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Weltweit sind 250 Millionen Pkw registriert; die Zahl der Straßenverkehrstoten wird auf 250 000 geschätzt. Der Nahostkrieg und der Öl-Boykott der Organisation erdölerzeugender Länder (OPEC) gegenüber westlichen Staaten heben erstmals das Thema Ölknappheit in die Schlagzeilen und lassen den Rohölpreis massiv ansteigen. Die autofreien Sonntage finden in der Bevölkerung breite Unterstützung. West-Berlins Polizei betont, daß »auch bei fast fehlendem Autoverkehr Ampelschaltungen ihre Gültigkeit« behalten. Bradford C. Snell präsentiert die im Auftrag des US-Senats erstellte Studie »American Ground Transport«, in der beschrieben wird, wie General Motors (GM) seit 1930 in konspirativer, organisierter Weise dazu beigetragen hat, daß »mehr als 100 elektrische oberirdische schienengebundene öffentliche Verkehrssysteme in 45 US-Städten zerstört wurden«. Diese großangelegte Operation habe »katastrophale Folgen für die Lebensqualität in amerikanischen Städten« gehabt. * Wir schreiben das Jahr 2004. Während in Bochum bei Opel gestreikt wird, stehen auch die Räder im GM-Werk Eisenach still – weil der starke Arm der Überkapazitäten es will. Weltweit liegen 25 Prozent der Pkw-Herstellungskapazitäten brach. GM-Autohändler in Kansas City offerieren jedem Kunden, der ein großvolumiges GM-Auto der Modelle Tahoe oder Suburban kauft, einen Kompaktwagen vom Typ Chevrolet Aveo als Gratisgabe. In Deutschland gibt es 45 Millionen Personenautos; auf 1000 Einwohner kommen 550. Ein Bundesbürger legt pro Jahr 12 000 Kilometer im Pkw zurück. Der Anteil der Bahn am Personenverkehr sank im Gebiet der Europäischen Gemeinschaft von elf Prozent im Jahre 1970 auf sechs Prozent. Die Grünen sind in der Autogesellschaft gut gepolstert angekommen: Umweltminister Jürgen Trittin läßt sich in der Langversion eines Audi A8, 4,2 (Listenpreis: 80 400 Euro) chauffieren. Weltweit ist die Anzahl der Pkw auf 480 Millionen gestiegen. VW hat erstmals in China mehr Pkw als in Deutschland verkauft. Der chinesische Pkw-Absatz verdreifachte sich zwischen 2002 und 2004 auf 2,6 Millionen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt die Zahl der jährlichen Straßenverkehrstoten auf 800 000. US-Kriegsminister Rumsfeld rechtfertigt die anhaltende Besetzung des Irak durch US-Truppen mit der »Kontrolle des strategisch wichtigsten Rohstoffs«. * Wir schreiben das Jahr 2020. In China und Indien konnten die Autohersteller ihre Ziele erreichen: Die Pkw-Dichte entspricht jetzt der westdeutschen von 1974 und der ostdeutschen von 1989, nämlich 275 Pkw je 1000 Einwohner. Allein dadurch hat sich weltweit die Zahl der Pkw auf eine Milliarde verdoppelt. Albert Speer (junior, 86jährig) hat in China seine Anting New Town – »eine Autostadt wie in Wolfsburg, nur hoch zwanzig« (Speer) – verwirklicht. Wie von Klimaforschern vorhergesagt, stieg die Durchschnittstemperatur um weitere 1,8 Grad Celsius. Wichtigster Emittent klimaschädigender Gase ist der Verkehr, wobei der Luftverkehr nun den Autoverkehr übertrifft. Die Zahl der Naturkatastrophen nahm deutlich zu. Die maßgeblichen Rück-Versicherer erklären große Gebiete der Erde zu »white zones«, in denen keine Leistungen mehr für Sturm- und Überschwemmungsschäden angeboten werden. Die Ölvorräte in der Nordsee und in Nordamerika sind ganz, diejenigen in Westafrika größtenteils aufgebraucht. Unter der Präsidentschaft von Arnold Schwarzenegger (2008-2016) wurden in Alaska Ölbohrungen niedergebracht, wodurch das Eis der nördlichen Polarkappe beschleunigt schmilzt. Die jüngste UN-Habitat-Konferenz steht unter dem Motto »Das Ende der Urbanität – Megastädte im Mega-Smog«. Jährlich werden 1,3 Millionen Menschen im Autoverkehr getötet. Wie von der WHO 2002 prognostiziert ist unter allen Todesursachen der Tod im Straßenverkehr vom zehnten (1990) auf den dritten Platz gerückt – nach Herzinfarkt und Krebs, vor Aids und Kriegen. Weite Teile der Ölregionen im Nahen und Mittleren Osten sind von westlichen Truppen besetzt; im Ölgebiet um das Kaspische Meer regieren vom Westen ausgehaltene monströse Diktaturen. Die wichtigste in Rußland aktive Ölgesellschaft ist Ruhrgas-Gazprom, womit die Ölversorgung der EU bis zum Jahr 2028 als gewährleistet gilt. In Saudi-Arabien herrscht in Nachfolge der Saud-Dynastie ein fundamentalistisches Regime der Wahabiten; die Zahl der Steinigungen hat sich dort ebenso wie die tägliche Menge des geförderten Öls verdoppelt. Im Berliner Ensemble tritt zum Auftakt des Stücks »Das Ölfeld« der Rezitator vor den Vorhang und spricht die Zeilen: Hier ist Öl! Öl ist hier! Das liegt hier! Was die Motoren laufen macht, was die Schiffe bewegt! Das kolbenschmierende Öl liegt hier im Boden! Das die Städte hell macht! Schnell! Verwandelt Euch in Ölsucher, ihr Ziegenhirten! Schnell! Schafft das Öl an die Oberfläche, tragt den Felsen ab, bohrt Den Boden an, Bauern! Aber da sind Ziegenherden, die auf dem Feld grasen! Aber da stehen Wohnhäuser, die Hundert Jahre alt sind! Aber da sind Grundbücher und Besitztitel! Schnell! Schafft alles weg, was zwischen uns und dem Öl steht! Und weg mit den Grundbüchern und Besitztiteln! Hier ist Öl! Öl ist hier! Das kolbenschmierende Öl ist hier! * Nachtrag:Als Bertolt Brecht um 1930 das zitierte Gedicht schrieb, hatte Berlin mit 4,3 Millionen eine Million Einwohner mehr als 2004 und mit 33 000 Personenkraftwagen einen Bestand, der 2,5 Prozent des heutigen entspricht. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zählten jährlich knapp zwei Milliarden Fahrgäste, drei Mal so viel wie heute. Die Gäste des Berliner Ensembles konnten noch um 0 oder 3 Uhr per Tram und S-Bahn zum Einheitstarif von 20 Pfennig mit Umsteigeberechtigung nach Hause fahren. Die öffentlichen Verkehrsmittel wurden auch nachts im Takt betrieben. Die BVG machte Gewinne.
Erschienen in Ossietzky 1/2005 |
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