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Martha (Corinna Harfouch) und George (Ulrich Matthes), fast permanent hochprozentig abgefüllt, befinden sich seit über zwei Jahrzehnten im Dauerclinch. Wer wen, das ist hier die Frage. Sie leben in einem Vakuum, in dem ihre Verzweiflung sich um sich selbst dreht. Sie betreiben Exorzismus. Gegenseitig. Mit Raffinesse und Grobheit führen sie ihren Krieg. Ein kalter Krieg. Er sollte Schüttelfrost erzeugen. Doch der Urgrund ihres verzweifelten Handelns fehlt: ihre Hoffnungslosigkeit, die verlorene Sehnsucht nach dem anderen. Ulrich Matthes trifft Albees Absicht und Tonlage. Seine Aufschreie dringen ins Knochenmark, erreichen den Gefrierpunkt auf unserer Gefühlsskala, mit ihm und seiner Figur stürzt man in den Abgrund, den Albee der Gesellschaft zeigen will. »Die Menschheit ist im Arsch«, sagt George, »wir haben es nicht anders verdient.« Spät am Abend, für eine kurze Zeitspanne, läuft auch Corinna Harfouch zu der Form auf, die man von ihr erwartet. Insgesamt wirkt sie – zumindest in dieser Vorstellung, leider – wie schlecht gelaunt. Ungewöhnlich für diese Schauspielerin mit dem Markenzeichen hoher Professionalität. Überraschend ist die gleichberechtigte Behandlung des zweiten Paares im Darstellerquartett: Honey (Katharina Schmalenberg) und Nick (Alexander Khuon). Ein junger Biologe und seine wohlhabende Ehefrau, Gäste bei Martha und George, erst kürzlich in der kleinen Universitätsstadt angekommen, wollen sich in den gesellschaftlichen Betrieb einfädeln. Fast spiegelgleich führen sie die Verhaltensmuster ihrer Gastgeber vor. Auch sie sind in der Hölle. Bezeichnend für die Analyse des amerikanischen »way of life« der sechziger Jahre: Beide Paare sind kinderlos. Verweigern Nachkommenschaft. Das schwarze Loch im Hintergrund der Bühne hat Martha und George zu Beginn des Gesellschaftsspiels auf die Bühne gespien, am Ende saugt es sie wieder ein. Die Teufelsaustreibung ist mißlungen. Der Hades hat sie wieder. Albees funkelnde, tödliche Dialoge lösen beim Betrachter Lachlust aus, die ihm eigentlich im Halse stecken bleiben sollte. Das Publikum amüsiert sich wie im Boulevardtheater, was auf eine Schieflage der Interpretation verweist. Mehr Tiefenschärfe hätte der Inszenierung (Jürgen Gosch) gut getan. * »Eldorado«, das neue Stück von Marius Mayenburg, uraufgeführt in der Schaubühne Berlin, Regie: Thomas Ostermeier, handelt laut Handzettel »von der Suche nach dem privaten Glück« und fragt nach einem »geschützten Ort in der Welt, in der wir leben« Das klingt nach einem kitschigen Plot. Diese Elegie an Massaker könnte auch, kulinarisch ausgedrückt, Seeigel an Salbeimäuschen heißen. Irgendwie. Mayenburgs Dialoge haben Witz. Und er kennt sich in der Theaterliteratur aus: Es wimmelt von Versatzstücken. Von Gorki, Tschechow über Beckett und Faßbinder bis hin zu Rosamunde Pilcher. Selbst das Bühnenbild (Jan Pappelbaum) wirkt wie die Fassung des Birkenwäldchens aus den »Sommergästen« in Deutscher Eiche. Allerdings im Herbst. Denn es laubraschelt. Allüberall. Dickleibige Stämme, rostbraun beblätterter Boden, Käuzchenrufe, Donnergrollen, Sonnenaufgang. Ein Flügel nebst Blumenstrauß. Edles Ambiente, gepflegter Darstellungsstil. Delikat sozusagen. Ein exquisites Ensemble ist aufgebracht. Pianistin, Manager, Playboy, Lustgreisin (selbstverständlich stinkreich) nervtöten einander. Echte Probleme werden verborgen, das könnte die Dialoge spannungsvoll machen, sie bleiben durchschaubar. Die Pianistin pianiert, die Lüsterne ist schamlos, der Manager verliert seinen Job, sein Chef gar die Firma, zwischendrein krachen akustisch