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Er betont die Notwendigkeit einer politischen Regulierung der Finanzmärkte. Er wendet sich gegen den aktuellen Trend zur Verlängerung der Arbeitszeit. Er widerspricht ideologischen Versuchen, die Freiheit gegen die Gleichheit auszuspielen. Er befürwortet angesichts des Versagens der Parteien den erwachten zivilen Widerstand. Das alles wird von Hengsbach wenig polemisch, souverän-sachlich vorgetragen und begründet. Was geht über das hinaus, was der Ossietzky-Leser schon wissen kann? Ich hebe nur drei Punkte hervor, über die es meines Erachtens auch eine weiterführende Debatte geben müßte. 1. Bei der Erörterung der wichtigen Frage, wie es in den 70er Jahren dazu kam, daß Neoliberalismus und Monetarismus sich durchsetzen konnten, weist der Autor darauf hin, daß dies ohne die politische und militärische Übermacht der USA nicht möglich gewesen wäre. Das heißt zunächst, daß allein ökonomische Gründe dies jedenfalls nicht erklären können. Sodann belegt Hengsbach am Beispiel der Unternehmensverfassung, der Alterssicherung und des Verhältnisses von Finanz- und Realwirtschaft, daß es gravierende Unterschiede zwischen der amerikanischen und der europäischen Tradition gibt und die eine die andere offenbar zu überformen trachtet. Der Erfolg des Neoliberalismus würde demnach auf kultureller Überfremdung beruhen (»Kultur« in einem umfassenden Sinne). Andererseits stellt er fest, daß die neoliberale und monetaristische Politik in den USA durchaus nicht streng, sondern recht pragmatisch gehandhabt wurde, während das Modell bei der Übertragung auf Europa normativ aufgeladen und dogmatisch überhöht wurde. Die USA exportieren also ein Modell, an das sie sich selber gar nicht unbedingt halten. Und die Europäer orientieren sich an einem Vorbild, das mit der Wirklichkeit gar nicht viel zu tun hat. Ich halte das deshalb für einen interessanten Punkt, weil es von der ökonomischen Bilanz her in der Tat keinen Grund gibt, die US-Politik nachzuahmen und die eigene Sozialverfassung dauernd infrage zu stellen. Die europäische Wirtschaft war in den letzten 20 Jahren keineswegs weniger wettbewerbsfähig als die amerikanische. Der Sozialstaat beeinträchtigt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durchaus nicht, sondern fördert sie gerade. Wieso dann aber die unsinnige Propaganda gegen ihn? Aus Vasallentreue gegenüber der Führungsmacht? Oder sind die Unternehmer beiderseits des Atlantik so verwahrlost, daß sie nur das schnelle Geld machen wollen, ohne jede Rücksicht auf die Folgen? Und ist das auch zur einzigen Moral der tonangebenden Politiker, Publizisten und Professoren geworden? 2. Der Untertitel lautet: »Warum der menschliche Faktor mehr Respekt verdient«. Gemeint ist zunächst der Individualisierungsschub der 1970er Jahre. Viele Menschen lösen sich aus traditionellen Bindungen und möchten ihr Leben eigenständig gestalten. Das ist einerseits eine Folge der Krise, andererseits aber auch erst durch soziale Sicherung möglich geworden. Ökonomisch bedeutet es, daß Qualifikation, Wissen und Vielseitigkeit des Arbeitsvermögens zum entscheidenden Faktor werden. Nun ist das unter dem Motto »Wissensgesellschaft« ja auch in aller Munde, nur scheinen weder die Unternehmen noch die Politik wirklich bereit zu sein, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Der Grund ist, daß das Arbeitsvermögen nur als Kostenfaktor gesehen und die Politik hauptsächlich als Sparpolitik verstanden wird. Unter solchen Bedingungen kann das Arbeitsvermögen, diese kostbarste Ressource, nur mißachtet werden. Deswegen ist das, was heute Reformpolitik heißt, bloß ein »Reformspektakel«. Es erweist sich, daß der Neoliberalismus, der doch vorgeblich die Eigenverantwortung des Individuums so groß schreibt, es vielmehr umgekehrt neuen Zwängen unterwirft. Konkret auf die Agenda 2010 bezogen, die doch fordern und fördern will: Gegenüber 2002 sanken die Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit (der jetzigen Bundesagentur) für berufliche Weiterbildung in Jahresfrist um 25,4 Prozent. 3. Ein weiterer Widerspruch, den Hengsbach aufspießt, betrifft das herrschende Verständnis von Gerechtigkeit. Der Widerspruch liegt zunächst schon darin, daß überhaupt von ihr die Rede ist und (zum Beispiel in der SPD) nach einem »modernen« Gerechtigkeitsbegriff gesucht wird, obwohl es doch um wirtschaftliche Notwendigkeiten geht und der Kanzler immer betont, zu seinem Programm gebe es ohnehin keine Alternative. Wenn das zuträfe, dann wäre eine Debatte über Normen wie Gerechtigkeit eigentlich überflüssig – was übrigens strenge Neoliberale auch so sehen würden. Doch sie muß geführt werden, weil sich die menschliche Gesellschaft nun einmal nicht gänzlich auf ökonomische Sachzwänge reduzieren läßt. Rechte und Chancen ihrer Mitglieder sind keine quasi-natürlichen Gegebenheiten, sondern werden nach gesellschaftlichen Regeln zugeteilt, und die sind entweder sinnvoll oder nicht. Das ist der alte Gedanke der Verteilungsgerechtigkeit. Hengsbach macht klar, daß Verteilungsgerechtigkeit die Vorbedingung von Tauschgerechtigkeit am Markt ist. Denn soll der Tausch freiwillig und äquivalent sein, so muß jeder der Partner bereits über einen angemessenen Anteil an Gütern und Rechten verfügen. Aktuelle Anwendung: Ist die Eingliederungsvereinbarung, die der Arbeitslose unterzeichnen muß, wenn sein Arbeitslosengeld nicht beschnitten werden soll, freiwillig und äquivalent? Die Täuschung, die der Agenda zugrunde liegt, ist nach Hengsbach: »Es werden Grundrechtsansprüche in marktförmige Tauschverhältnisse überführt, indem die Benachteiligten zu Partnern des Sozialstaats hochstilisiert werden, die miteinander Vereinbarungen auf gleicher Augenhöhe treffen.« Von gleicher Augenhöhe kann aber keine Rede sein. Friedhelm Hengsbach: »Das Reformspektakel«, Herder Verlag Freiburg, 190 Seiten, 9.90 €
Erschienen in Ossietzky 2/2005 |
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