Kirchliche Verarmungshilfe

Werner René Schwab

Die seit Jahren einander jagenden Reformgesetze haben nur das erreicht: Steigende Arbeitslosenzahlen, sinkende Sozialleistungen, Löhne und Renten, größer werdende Kluft zwischen oben und unten, wachsende Armut, von der auch immer mehr Kinder betroffen sind. Die Wohlfahrtsverbände einschließlich der kirchlichen schlagen Alarm. Sie müssen, während die Zahl der Hilfesuchenden zunimmt, aus Geldmangel ihre Leistungen einschränken und wichtige Einrichtungen schließen. Aber Bundesregierung, Bundestagsparteien, Banken, Großaktionäre und sonstige Reformprofiteure können sich darauf verlassen, daß neoliberale Rambos wie Hans-Werner Sinn und Roland Berger, Hans Tietmeyer und Oswald Metzger ihren Wirtschaftskurs lobpreisen und immer neue »Reformen« zu Lasten der breiten Bevölkerungsschichten fordern, unterstützt von den meisten Meinungsmachern. Zur Zeit propagieren diese Berufsjubler Hartz IV als einen Schritt in die richtige Richtung, dem allerdings umgehend weitere zu folgen haben. Denn auch Hartz IV ist für das Kapital nur ein Etappensieg.

Allmählich aber stoßen zu jenen, die schon seit langem die »Reformen« als neue Form des Klassenkampfes von oben analysiert haben, mehr und mehr prominente Skeptiker, die von den Beutemachern nicht einfach als Betonköpfe, Besitzstandswahrer, Ewiggestrige oder Laien abgetan werden können. Genannt seien stellvertretend vier Zeugen:

Der Hamburger Reeder Peter Krämer (33 Tanker): »Hartz IV wird die Vermögensschere zwischen Reich und Arm noch vergrößern. Die Steuersenkungen, die seit dem 1. Januar gelten und von denen vor allem die profitieren, die sowieso genug haben, werden doch mit der Einführung von Hartz IV bezahlt.«

Professor Peter Bofinger, seit März 2004 Mitglied des von der Bundesregierung eingesetzten Rates der fünf »Wirtschaftsweisen«, wirft ungeachtet öffentlicher Schelte durch seine vier neoliberalen Kollegen der Regierung vor, mit ihren »Reformgesetzen«, also dem fortgesetzten Abbau der sozialen Sicherungssysteme, bei den Konsumenten und Arbeitnehmern ein Klima der Angst zu verbreiten und damit schuld zu sein an der lahmenden Binnennachfrage, der Dauerflaute auf dem Inlandsmarkt, die eine der Ursachen der großen Arbeitslosigkeit ist.

Nationalökonom Albrecht Müller, einst Mitarbeiter von Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller, unter Willly Brandt und Helmut Schmidt Leiter des Planungssamtes im Bundeskanzleramt, weist in seinem Buch »Die Reformlüge« an Hand vieler Beispiele den neoliberalen »Reformpolitikern« Trugschlüsse, Irrtümer, Mythenbildung und Falschaussagen nach.

Der Professor für christliche Wirtschaftsethik, der Jesuit Friedhelm Hengsbach, sagt über die Reformpolitik und damit auch über Hartz IV: »Die zunehmende Schieflage der Einkommens- und Vermögensverteilung sowie die Ausgrenzung erheblicher Bevölkerungsteile decken die traditionellen Klassengegensätze auf« und: »Die politische und ökonomische Klasse, die entscheidet, führt einen Feldzug gegen diejenigen, die von den Entscheidungen betroffen sind.«

Das ist Klartext. Doch prompt erhält die entscheidende, weil besitzende Klasse Hilfe von einer Seite, von der die Gutgläubigen es nicht erwartet haben. Die Bosse der beiden großen Kirchen in Deutschland, die Bischöfe Karl Lehmann und Wolfgang Huber, sagen »Ja zur Grundrichtung der Reformpolitik« und werben ausdrücklich für Hartz IV. Sie sehen in dem Gesetz nämlich viele »positive Auswirkungen«, die endlich »herausgestellt« werden müßten. In ihren Weihnachts- und Neujahrspredigten sprachen sie zwar von der »Schande der Kinderarmut«, rückten aber mit keinem Wort von ihrem Lob für die Hartz-IV-»Reform« ab, die noch mehr Kinder in Armut stürzen wird.

Wenn es darauf ankommt, funktioniert das Bündnis zwischen Thron und Altar, weltlicher und kirchlicher Macht seit eh und je.

Werner Hegelin , Kirchenfürsten (27. Jan. 2005, 08:50)

Henri, Wunderbarer Beitrag, fehlt nur... (08. Feb. 2005, 04:30)

Erschienen in Ossietzky 2/2005