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Wann aber werden empfindsame Seelen aus der Oberschicht Patenschaften für Schlüsselkinder aus Sozialwohnungen oder verarmte Renterinnen zeichnen? Der Weltökonom und Bundespräsident Horst Köhler hatte in seiner Antrittsrede im Reichstag festgestellt, der deutsche Sozialstaat herkömmlicher Prägung habe sich »übernommen«. Doch sei Licht erschienen am Ende des Tunnels: In Berlin und vielen anderen Problemstädten gebe es seit kurzem einen neuen sozialen Aufbruch, nämlich die Gründung von Wohltätigkeitsvereinen mit vielen ehrenamtlichen Helfern; das weise die Richtung, wie Deutschland wieder »in die Wege« komme. Statt Sozialstaat also mehr Almosen. Denn die Zeiten, als es offizielle Politik war, die Menschen der Dritten Welt mit den Segnungen der Ersten Welt zu beglücken, sind definitiv vorbei. Heute ist die Devise: Schafft schnell Dritte-Welt-Verhältnisse bei uns in der Ersten Welt, damit Deutschland in der »globalisierten Welt« auf der Siegerstraße bleibt! Der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung fordert: Wir brauchen »mehr soziale Ungleichheit«. Rot-Grün, unterstützt und getrieben von Schwarz-Gelb, hat die Botschaft der Manager und Berater verstanden und kann erste Erfolge vermelden: Die Zahl derer, die unter der Armutsgrenze leben, stieg zwischen 1998 und 2003 von zehn auf zwölf Prozent; nach EU-Kriterien wurden gar elf Millionen Menschen (13,5 Prozent) als arm gezählt, wie der regierungsamtliche Armuts- und Reichtumsbericht demnächst ausweisen wird (s. Spiegel 49/04). Infolge der HartzIV-Enteignungsgesetze dürfte diese Zahl noch um mehrere Millionen anwachsen. Zugleich zeigt der Regierungsbericht, daß in fünf Jahren Rot-Grün die Zahl der Euro-Millionäre stark zugenommen und das Geldvermögen sich im oberen Bereich noch stärker konzentriert hat – dank Eichels Steuergeschenken an die Reichen. Aber den Bossen und Chef-Bankern reicht das alles nicht. Die Agenda 2010 darf nach Heinrich von Pierer (Siemens) eigentlich nur »Agenda 2003« heißen, noch in dieser Legislaturperiode wäre demnach eine neue Agenda durch die Parlamente zu bringen. Geht es nach den wirtschaftlich Mächtigen, nach denen es erfahrungsgemäß fast immer geht, muß erstens eine Rentenreduzierung kommen, um das angeblich auch jetzt noch viel zu hohe Niveau der Altersbezüge sofort abzuschmelzen. Nach Professor Sinn, Direktor des Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo), sind alle Steuerzuschüsse des Staates zu streichen, wodurch die Renten um 30 Prozent sinken würden; auch der Anspruch auf Grundrente soll auf zwei Drittel des bisherigen Sozialhilfesatzes eingeschränkt werden. Außerdem wäre das Renteneintrittsalter auf 67, besser noch auf 70 Jahre heraufzusetzen. Liegt es da nicht nahe, noch einen kleinen Schritt weiterzugehen und Rente erst dann zu zahlen, wenn ärztlicherseits Arbeitsunfähigkeit nachgewiesen ist? Als zweites brauchen wir nach Ansicht solcher Radikalreformer eine durchgreifende Änderung der Krankenversorgung: In Zukunft, so sagen sie uns, könnten die gesetzlichen Kassen nur noch eine Grundversorgung gewährleisten. Dann wird man wohl verallgemeinern, was man schon seit Jahren an Asylbewerbern ausprobiert: Behandlung lediglich bei akuter Lebensgefahr. Und über Siebzigjährige hätten allenfalls noch Anspruch auf Schmerzbehandlung. Für höhere Ansprüche wäre die – steuerlich geförderte – Privatversicherung da. Als drittes wäre im Sinne von Professor Sinn die Pflegeversicherung wieder abzuschaffen, denn nach seinem maßgeblichen Urteil hat sie ökonomisch falsche Anreize gesetzt. Als neoliberaler Trendsetter und allseits gefragter Politikberater dringt Sinn vor allem auf weitere »Reformen« des Arbeitsmarktes, der aus seinen »Verkrustungen« zu befreien sei. Wie von Dietrich Kittner schon vorausgesagt (»Sozialstaaat. Ein kurzer Abriß«, Ossietzky 18/04), fordert Sinn neuerdings in Talk-shows, zusätzliche Hartzgesetze auf den Weg zu bringen. So müsse etwa Hartz V sofort das Arbeitslosengeld 2 um ein Drittel herabsetzen, ebenso alle anderen Sozialhilfesätze; denn deren zu hohes Niveau verhindere die Entstehung eines Niedriglohnsektors, verursache also Arbeitslosigkeit... Zwar drohen schon mit Hartz IV ähnliche Kürzungen, und zwar dann, wenn man eine »zumutbare Arbeit« (zum Beispiel Toilettenfrau oder Gurkenpflücker für drei Euro) nicht antritt oder sie verläßt; unter 25jährigen kann sogar jegliche Unterstützung gestrichen werden. Nötig sei aber, so Sinn, eine Kürzung für alle. Mit den auszubauenden Ein-Euro-Jobs lasse sich ja das »Wohlstandsniveau« der bisherigen Sozialhilfe wieder erreichen. Sinn schlägt vor, daß diejenigen, die dann immer noch keinen Job finden, von der Kommune meistbietend an Firmen, vor allen an Handwerksbetriebe, verliehen werden. So erhielte das Handwerk die Chance, wieder goldenen Boden zu gewinnen... Mit Hartz VI wären der Kündigungsschutz und die Flächentarifverträge zu beseitigen – wie es schon seit langem aus dem Unternehmerlager tönt. Begründung: Diese Regelungen seien mitverantwortlich für die hohe Arbeitslosigkeit. Und überhaupt die Gewerkschaften! Mit ihrer »Monopolmacht« auf den Arbeitsmärkten – das gehört zu den Anfängerlektionenen der Unternehmer-Ideologie – haben sie die wohltuende Wirkung von Konkurrenz außer Kraft gesetzt, sind also die Hauptschuldigen an der Arbeitslosigkeit. Deshalb müssen Gewerkschaften per Gesetz entmachtet werden – wie in England geschehen unter Margaret Thatcher. Sie sind »eine Plage für unser Land« (FDP-Vorsitzender Westerwelle). Hartz VII sollte dann wohl die Regelarbeitszeit (ohne Lohnausgleich) wieder auf 48 Wochenstunden hochsetzen und den Jahresurlaub auf zwei Wochen beschränken – wie 1950, als das Wirtschaftswunder begann. Hartz VIII schließlich hätte die Festsetzung von Mindestlöhnen zu verbieten, auch in Betriebsvereinbarungen, weil ja die Ertragslage immer erst nachträglich den Maßstab liefert, mit dem man den »Wa(h)ren-Preis der Arbeitskraft« feststellen kann. Außerdem muß per Gesetz der bisherige Arbeitgeberanteil an den Sozialabgaben (21 Prozent vom Bruttolohn) möglichst komplett gestrichen werden; die Beschäftigten bekämen dadurch mehr Eigenverantwortung und die Freiheit, sich um ihre Lebensrisiken selber zu kümmern. Mit solchen neuen Agenda- und Hartzgesetzen ließe sich – denkt man die herrschende Wirtschaftstheorie nur ein bißchen konsequent weiter – endlich das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Wenn alle bis zu einem Drittel länger arbeiten und außerdem eine Senkung der Löhne um 20 bis 30 Prozent hinnehmen, dann wird der »Ruck« (Altbundespräsident Herzog) eintreten, der »Deutschland voranbringt«. Die fünf Millionen Arbeitslosen, die sich bisher vom Sozialstaat fürs Nichtstun bezahlen lassen mußten, werden mit den Hartzgeschenken eine neue Niedriglohn-Wirtschaft zum Erblühen bringen. Sie sind dann zwar immer noch arm, aber glücklich, weil endlich in Arbeit, und für ihre Kinder, Kranken oder Alten gibt es ja Armenspeisung vom Winterhilfswerk »Brot für Deutschland«. Die neue deutsche Arbeitsfront aus working poor und emsigen, bescheidenen Facharbeitern – friedensgesichert durch Elite-Einsatztruppen – verzichtet gern auf Freizeit, Sozialstaat und andere überflüssige Güter. Geführt von vaterlands-treuen Unternehmern werden alle zu Patrioten und singen im Chor mit Schröder und Merkel: »Wer sein Land liebt, ist gern zu Opfern bereit!«
Erschienen in Ossietzky 1/2005 |
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