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Ursula Madrasch-Groschopp: In den ersten Jahren des kalten Krieges wurden wir mehrmals gefälscht. Ein Beispiel ist Die wahre Weltbühne von 1948. Ihr Herausgeber war Otto Stolz, Berlin. Darauf wird in den Heften der Weltbühne Nummer 38, 40, 41, 42 des Jahres 1948 eingegangen. Anfang 1950 kam es zu weiteren Fälschungen: In Versandtaschen mit aufgedrucktem Weltbühne-Absender steckte in Wahrheit die Neue Welt vom November 1949. Unter gefälschtem Titelblatt enthielt das Heft Artikel aus mehreren Ausgaben der von Melvin J. Lasky im Verlag Die Neue Zeitung, München, her-ausgegebenen Zeitschrift Der Monat. Jean Villain: Erschien die Die Neue Zeitung damals nicht unter dem Signet einer »Amerikanischen Zeitung für Deutschland«? M: Richtig. Sie war das US-lizenzierte Pendant zur Täglichen Rundschau, der sowjetisch lizenzierten Zeitung. Wobei Die Neue Zeitung anfangs eine ziemlich progressive Haltung vertrat. Zu einem Frontblatt des Kalten Krieges wurde sie erst nach gründlicher Erneuerung ihrer ersten Redakteursgarnitur. V: Gefeuert wurden unter anderen Stefan Heym und Erich Kästner... M: Und ebenso Martha-Maria Gehrke, die mit Letzterem zusammen den Kulturteil des Blattes machte. Jedenfalls so lange, bis die dortige erste Garnitur der leitenden amerikanischen Offiziere – in der Hauptsache anständige und ehrliche Antifaschisten – durch scharfe Kalte Krieger abgelöst worden war. Die dann munter weiter die gefälschten Weltbühne-Versandtaschen benutzten, in denen nun aber fortan der Monat pur, ohne gefälschtes Titelblatt, verschickt wurde, gezielt an Intellektuelle, und zwar vom DDR-Postamt Berlin-Baumschulenweg aus. Die Fälschung glänzte nicht durch besondere Sorgfalt. Obwohl sich unsere Redaktion bereits seit längerem an der Pankower Florastraße befand, war als Absender-Adresse der Weltbühne noch immer die Mohrenstraße angegeben. Doch nicht nur deswegen flog die Aktion sehr schnell auf. Aufmerksam wurden wir auf sie, weil Adressaten, die verzogen waren, nicht bedient werden konnten und die Post der DDR solche Sendungen mit Aufklebern wie »Ohne Wohnungsangabe oder sonstige nähere Bezeichnung ist der richtige Empfänger nicht zu ermitteln, Postamt Plauen (Vogtland)« an uns zurückschickte. Zum andern informierten uns Leser, die sich nicht erklären konnten, was da gespielt wurde, über den Empfang der ebenso seltsamen wie unerwünschten Sendungen. Doch nicht nur sie wunderten sich; es dauerte nicht lange, da erschienen gewisse Leute in der Redaktion, die argwöhnten, wir hätten bei der üblen Angelegenheit die Finger mit im Spiel. Denn diese Fälschungen wurden auch über die S-Bahn nach Ost-Berlin eingeschleust, und als die Polizei dahinterkam, sahen sich jene Leute veranlaßt, mit uns ein ziemlich mißtrauisches, heute würde ich sagen: ein äußerst ungemütliches Gespräch zu führen. Denn weil ich bis Ende Dezember 1949 in Westberlin gewohnt hatte, war ich natürlich die Hauptverdächtige... V: Woher aber hatten Versandtaschen-Aktivisten des Monat die Abonnentenliste der Weltbühne? M: Sie hatten sie nicht und brauchten auch gar keine. Unter unserm Absender bedienten sie auf gut Glück vor allem prominente Ärzte und Vertreter anderer Kategorien der Intelligenz, von denen anzunehmen war, daß sie auch Leser der Weltbühne sein könnten. Deren Adressen über die damals noch sehr dünnen Telefonbücher der DDR, über die Ärztekammer oder andere Einrichtungen zu besorgen, dürfte nicht besonders schwierig gewesen sein. Doch eben weil die Sendungen nur an mutmaßliche Weltbühne-Interessenten gingen, verdankten wir ihnen in der Folge sogar etliche neue Abonnenten. V: Ist diese Fälschungsgeschichte jemals in der Weltbühne oder überhaupt publiziert worden? M: Nicht, daß ich wüßte. Wohl aber wurde 1953 weiter gefälscht, diesmal eine komplette Nummer der Weltbühne. Von wem, weiß ich heute nicht mehr genau, glaube mich aber zu erinnern, daß das Kuratorium »Unteilbares Deutschland«, das wir »Unheilbares Deutschland« nannten, dahintersteckte. Und dann kam es auch zu direkten bundesdeutschen An- und Übergriffen gegen die Weltbühne. 