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Ich muß sagen, auch von heute aus betrachtet, keine schlechte Mischung. »Zement« fiel mir 1945 kurz nach dem Krieg in die Hand. Es war die Zeit, als viele meiner Generation damit beschäftigt waren, den für Deutsche bis heute anscheinend genetischen Antikommunismus, auch nach dem Ende der Nazis von Lehrern und dem Sender RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sender) immer noch intensiv verordnet, loszuwerden. Das ging am besten durch Neugier auf unbekannte Bücher und auf noch unbekanntere Zeiten. Eine solche Zeit war der legendenumwobene Rote Oktober. Da reizte uns zuerst Majakowski. Wir stellten fest, daß auf den Dörfern, wo unsere Laienspielgruppe bei Tanzveranstaltungen der MAS (Maschinen-Ausleih-Stationen) auftrat, mit dem Schwung seiner Verse sogar hartgesottene Tänzer bis zu zehn Minuten vom Tanzen abzuhalten waren, um unsere Deklamationen über die zehn Tage anzuhören, die die Welt erschütterten. Bei Gladkow war das anders. Ich hatte gehört, daß der Roman bei seinem Erscheinen 1927 weltweit so etwas wie eine Sensation auslöste, weil er zum ersten Mal nicht mit dem gewohnten historischen Pathos die revolutionäre Umwälzung von 1917 beschrieb, sondern deren Folgen und Schwierigkeiten im Alltag der Arbeit und der menschlichen Beziehungen. Nach dem ersten Lesen war ich enttäuscht. Hier wurde nicht zum Sturm auf das Winterpalais aufgerufen, sondern zum Sammeln von Brennholz. Die Arbeiter jenes Zement-Werkes, das der Bürgerkrieg verwüstet hatte, erfüllten keine historische Mission, sondern beklauten das eigene Werk und bastelten daraus Feuerzeuge zum Verhökern an die Bauern. Selbst der Held des Romans, ein Arbeiter und Kämpfer im Bürgerkrieg, der mithalf, die Weißen zu besiegen, droht nun, zurückgekehrt in den Alltag des Werkes, im Kampf mit den eigenen Genossen zu scheitern. Auch sie sind Revolutionäre wie er, die in selbstloser Hingabe die Selbstherrschaft des alten Regimes gestürzt haben, nun aber selbst Gefahr laufen, unter dem Druck des Mangels, vor allem des Mangels an Erfahrungen, selbst wie die alten Selbstherrscher zu regieren. Und wo man glaubt, die großen Menschheitsfragen gelöst zu haben, tauchen im Zusammenleben der Menschen immer neue Fragen auf, so daß selbst das sexuelle Verhalten von Mann und Frau zu einer Überlebensfrage der Revolution werden kann. Erst später merkte ich, daß die Schwierigkeiten, die der Roman auftürmt, ja, daß selbst die Fehler und Entstellungen, die er beim Namen nennt, nicht das Gegenteil revolutionären Verhaltens sind, sondern dessen eigentliche Herausforderung. Daß das schonungslose Nennen eigener Schwierigkeiten mehr Impulse zu wecken vermag als das ständige Vermelden von Siegen (eine Tatsache, die uns in unserer eigenen Entwicklung später noch viel zu schaffen machen sollte). Ich hatte das Glück, die Urfassung des Romans von einem alten Arbeiterfunktionär zu bekommen, der das Buch, unter Küchendielen versteckt, vor den Nazis gerettet hatte. Die spätere Fassung, von Gladkow auf Geheiß der Parteiführung überarbeitet, hatte längst nicht mehr jene elementare expressive ungeschminkte Sprache des unendlich schweren Aufbruchs aus dem Sumpf, den die alte Zeit hinterlassen hatte. Für eine solche Geschichte reichten die damals üblichen kurzfristigen Vollbringer großer Taten nicht mehr aus. Ein ganz anderer »Held« war gefragt: der »Maulwurf der Revolution«. Ein Bild, das wir von Brecht her kennen, das aber lange vor ihm Karl Marx 1857 gebrauchte, als er der revolutionären Ungeduld Bakunins widersprach. 1957 bin ich Gladkow begegnet. Peter Palitzsch und ich bereiteten die Inszenierung von Wischnewskis »Optimistischer Tragödie« vor, dem letzten Stück, das Brecht selbst noch kurz vor seinem Tod in den Spielplan des Berliner Ensembles aufgenommen hatte und mit dem er die geplante Reihe der großen Revolutionsstücke der Weltliteratur eröffnen wollte. Es sollte für uns die erste Arbeit ohne Brecht sein. In Moskau trafen wir mit Wischnewskis Witwe zusammen. Ich erinnere mich noch an unser Erstaunen, als eine imponierende Gestalt, gekleidet im Lila russischer Großfürstinnen, die Tür ihrer Wohnung im Haus der Schriftsteller öffnete und in perfektem Deutsch sagte: »Sonja Wischnewjetzkaja, Oberst der Baltischen Flotte«. (Sie