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Roland Koch, Helmut Kohl, Laurenz Meyer gelten als Einzelfälle, die zudem zeigen, daß nachgewiesene Unwahrheiten der Karriere oder dem Ansehen gewöhnlich nicht schaden. Als notorische Lügner gelten lediglich Adolf Hitler, Josef Goebbels und Bild und damit das Thema als erledigt. An Gerhard Schröders Wahlprogramme erinnert in diesem Zusammenhang niemand. Das scheint sich nun zu ändern. Die Auffassung, daß das Lügen etwas Generelles im real existierenden Kapitalismus ist und bei dessen Repräsentanten etwas Habituelles, scheint 2004 ein allgemeiner Verdacht geworden zu sein. Damit ist nicht der totale Ideologieverdacht gemeint, den der Sozialphilosoph Karl Mannheim vor vielen Jahrzehnten äußerte, sondern tatsächlich das Lügen, das bewußte Verbreiten von Unwahrheiten, das Fälschen und Verdrehen. Wir sind, wenn man so will, wieder mal bei der Entlarvung des Priesterbetrugs angelangt, einer frühen Stufe der Aufklärung also. Ein Beispiel für die damit stets verbundene Enthüllungsliteratur ist das Buch von Albrecht Müller »Die Reformlüge«, in dem er 40 Denkfehler, Mythen und Legenden, »mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren«, untersucht. Müller ist vom Fach. Er war 1972 für den Bundestagswahlkampf der SPD verantwortlich und leitete seit 1973 unter Willy Brandt und Helmut Schmidt die Planungsabteilung im Bundeskanzleramt. Dort werden die Schwerpunkte zur Lenkung von Medienkampagnen und zur Lenkung der Medien selbst gesetzt. Inzwischen sind, wie Müller zeigt, mit der Bertelsmann-Stiftung und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zwei große Think Tanks auf den Plan getreten, die direkt in die Medien eingreifen können. Müller hat zusammen mit Wolfgang Lieb, einem früheren Kollegen aus dem Kanzleramt, eine »Initiative zur Verbesserung der Qualität politischer Meinungsbildung« gestartet, die sich im Internet unter www.nachdenkseiten.de mit »Strategien der Meinungsmache« oder der »Manipulation des Monats« befaßt. Müller und Lieb halten ihre Tätigkeit für eine Sisyphosarbeit, verweisen aber darauf, daß sie nicht ganz alleinstehen, und erwähnen die Bücher »Reformspektakel« von Friedhelm Hengsbach und »Wir sind besser als wir glauben« von Peter Bofinger. Mit der Schröder/Fischer-Regierung, das ist die Quintessenz solcher Bücher und ähnlich gelagerter Artikel etwa von Oskar Lafontaine, hat die soziale Demagogie in der Bundesrepublik eine Qualität erreicht wie wahrscheinlich seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Die seit 1998 amtierende Koalition bewies bereits im Vorfeld des NATO-Krieges, daß sie auch auf medientaktischer Ebene zu jeder monströsen und absurden Lüge bereit ist. Schröder, Fischer und Scharping verbreiteten noch so schwachsinnige Greuelmärchen auch auf die Gefahr hin, sie nach ein paar Tagen dementieren zu müssen. Das schadete ihnen ebensowenig, wie es George W. Bush geschadet hat. Auf medienstrategischer Ebene ging es um mehr, nämlich um den sozialen Frieden in der Bundesrepublik. Das Land würgt noch immer an der DDR, und seine Regierungen halten daran fest, auf Gedeih und Verderb die Massenkaufkraft weiter zu senken. Das entspricht einem Trend und offenbar einer inneren Notwendigkeit des Kapitalismus. Dieser Trend setzte in den letzten Jahren der Regierung von Helmut Schmidt ein und führte dazu, daß nach den jüngsten Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung der Anteil der Netto-Löhne und -Gehälter am Jahres-Volkseinkommen zwischen 1980 und 2003 von 52,7 Prozent auf 42,5 sank. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der Netto-Einkommen aus Gewinnen und Vermögen von 24,3 auf 30,1 Prozent. Ziffern dieser Art werden praktisch nie in der veröffentlichten Meinung diskutiert, schon gar nicht Strategien, die zur Legitimation des Reichtumsanstiegs und der Armutsausbreitung entworfen werden. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben dabei zunächst vorbildliche Arbeit geleistet. Sie schafften es, einen angeblichen Sparzwang als erste Voraussetzung allen politischen Handelns durchzusetzen – wegen Globalisierung und demographischer Entwicklung. Es gelang ihnen auch, die damit verbundenen Vorhaben als »Reformen« zu etablieren, wobei die gelenkten Medien einen entscheidenden Part übernahmen. Inzwischen sind sie allerdings bei kleinlichen Unwahrheiten ertappt worden, sei es, wenn sie die Rüstungsexportstatistik fälschen, wie es gerade die Gemeinsame Konferenz Kirchen und Entwicklung (GKKE) angeprangert hat, oder ob sie die Sozialstatistik manipulieren, wie es der Paritätische Wohlfahrtsverband herausgefunden hat. So etwas deutet darauf hin, daß Sand ins Getriebe der Staatskunst gekommen ist. Es ist nicht absehbar, wann das Drehen an dieser Schraube – Absenkung der Masseneinkommen plus Lügenbegleitung – ein Ende hat. Das Potential der sozialdemokratisch-grünen Abpolsterung der Umverteilung von unten nach oben beginnt sich aber zu erschöpfen. Ob es noch für eine ganze weitere Legislaturperiode hinreicht, ist eine offene Frage. Die deutschen Konservativen haben bislang noch keine klassisch-reaktionäre Alternative.
Erschienen in Ossietzky 1/2005 |
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