Bomben, Kriegsberichte werden zitiert. Johann Sebastian Bach umspült in Dauerschleife die Szenerie, Duftwolken wabern in den Zuschauerraum. Genug Material für eine Kolportage, die aber nur zaghaft markiert wird. Lediglich eine Schauspielerin die ihren Namen hier nicht genannt haben möchte (Manuela) trifft den Ton. Großmäulig, magersüchtig, aufmüpfig, frech und heulend tanzt, jongliert sie perfekt auf dem Schlappseil Surrealität, an dem die anderen Akteure lediglich dann und wann auf- und abspringen. Das Horrorszenario würde mich, vermute ich, auch nicht berühren, wäre die Vorstellung perfekt. Die Figuren da oben gehen mich nichts an. Trotz ihrer Tragödien. Sie verschwinden in einem Schrank, der zwischen den Baumstämmen fremdelt, und kehren aus ihm zurück. Er gehört wohl zu den im Programmheft angekündigten »surrealen Momenten«, in denen fürderhin auch der frisch Erhängte (Dieter Mann) agiert. Die Pianistin (Stephanie Eidt) hat ihr Talent verloren, kriegt nun ein Kind, »fürs Kinderzimmer«, wie sie ihrem Mann (Matthias Matschke) mitteilt. Auch der hängt sich auf (hat Geld veruntreut, ist arbeitslos), wird gerettet. Die Reiche (Ingrid Andree) verliert viel Geld. Am Ende haben Pianistin und Manager alles verloren, nur einander nicht, sie freuen sich auf ihr Kind. Zitat: »Zuschauen, wie die Tochter groß wird, wir selber klein – das ist das Leben.« Kitsch as Kitsch can. Eine englische Spruchweisheit kommt mir in den Sinn: »Ich sitze hier und denke. Manchmal sitze ich nur.« Da sitze ich nun. * »Hier können Sie nichts lernen... Sie können sich entfernen«, heißt es im Vorspruch zu »Philoktet« in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Eine Kommune (Sepp Bierbichler, Dimiter Gotscheff, Samuel Finzi) probiert Heiner Müllers frühen Text über Stalins Einpeitschung des Kommunismus, verfremdet in folgender Historie: Odysseus braucht Philoktet zum Sieg über Troja. Er will den Mann mit dem treffsicheren Bogen, den er einst aussetzte auf felsiger Insel wegen seiner stinkenden Wunden, zurückholen, um die Trojaner besiegen zu können. Odysseus und Philoktet sind also Feinde. Neoptolemos (das sind wir, das Volk, das macht, was die Macher wollen) begleitet Odysseus in diesem Unternehmen, unwillig ihm ausgeliefert. Philoktet verweigert die Gefolgschaft. Neoptolemos tötet ihn, gegen seine Überzeugung. Odysseus, den Leichnam huckepack, wird mit ihm die Männer vor Troja überzeugender zum Sieg führen, als dies der lebendige Held Philoktet vermocht hätte. »Sie können sich entfernen« – so geschieht es. Zuschauer gehen, Türen schlagend, lautstark protestierend. Warum? Gotscheff (Philoktet), Bierbichler (Odysseus) und Finzi (Neoptolemos) zeigen eine (Stell-)Probe des Stückes. Das ist ihr ästhetischer Grundeinfall. Sie sagen den Text auf, lesen ihn, unterbrechen einander, ratschlagen, trinken sich eins, wiederholen. Das alles auf Bajuwarisch (B.), Slawisch (G.) und Hochdeutsch ohne Biß (F.). Die Idee einer gespielten Probe wäre tragfähig, bedarf jedoch einer perfekten Inszenierung. Es verwundert, daß zwei kluge, erprobte Schauspieler und ein Regisseur (Gotscheff ist absolut kein Schauspieler) mit langer Theatererfahrung glauben, ohne Regie auszukommen. So kann Theater nicht funktionieren. Schon gar nicht das komplizierte Sprachgefüge Heiner Müllers. Man wird also einem dialektreichen, aber spannungslosen Palaver ausgesetzt. Es wird gebrüllt, gehaspelt, geschäumt, gesäuselt, gedröhnt und gespuckt – »Müller zu Ehren«. Dies Angebot ist unlauter. Gegenüber Heiner Müller und dem Publikum.
Erschienen in Ossietzky 2/2005 |
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