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Spiritus rector der damaligen »Wiedervereinigungsforscher« und persönlich von Konrad Adenauer eingesetzter erster Präsident des Forschungsbeirates war Dr. Friedrich Ernst, von 1939 bis 1941 Hitlers Reichskommissar für die Verwaltung des feindlichen Vermögens. Unter seiner Leitung und der seines Nachfolgers, des vormaligen CDU-Vertriebenenministers Dr. Johann Baptist Gradl, erarbeitete der Beirat fleißig und hingebungsvoll Pläne für die Einverleibung der DDR und die Restauration des Kapitalismus im Osten Deutschlands. Als diese Konzepte und Empfehlungen – unter anderem zur Währungsumstellung, zur Umwandlung der volkseigenen Betriebe in privatwirtschaftliche Unternehmen, zur Einsetzung von Treuhändern und einer entsprechenden »Oberen Behörde« sowie zum Prinzip Rückgabe vor Entschädigung – 1990 nach dem kläglichen Untergang der DDR mit einiger Verspätung umgesetzt wurden, ahnte keiner der jubilierenden Sieger über den roten Osten, daß angesichts bedrohlicher gesellschaftlicher Trends bereits 15 Jahre später über die Bildung eines Forschungsbeirates mit gleicher Funktionsweise nachgedacht werden müßte. Nach ersten Überlegungen soll er wie sein Vorgänger aus einem engen Kreis von Staats- und Wirtschaftswissenschaftlern und einem erweiterten Kreis von delegierten Mitgliedern aus den Spitzengremien des Staates, der Bundestagsfraktionen, der Industrie und der Banken bestehen; die Forschungsarbeit, die spätestens im Jahre 2010 abgeschlossen werden soll, könnte nach bewährtem Muster im Plenum sowie in mehreren Ausschüssen und Arbeitsgruppen erfolgen. Anders wäre allerdings die Zielsetzung, was sich allein schon im geringfügig, aber doch entscheidend veränderten Namen der angedachten Einrichtung zeigt, der nun lauten soll: »Forschungsbeirat für Fragen der Wiedertrennung Deutschlands«. Ausgangspunkt für die Überlegungen zur Wiederbelebung des Forschungsbeirates mit entgegengesetzter Zielsetzung ist die Einschätzung, daß die nicht vorausgesehenen Folgen der »Wiedervereinigung« Bestand und Zukunft des deutschen Kernlandes, der alten Bundesrepublik, ernsthaft bedrohen. Drei Gründe sind es vor allem, die die Teilnehmer der eingangs erwähnten Geheimberatung bewogen, die Bildung eines Wiedertrennungsbeirates ins Auge zu fassen: Erstens, der wirtschaftliche Aufholprozeß Ostdeutschlands ist gescheitert. Die wenigen Leuchttürme lassen die landesweite Misere nur noch klarer hervortreten. Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner im Osten liegt unter 60 Prozent des Westniveaus. Der Anteil Ostdeutschlands am bundesdeutschen Steueraufkommen beträgt bei Lohn- und Einkommenssteuer jeweils vier Prozent. Obwohl sich rund zwei Millionen Frauen und Männer vom ostdeutschen Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, verharrt die Arbeitslosenquote bei fast 20 Prozent. Das Leistungsbilanzdefizit liegt bei 45 Prozent der eigenen Erzeugung. Von 1990 bis 2003 wurden von West nach Ost netto rund 900 Milliarden Euro transferiert. Gegenwärtig betragen die Transferzahlungen aus öffentlichen Mitteln jährlich 83 Milliarden Euro. Die derzeitigen Wachstumsraten des ostdeutschen Bruttoinlandsproduktes (2001: -0,2, 2002: 0,1, 2003: 0,2) zeigen, daß Ostdeutschland auch 2010 und weit darüber hinaus ein wirtschaftliches Notstandsgebiet bleiben wird und ein Ende der in der Welt einmaligen enormen Alimentierung nicht abzusehen ist. Der Osten wurde für die Bundesrepublik entgegen vielen anderen Voraussagen zu einem Faß ohne Boden. Die deutsche Einheit ist nicht nur teuer, sie ist zu teuer geworden. Zweitens, seit Ende 1989 hat sich die Einwohnerzahl Ostdeutschlands von 16,6 auf 14,8 Millionen verringert. Auf der Suche nach einem Arbeitsplatz sind vor allem Facharbeiter, gut ausgebildete und risikobereite junge Menschen, darunter besonders viele Frauen mit überdurchschnittlich hohem Bildungsniveau, in Richtung Westen abgewandert. Setzt sich dieser Prozeß fort, womit zu rechnen ist, werden 2015 in Ostdeutschland nur noch 12,5 Millionen Menschen wohnen, großenteils Rentner. Ökonomen der Deutschen Bank schätzen, daß die Zahl der Ostdeutschen im erwerbsfähigen Alter bis zum Jahre 2050 um 43 Prozent sinken wird, und das Deutsche Institut für Urbanistik nimmt an, daß die ostdeutsche Bevölkerung in 100 Jahren auf sechs, womöglich gar auf weniger als vier Millionen Einwohner sinken wird. Neben der Abwanderung trägt dazu der dramatische Geburtenrückgang bei. Mit 0,7 Kindern pro Frau weist Ostdeutschland gegenwärtig die niedrigste Geburtenrate auf, die jemals weltweit gemessen wurde. Vor der Vereinigung war die Geburtenrate dort wesentlich höher gewesen als in Westdeutschland. Infolge von Abwanderung und Geburtenrückgang drohen viele Landstriche schon jetzt zu vergreisen und zu veröden. Die Zahl der Konsumenten geht zurück, die Kaufkraft schrumpft, auch als Absatzmarkt für westdeutsche Produkte verliert der Osten rapide an Bedeutung. Drittens, von einer inneren Einheit ist Deutschland weit entfernt. Eine signifikante Mehrheit der Ostdeutschen verweigert sich marktwirtschaftlichen Prinzipien und westlichem Lebensstil. Ihre Einstellung zur Arbeit und Berufstätigkeit von Frauen, zu Armut und Reichtum, zu sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit, zum Geschlechterverhältnis und zur Religion, zur Solidarität und zum Krieg ist von 45 Jahren staatssozialistischer Herrschaft geprägt. Nach jüngsten Umfragen werten zwei von drei Ostdeutschen die bundesdeutsche Gesellschaftsordnung als ungerecht. Laut dem »Datenreport 2004« des Statistischen Bundesamtes halten 76 Prozent der Ostdeutschen den Sozialismus für eine gute Idee, die nur schlecht umgesetzt wurde. Die heute lebenden Generationen werden sich nicht oder nur unvollkommen an das bundesdeutsche Gesellschaftsmodell und seine Lebensregeln anpassen können. Im Gegenteil, in jüngster Zeit zeigen sich Tendenzen, daß einzelne Segmente des nach 1990 beseitigten Gesellschaftssystems auf die Bundesrepublik ausstrahlen. Überlegungen zur Verbesserung der frühkindlichen Betreuung, zur Einführung einer Gemeinschaftsschule für alle Kinder bis zum 10. Schuljahr, zu einer radikalen Verringerung der Zahl der Krankenkassen, zur Übernahme des Systems der Polikliniken und zu einer einheitlichen, für alle Bürger gleichen Sozialversicherung können leicht zum Türöffner für eine von linken Kräften seit langem angestrebte umfassende »Modernisierung« der Bundesrepublik werden. Aus den genannten Gründen haben Überlegungen zur Gründung eines »Forschungsbeirates für Fragen der Wiedertrennung Deutschlands« auf der eingangs erwähnten Beratung beachtliche Zustimmung gefunden. Allerdings sind noch etliche Fragen offen, vor allem, wie die Idee in den Zeiten des wiederbelebten Patriotismus der Öffentlichkeit propagandistisch überzeugend vermittelt und wem die Leitung des Gremiums übertragen werden soll. Während zur erstgenannten Frage noch große Unklarheit herrscht, gibt es zur zweiten erste Vorstellungen. Für die Funktion des Beiratsvorsitzenden bieten sich unter anderen an: Verkehrsminister Manfred Stolpe, Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Länder, der über reiche Erfahrungen im Umgang mit gescheiterten Unternehmungen verfügt; Professor Arnulf Baring, dessen Verdienste um die Vertiefung der mentalen Kluft zwischen Ost und West unbestritten sind; Ex-Treuhand-Chefin Birgit Breuel, die die Suppe auslöffeln könnte, die sie miteingebrockt hat. Vorerst handeln die Beiratsinitiatoren nach der Devise: Kommt Zeit, kommt Rat, Beirat findet sich beizeiten. Vorschläge und Anregungen können jedoch von jetzt an, da die Geheimberatung publik geworden ist, an den »Forschungsbeirat für Fragen der Wiedertrennung Deutschlands (in Vorbereitung)« unter dem Stichwort »Wie werden wir die Ossis wieder los?« gerichtet werden.
Erschienen in Ossietzky 1/2005 |
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