wie sie in der heutigen Wirtschaftspraxis des »Raubtierkapitalismus« (Helmut Schmidt, 2004) üblich ist. Das Beispiel der feindlichen Übernahme der Firma Mannesmann durch den britischen Konzern Vodafone macht es anschaulich: Fusion – Marktübernahme (Hauptzweck) – Personalabbau. Im Falle der DDR wurde eine ganze Volkswirtschaft feindlich übernommen. Der Absatzmarkt der westdeutschen Wirtschaft erhöhte sich dadurch schlagartig um etwa 20 Prozent. Als Schutzbehauptung wurde und wird ständig wiederholt, in der DDR sei alles marode gewesen, heruntergewirtschaftet. Das stimmt zumindest insofern nicht, als vor allem seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre die DDR modernste Technik aus nichtsozialistischen Ländern importiert hatte, häufig mit Krediten, die ihr gern gewährt wurden: Erdölverarbeitung Schwedt, Erdölspaltung Leuna und Buna, Kaltwalzwerk Eisenhüttenstadt, Ausrüstungen für die Mikroelektronik (Embargoware) und für eine moderne Konsumgüterproduktion in Form einer sogenannten Gestattungsproduktion (die Kredite und Zinsen wurden mit Lieferungen von Waren aus diesen Kapazitäten getilgt). An vielen Beispielen ist nachgewiesen: Die BRD und ihre Konzerne übernahmen die produktiven Fonds hauptsächlich, um die Konkurrenz auszuschalten und um vor allem einen Markt von zuletzt 16,5 Millionen Menschen plus einem respektablen Außenmarkt zu übernehmen und sich damit nicht am eigenen Schopf, sondern zu Lasten der DDR-Bevölkerung aus der Wirtschaftskrise herauszuziehen, in die sie Ende der 1980er Jahre geraten waren. Im nunmehr 15. Jahr des Beitritts der DDR zur BRD beträgt die wirtschaftliche Leistung pro Kopf der Bevölkerung aufgrund der Deindustrialisierung des Ostens und der hohen Arbeitslosigkeit kaum mehr als 60 Prozent der westdeutschen. An diesem Verhältnis hat sich seit acht Jahren nichts geändert. Von einem Aufholprozeß kann keine Rede sein. Laut Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung von 2001 liegt das Vermögen eines ostdeutschen Haushalts um zwei Drittel unter dem eines westdeutschen. Und es ist kein Ansatz, kein Konzept erkennbar, wie sich das ändern soll. Wenn man solche objektiven Ursachen der jetzigen Verhältnisse in Deutschland ignoriert und vernebelt und statt dessen immerzu über die teure Alimentierung der Ostdeutschen jammert, hindert man sich selber daran, die gegenwärtigen Probleme zu verstehen und die richtigen Lösungen zu finden.
Erschienen in Ossietzky 3/2005 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |