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Er äußert sich über Polleschs Texte: »Es ist der Inhalt, nämlich die politische Ökonomie im Alltagsleben, was ich wichtig finde: Daß sich die Verdinglichung in unseren Beziehungen auf jeden Aspekt unseres Daseins auswirkt, (...) auch (...)auf Freundschaft, Gefühle, Wünsche. Jede sentimentale Illusion (...) wird bei Pollesch spaßvoll durchgerüttelt.« Zu den antikapitalistischen Positionen ein eindeutiges Ja. Aber Denken spüre ich selten, das Spiel ist von Herzen ungenau, von der Sprache ganz zu schweigen, viele Sätze sind schlicht unverständlich. Die Mimik mag angehen, soweit sie erkennbar ist, ein sozialer Gestus ist kaum wahrzunehmen. Inzwischen gibt es die »Prater-Saga« 3: »In diesem Kietz ist der Teufel eine Goldmine«, ein Text, der von Pollesch zwar arrangiert, doch im wesentlichen von Straßenpassanten, mit Videokameras gefilmt, realisiert wurde. Zentralstück ist ein langer Roter Teppich, auf dem man den Geldwert eines Menschen ermittelt. So weit, so gut. Doch diese Menschenbilder sind entsetzlich, Karikaturen ihrer selbst. Regisseur ist der Brite Gob Squad. Er bildete 1994 eine Sechsergruppe von Studenten aus Nottingham und Gießen, die seit 1999 immer wieder in Berlin arbeitet und viel unterwegs ist. »Die Macher (...) können nicht anders, als immerzu die Erfahrungen, Sehnsüchte und Ängste ihrer Generation in einer technoiden Gesellschaft reflektieren.« Das sind diese so richtigen Sätze in Programmheften oder Werbezetteln. Auf der Bühne sieht es ganz anders aus. Diese Truppe ist zwar geschickter, man spürt ihre internationale Erfahrung. Dennoch: Es bleibt Küchennaturalismus. Als ob die Welt überall Provinz wäre. Nun ins Haupthaus der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Ich will wissen, wie man provoziert und dabei so viel kassiert. Es gibt wieder mal eine Schlingensief-Performance: »Kunst und Gemüse, A. Hipler«. Untertitel: »Kunst als Gemüse – Theater A.L.S. Krankheit«. In zehn Grundsätzen auf einer Art Werbepapier wird eine medizinisch-klinische Begründung gegeben, die auf diese Art Theater paßt: Dieses Theater ist krank. Insofern ist es ein Abbild einer kranken Gesellschaft. Alles ist brüchig, der Kreislauf gestört, das Hirn angegriffen. Dabei machen zahlreiche Leute mit, welche, die einen Namen haben, andere, die keinen haben. An die Eisläuferin Witt kann sogar ich mich noch erinnern. Gute Schauspieler sind dabei, etwa Corinna Harfouch. Einprägsam die Gestalt der Sterbenden von Angela Jansen. Interessiert hat mich besonders Arnold Schönbergs Musik (aus »Von heute auf morgen«), aufhelfen kann sie der lahmen Bühnenschöpfung nicht. Witz fehlt gänzlich – und Witz, sogar Provokation, zeichnete den früheren Schlingensief doch aus. Selten habe ich so viel Lebens- und Realitätsfremdheit erlebt. Tödliche Langeweile. Auch in die Torstrasse 216 komme ich per pedes. Dort spielt in einer dumpfen Fabrikhalle tapfer das »Theater 89« (1989 gegründet). Man zeigt »Medea« in einer – wie es heißt – Übersetzung von Lothar Trolle. Ich sage lieber Fassung, denn wenn Dichter »übersetzen« (meist nach Interlinear-Übertragungen rechtschaffener Philologen), adaptieren sie, mal behutsamer, mal stärker: Schließlich wollen sie das Ihre auf der Basis eines Mythenstoffes sagen. Gerade Trolle. Wie recht ich habe: Aus einem großen Diskurs-Stück über das Verhältnis der Geschlechter beim Übergang großer Ordnungen, die doch auch Un-Ordnungen sind, ist ein Monolog einer einsamen Frau geworden. Seine Parteinahme für die entwürdigte Frau, die ihrerseits entwürdigt, indem sie mordet, ehrt den Autor der Neufassung, aber Jason ist ihm dabei zu dürftig geraten, als daß er dramatisch trüge. Es gibt keinen Chor, also keine Stimme der Bürger, zu richten. Eine sehr stille, in dieser Hinsicht schöne, doch auch dunkle, zu dunkle Inszenierung; ich komme mir vor wie im Studio beim Hörspiel. Esther Linkenbach vollzieht alles wie mechanisch. Regisseur Martin Meltke hat den Ablauf wie ein Oberpriester aus dem Hintergrund ritualisiert. Auch Rituale haben ihre Schönheit. Die sehe ich im Orphtheater in der Ackerstraße (Seitenstraße der Torstraße) nicht. Mein Verhältnis zu diesem Ensemble ist ambivalent. Die fleißige Truppe verhebt sich ständig an viel zu großen Stoffen und überlebt nach argen Stürzen. Nun tragieren sie »Parzifal« nach Adolf Muschg und Tankred Dorst. Was hat man dem französisch-mittelalterlichen Stoff des Troyes schon angetan: Der kräftige Ritter aus der Artus-Runde wurde zum christlich-tugendhaften Gralsritter und bei Wagner zum Betbruder in einer glibbernd-zwielichtigen Weihespiel-Oper. Muschg und Dorst geben es bescheiden, eben als Spiel, als Spiel eines Suchenden, als Spiel von Fehlern und Unterlassungen. Man kann so weit folgen, als das Suchen selbst Ziel ist. Aber in dieser Inszenierung von Christin Eckart wird alles beiläufig, unscharf, ja beliebig. Am Ende kommt nichts heraus. Die Urheber haben sich selbst trefflich eingerührt ins Ausgeschiedene oder Auszuscheidende, wenn sie schreiben: »Manchmal ist das Leben eben Scheiße...