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TagespostWerner Liersch Ich sitze viel zu lange mit gebeugtem Rücken am Schreibtisch, aber zur Mittagszeit kommt Hilfe. Die Post. Sie kennt keine festen Zeiten. Sie kommt sozusagen über mich. Und das ist gut so. Ich richte jetzt alle Viertelstunde meinen gebeugten Rücken vom Vortrag »Fallada und das Urbane« auf und schaue nach der Tagespost. Die Tagespost ist ein Brief vom Südwestrundfunk, wo die »Historische Kommission der ARD« angesiedelt ist. Auf ihrem Marbacher Symposium im März habe ich einen Vortrag zu »Deutsch-deutschen Literaturbeziehungen« gehalten. Jetzt soll ein Tagungsband entstehen, und es wird eine Druckfassung von mir gewünscht, doch »auch mit dem Blick auf die anderen Teilnehmer des Symposiums ist es uns aus finanziellen Gründen nicht möglich, für die Ausarbeitung einer Druckfassung weitere Honorarmittel aufzuwenden«. Ich werde um mein Verständnis gebeten. Die Tagespost ist ein Brief vom PEN mit der Bitte an das ehemalige Ostmitglied, in Zukunft den vollen, doppelt so hohen, Westbeitragssatz zu zahlen. Ich werde um Verständnis gebeten. Ich verstehe, daß die Angleichung meiner Ausgaben unaufhaltsam ist und ich künftig in gleicher Augenhöhe mit dem Nobelpreisträger bin. Im PEN gilt die Kopfpauschale. In der Tagespost ist ein Brief von Erich Loest, der mir eine Lesemöglichkeit für mein Buch »Geschichten aus dem Antiquariat«, das einiges mit Leipzig zu tun hat, anbietet. »Die Stadt Leipzig läßt die Bibliotheken schrumpfen. In Mölkau hat der Ortsrat die Schließung der dortigen Bibliothek nicht hingenommen und betreibt sie selbst mit Freiwilligen. Ich helfe dort, las zweimal, Dieter Zimmer war dort, Heiduczek will folgen. Ohne Honorar, versteht sich, die Besucher spenden.« In der Tagespost war ein Brief vom Verlag Faber & Faber, der die »Geschichten« verlegt hat: »In Leipzig haben wir eine besondere Präsentation des Titels nicht ins Auge gefaßt. Diese Almanache sind bei uns eine Art Selbstläufer und haben keinen weiteren Werbefonds.« Um Verständnis werde ich nicht gebeten. Es wird einfach vorausgesetzt. Ich werde auch keins aufbringen und als Selbstläufer im Januar zu den Mölkauern fahren. Wegen der Bibliothek. Wegen der Leseprobe auf meine Geschichten und wegen ein paar Leipzigern, die ich gern mal wiedersehen würde. Morgen gibt es neue Tagespost. Der Briefkasten gibt mir Gelegenheit zu aufrechtem Gang. Den Fallada-Vortrag halte ich übrigens auch ohne Honorar. Brauchen die Schriftsteller vielleicht – statt eines Büros beim verdi-Vorstand – eine gewerkschaftliche Organisation, in der sie sich gemeinsam für ihre gemeinsamen Interessen engagieren würden, so wie der VS einst von Dieter Lattmann, Bernt Engelmann und anderen konzipiert wurde? Jürgen Alberts, soeben aus dem VS-Bundesvorstand und zugleich aus ver.di ausgetreten, stellte die Frage »Was haben Schriftsteller in der Gewerkschaft ver.di verloren?« und gab die bissige Antwort: »Ihre Handlungsfreiheit«. Wie richtig oder falsch ist das. Darüber muß dringend debattiert werden. E.S.
Erschienen in Ossietzky 25/2004 |
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