hieß tatsächlich Wischnewetzkaja, denn Wischnewski hatte sie im Leningrader Theater mit vorgehaltener Pistole dem Bühnenbildner Wischnewjetzki entführt.) Von dieser liebenswerten und klugen Frau bekamen wir nicht nur alle uns noch unbekannten Texte der »Optimistischen Tragödie«, die den »Säuberungen« zum Opfer gefallen waren, sie vermittelte uns auch ein Zusammentreffen mit dem damals schon greisen Gladkow, der unter ihr wohnte. Ich weiß nicht mehr, worüber wir mit ihm sprachen, ich sehe nur noch seine hellen Augen vor mir, als er von unserer und Brechts Bewunderung für »Zement« erfuhr. Von ihm hörten wir auch, daß Majakowski 1923 »Zement« eine »kleinliche Konterrevolution« genannt hatte, was ihn besonders schmerzte, weil er Majakowski als den großen Poeten des Oktobers verehrte. Vor allem dessen »Rosta«-Bewegung, die das damalige Moskau in Atem hielt, während es ihn, Gladkow, als Betriebszeitungsredakteur in jenes abgelegene Zement-Werk verschlagen hatte, das der Ort seines Romans werden sollte. Solange ich denken kann, stand »Zement« in den Plänen des Berliner Ensembles. Brecht sprach sehr oft davon. Dann waren wir es, die uns den Stoff nicht entgehen lassen wollten. Aber immer wieder kam etwas dazwischen. Erst Heiner Müller bearbeitete 1972 »Zement« für das Theater. Und ich fand 1973 zu meiner Überraschung im Fernsehen der DDR offene Ohren für meinen Vorschlag, nach dem Roman einen Film zu machen, nachdem man sich allerdings zunächst von dem, wie man sagte, »Russenstoff« beim Publikum wenig Quoten-Chancen versprochen hatte, vor allem aber bei den »führenden Genossen« keine besondere Freude, da in den Zeitungen damals der Ausspruch eines »führenden Genossen« (SED-Politbüromitglied Alfred Neumann) die Runde machte, daß »Zweifel der erste Schritt zum Verrat« sei. Und ich weiß nicht, ob der mehrfache Millionenbetrag, den uns Heinz Adameck, der Fernsehchef, großzügig gewährte, ohne Werner Lamberz, der damals viel Anteil an unserer Arbeit nahm, nicht eine schöne Illusion geblieben wäre. SED-Politbüromitglied Lamberz, von seinen mißtrauischen Genossen nach dem Projekt befragt, für das er gegenüber der Parteiführung die Verantwortung trug, nannte »Zement« das »Hohe Lied der Revolution «.Und da es noch dazu aus der Sowjetunion kam, von der man damals noch das Siegen lernen wollte, ließ man ihn gewähren. Der Film wurde am 4. November 1973 das erste und letzte Mal gesendet. Ich weiß nicht, ob Lamberz mit dem » Hohen Lied der Revolution« nicht gerade die kritische Unbestechlichkeit Gladkows meinte, jedenfalls fand ich bei ihm noch des öfteren viel Sympathie für das, was Brecht die »kritische Haltung« nennt, der das »eingreifende Denken« folgt. Für die Kunst – und nicht nur für sie – war Lamberz’ frühes tragisches Ende bei einem Flugzeugabsturz in Afrika ein ziemlicher Verlust an Hoffnung. »Zement« ist heute ein historisches Dokument. Nach dem Scheitern des Sozialismus, der sich selbst »real« nannte, wirken heute Gladkows Warnungen vor der Bürokratisierung als Todfeind jeder Revolution wie eine Voraussage. Trotzdem habe ich die stille Hoffnung, daß der Film vielleicht auch heute noch etwas anderes bewirken könnte. Brecht wurde einmal gefragt, wozu das Proletariat die Intellektuellen brauche. Er antwortete: »Hauptsächlich in den nichtrevolutionären Situationen kann eine revolutionäre Intelligenz die Revolution in Permanenz halten.« Eine Utopie. Aber wer zwingt uns eigentlich, auf Utopien zu verzichten? »Wenn die utopischen Oasen austrocknen, breitet sich eine Wüste von Banalität und Ratlosigkeit aus.« Das lese ich bei Jürgen Habermas, den sicher niemand verdächtigt, ein Umstürzler zu sein. »Zement«, ein Film des Fernsehens der DDR. Regie: Manfred Wekwerth; Drehbuch: Joachim Tenschert/Manfred Wekwerth; Musik: Günther Fischer; Kamera: Roland Dressel; Schnitt: Barbara Simon. Es spielen: Hilmar Thate, Renate Richter, Ursula Werner, Annemone Haase, Günter Naumann, Rolf Ludwig, Arno Wyzniewski, Bruno Carstens, Thomas Langhoff, Fred Delmare, Wolfgang Dehler, Lisa Macheiner, Christa Lehmann, Peter Aust, Jürgen Hentsch, Dietrich Körner u.a., Wiederaufführung am 18. 12. 2004 um 17 Uhr in der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin
Erschienen in Ossietzky 25/2004 |
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