« Ja, wenn man sein Theaterspiel so begründet! Zur Information: Das Ensemble hat sich auch an Dostojewskis »Brüder Karamasow« gewagt, unter dem Titel »Vor dem Vatermord« (kombiniert mit »Brief an meinen Vater« von Kafka). Wieder ein Schwergewicht für die Kleinen von Orph. Quer durch Mitte, fast bis Kreuzberg führt der Weg zum HAU: Hebbel am Ufer in der Stresemannstraße (das alte Hebbeltheater), am Halleschen Ufer 32 (alte Schaubühne ) sowie Tempelhofer Ufer 10 (Teatr Kreatur). Da wird internationales, meist freies Theater gespielt, experimentiert, Schwaches in Kauf genommen, manchmal tut sich wirkliche, gar ästhetische Welt auf. Zu Beginn der Spielzeit gab es eine beglückende Begegnung mit Pina Bauschs Tanztheater Wuppertal und ihrer Produktion »Nefés«, worin sie Türkenklischees tänzerisch zerlegt und ein äußerst liebenswürdiges Türken-Bild zeichnet. Nicht mehr das Gruppenbild, sondern die Individualität des Tänzers kommt in den Blick. Fast zeitgleich »Schicklgruber alias Adolf Hitler« vom australischen »Stuffed Puppet Theatre« des Neville Tranter: Hitlers letzte Gefolgsleute feiern seinen letzten, den 56. Geburtstag im Bunker. Ein Totentanz, eine skurrile wie grausam-komische Götzendämmerung. So kann man das überzeugend machen – diese Toten- und Todesgesellschaft mit Stabpuppen. Viel besser als der langweilige Film »Der Untergang«, der weit hinter Schatrows Stück »Das Ende« und den entsprechenden Szenen in Oserows Film-Opus »Die Befreiung Europas« zurückbleibt. Ein schönes Wiedersehen haben wir mit der Wooster Group New York, deren »Phädra«-Version noch gut in Erinnerung ist. Diesmal »Poor Theatre«. Der Begriff assoziiert den 1999 verstorbenen polnischen Theatermacher Jerzy Grotowski. Schauspieler (darunter polnische) probieren dessen Techniken vor einem Monitor, auf dem Schauspieler dessen Techniken studieren. Das ist schon verwirrend; das Publikum kommt nach meinem Eindruck nicht so recht mit. Ich hatte das Glück, in den sechziger Jahren in Grotowskis Wroclawer Laboratorium an seinen Übungen und Proben teilzunehmen. So kann ich den Sinn dieser exzessiven Körperarbeit halbwegs verstehen. Im zweiten Teil »For Billy« treiben die Wooster-Könner dasselbe mit William Forsythe und dessen von Improvisationskönnen geprägter Theaterarbeit. Gegen Ende viel Witz, auch Selbstironie. Wir bleiben im HAU-Bezirk, gelangen indes von New York nach Moskau. Andrej Moguchis Formalny Teatr zeigt »School for Fools«. Ein Vater (Richter von Beruf) und ein Schuldirektor (früher Offizier der Roten Armee) prägen einen Jungen zum Schizophrenen – gesellschaftliche Schizophrenie. Selten gelang es, Kriegszerstörungen und ihre langen Nachwirkungen so anschaulich zu machen – nicht ohne Hoffnungen: Zwei Frauen, vor allem eine jüdische Nachbarin, bringen jene Liebe in die Welt, die nötig ist zum Überleben, zum Leben. Sozial bewußt, doch nicht allzu intelligent das »Neue Rigaer Theater« von Alvis Hermanis mit »By Gorky«, einer Umsetzung von Gorkis »Nachtasyl« in heutigen Alltag. Das starke Stück hat Aufpepperei nicht nötig. Leider wird es sonst kaum gespielt, nicht mal im Berliner Theater seines Namens. Nur eine Schüler-Inszenierung der JugendTheaterWerkstatt Spandau war jüngst zu sehen. Eine Sternstunde im Hebbeltheater: »Tempus fugit« (Die Zeit flieht) von Sidi Larbi Cherkaoui, einem Flamen marokkanischer Herkunft. Es nennt sich Ballett, ist Tanztheater, eigentlich ein Gesamtkunstwerk. Die zehn Tänzer können singen. Sie singen und sprechen in ihren Herkunftssprachen, mehreren afrikanischen sowie Arabisch, Flämisch, Irisch, Korsisch, Sizilisch. Vier Musiker begleiten, Percussion dringt vor. Cherkaoui spielt eine Art dirigierenden Lehrer, der probiert und streitet. Die Zeit flieht, aber sie flieht unterschiedlich, subjektiv empfunden. Dieser Entwurf einer multikulturellen Gesellschaft ist wie gegen Huntingtons Kampf der Kulturen gerichtet, ein Protest gegen hiesige Stimmen, die das Ende kultureller Vielfalt herbeirufen. Nach diesem Abend gehe ich heiter ins kaltnächtliche Berlin, Besseres sah ich lange nicht.
Erschienen in Ossietzky 2/2005 |
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