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Dieses Heitere wiederum kommt vorzugsweise im proletarisierten Ostberliner Stil daher, und dieser muß natürlich durch die fremdelnde Westsicht aufgebrochen werden. Weil in diesem Plot alles anders als erwartet verläuft, stimmt es immer wieder, wobei man sich das Ganze mit seinem weitreichenden Witz normalerweise überhaupt nicht und erst recht nicht in einem deutschen Film vorstellen könnte. Da prallen die jüdischen Charaktere, die ihre schwere historische Rolle einfach nicht absolvieren, ganz unverblümt gewöhnlich aufeinander und sind sich dabei auch fern wie kaum zu glauben. Fern stehen sie folglich gottseidank auch dem beliebten Klischee des guten Juden als dauerhaftes Opferlamm. Es waren einmal zwei Brüder namens Zuckermann, könnte man summen, die hatten einander nicht lieb. Aber die Mutter, die Mutter wollte das noch richten, am Grabe, in das sie stieg. Oder so ähnlich. Hier findet deutsche Zeitgeschichte als dicke Komödie statt. War es wirklich die Mauer, die die Familie trennte, oder wurde die vollzogene Trennung durch den Mauerbau zementiert? Wie auch immer, eigentlich ist es für den Fortgang der Verwirrung egal. Der eine jedenfalls ging, die Mutter mit ihm, der andere wollte bleiben. Der eine fand seine Tradition im Judentum, der andere suchte Gewißheit in der schließlich gescheiterten Gesellschaftsordnung. Zumindest das ist sehr typisch jüdisch. Und die Mamme, sie droht posthum wie bei Woody Allen aus dem Himmel. Was so schlüssig daherkommt, muß ein Ergebnis lebenslanger Erfahrung sein – der Neuberliner Daniel Levy, in Basel geborener Sohn einer Holocaust-Überlebenden, hat die Lust zum Zweifel am Zweifel sozusagen mit der Muttermilch verpaßt bekommen. In diesem antiautoritären Film gibt es nichts, was auch nur gelegentlich einen Anflug von Peinlichkeit erlauben würde. Das Publikum kreischt gemeinsam vor Vergnügen. Ganz offenbar ist es den Buchautoren Dani Levy und Holger Franke gelungen, im Besonderen des Jüdischen etwas allgemein sehr Menschliches zu erzählen, ohne dabei die kulturellen Abweichungen zu denunzieren. Der Ostbruder Henry Hübchen und seine am Ende fast konversionsfähige nichtjüdische Gemahlin Hannelore Elsner sind der gesetzestreuen Familie aus Deutschland-West in Sachen jüdischer Gewißheit zwar heftig unterlegen, dafür aber bringen sie den ostdeutschen Charme der gewieften Wendeverlierer ein. Ihre in Ost wie West verzogene Brut an reizenden erwachsenen Kindern muß man einfach gesehen haben, um sich das jeweilige Tohuwabohu so richtig vor Augen führen zu können. Und wer außer Golda Tencer, einst das verführerische junge Ding am Jüdischen Theater in Warschau, könnte die fette triefäugige kurzatmige ostjüdische Gattin von Bruder Udo Samel in diesen Breitengraden besser geben? Das war mir ein gelungenes Wiedersehen, ein Kabinettstück ohnegleichen. Gerade sie belebt das jüdische Klischee so wunderbar, wie es eigentlich auf dieser Welt in der Wirklichkeit außerhalb jüdischer Zentren von New York bis Jerusalem, Paris oder Buenos Aires kaum mehr zu finden ist. Über einen Rabbiner wie Rolf Hoppe verfügt unsere Berliner Jüdische Gemeinde leider nicht, auch nicht ansatzweise. Aber das ist ein anderes Thema. Plötzlich scheint das alte jüdische Schmierentheater auferstanden, das meiner aus Deutschland geflohenen jiddisch sprechenden, in Tschernowitz geborenen Großmutter in Paris, Palästina oder danach New York vermutlich Tränen in die Augen getrieben hätte. Kurzum, »Alles auf Zucker« ist ein hinreißender Film, der eine in Deutschland sonst eher ausgeblendete Facette jüdischen Familienlebens politisch ganz und gar inkorrekt, aber überzeugend herzerweichend ergänzt. Und daß diese Art von Leben auch anderswo heute noch oder wieder möglich ist, erzählt seit 20. Januar der französische Streifen »Der Tango der Rashevskis«. Bei Regisseur Sam Garbarski (als Kind überlebender Juden bei München aufgewachsen, heute lebt er in Belgien) drängt der Todesfall Söhne nebst Kindeskindern und weitere Verwandschaft in die Rolle Suchender nach Kern und Rand eigenen jüdischen Lebens. Im Nachbarland wurde die tragische Komödie fast über Nacht zum bestaunten Überraschungserfolg; beim Jerusalem Filmfestival wurde sie als bester Spielfilm geehrt. Es gibt keine Zufälle, pflegt ein mir bekannter strenggläubiger Rabbiner zu sagen, der noch nie im Leben in einem Kino war, weil ihm solche Art Vergnügen als Abweg erscheint. Würde ich ihm die Geschichte der Zuckerbrüder erzählen, wäre sein Vorurteil vollends bestätigt: Wozu brauchst du den Film, wo doch ein jüdisches Leben hinreichend viel von solcherlei Zorres oder Mißgeschicken bereit hält? Im Kino läßt sich aber besser lachen und schnell begreifen, daß alle Menschenschicksale auch wie zerbrochene Puzzlespiele sind, deren Versatzstücke manchmal nicht sofort passen wollen, aber am Ende und mit etwas Geduld fügen sie sich dann doch zueinander. Dani Levy und sein Team haben ihr Bestes gegeben, aber dafür wird ihnen angesichts deutscher Geschichte nicht nur gedankt werden. Das gehört dazu. Andererseits würde mich sehr wundern, wenn die Zucker-Familie in jüdischen Metropolen nicht mit ebensolcher Begeisterung empfangen wird wie hierzulande.
Erschienen in Ossietzky 2/2005 |
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