1951 empfingen wir zum Beispiel überraschende Amtspost aus Dortmund, enthaltend eine an den Herausgeber der Weltbühne gerichtete Vorladung der dortigen Großen Strafkammer. Der Grund: Unser Heft Nr. 51 enthalte »Verunglimpfungen der Bundesregierung im Sinne von Paragraph 97 Strafgesetzbuch«. Leonard reagierte nicht darauf und versenkte den Brief einfach in eines seiner Dossiers. V: Wurde der »verunglimpfende« Artikel darin genannt? M: Nein, inkriminiert wurde ausdrücklich das ganze Heft. V: Aber irgendetwas Konkretes müßte die Dortmunder Staatsanwaltschaft doch im Visier gehabt haben. Habt Ihr nie herausgefunden, was es gewesen sein könnte? M: Waren Sie, Jean, gegen Ende 1951 in Westdeutschland unterwegs? V: Und wie! M: Aha! Und Sie haben die Hefte noch? Na, dann gucken Sie mal selber in die Nummer 51… V: Ach ja, meine Reportage über den Polizei-Einsatz gegen streikende Hafenarbeiter in Bremen. Sie war nicht etwa falsch oder ungenau, sondern zeigte aus der Sicht der Verantwortlichen gar zu genau, was geschehen war. Oder mein Bericht über den Auftritt des Bundesinnenministers Lehr im Winterhuder Fährhaus in Hamburg, wo er herausließ, daß er plante, die KPD verbieten zu lassen. M: Ab 1953 häuften sich dann auch die Beschlagnahmungen von Weltbühne-Heften westdeutscher Abonnenten, und dies, obschon der gesamtdeutsche Versand unserer Zeitschrift laut Kontrollratsbeschluß ausdrücklich zugelassen war. Den Anfang machte die Stadtpolizei von Landsberg am Lech in Bayern. Freundlicherweise ließ sie die als »verbotene Literatur« konfiszierten Exemplare allerdings noch an uns zurückgehen. Als derlei Übergriffe später immer öfter vorkamen, schmissen die Polizisten die konfiszierten Hefte gleich an Ort und Stelle in den Mülleimer. Probleme gab es in jenen wilden Jahren freilich auch mit manchen Mitarbeitern. In der deutsch-deutschen Politik mischten damals ganze Heerscharen schräger Vögel, Agenten, Abenteurer, Provokateure mit, und selbstverständlich versuchten etliche, auch bei uns zu landen. Sogar der Dolmetscher, der im Reichstagsbrandprozeß für van der Lubbe übersetzt hatte, gab nach seiner Rückkehr aus Argentinien ein Gastspiel bei uns. Er gab an, er habe als Verfolgter der Nazis dorthin fliehen müssen. In Wahrheit war er dort als Nazi aktiv gewesen. Und nun bot er uns Enthüllungsartikel an. Zwei davon publizierten wir, den dritten mit dem Titel »Wo ist Bormann?« nicht mehr. Ihm gelang es sogar, sich die Anerkennung als Opfer des Faschismus zu beschaffen; sie wurde ihm freilich bald wieder aberkannt. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht. Dann schrieb 1950 für uns gelegentlich ein Dr. Bernhard Kempner, der Bruder von Rechtsanwalt Dr. Robert Kempner, dem Ankläger im Nürnberger Prozeß. Bernhard Kempner, ein außerordentlich begabter, kenntnisreicher, wenn auch sehr zynisch-ironischer Journalist, war nach 1933 nach England emigriert, hatte während des Zweiten Weltkrieges in der britischen Armee gegen Rommels Afrikakorps gekämpft und war 1945 nach Deutschland zurückgekehrt. Wenn er zu uns kam, hatte er meist die Tägliche Rundschau unterm Arm, und mehr als einmal schlug er sie zur Eröffnung des Gespräches mit den Worten auf: »Also im Völkischen Beobachter steht heute…«. Ich glaube nicht einmal, daß er es besonders böse meinte. Er bezog sich vermutlich mehr auf die Tatsache, daß die Tägliche Rundschau an der Mauerstraße, in der einstigen Druckerei des Völkischen Beobachters, gedruckt worden war, und auch genau in dessen ursprünglichem Format... Unter dem Pseudonym »Beka« schrieb nun also dieser Kempner für uns politische Übersichtskommentare, zog von Westberlin nach Karlshorst, blieb dort eine Weile und – verschwand wieder gen Westen. Hatte seine Kenntnisse, wie so viele, wohl auf beiden Seiten verkaufen wollen. Irgendwann tauchte er noch einmal in meiner Privatwohnung auf und bat mich um eine Bescheinigung, daß er von dann bis dann für die Weltbühne gearbeitet habe. Er benötige ein solches Dokument für irgendwelche Westberliner Institute. Ich schlug ihm darauf vor, seine Mitarbeit einfach anhand seiner Artikel zu belegen – was natürlich ein bißchen faul war, da sie ja unter dem Pseudonym »Beka« erschienen waren. Der wohl schrägste Vogel jener Jahre aber war aus meiner Sicht ein gewisser Wolfgang Müller aus Braunschweig. Der war nicht nur eine Redaktionslaus, sondern vertrieb nebenbei auch noch klammheimlich Hitlers »Mein Kampf« in einer Neuauflage aus Südamerika. V: Wie kamt Ihr ihm auf die Schliche? M: Er sprach zu oft von Rudel. V: Vom Nazi-Fliegeroberst? M: Ja. Das war es, was Leonard, der ja von Haus aus mißtrauisch war, noch mißtrauischer machte und bewog, zum nächsten Gespräch mit Müller unsern Mitarbeiter Walter Lewis-Litzmann einzuladen. Als ehemaliger Pilot der Nazi-Luftwaffe wußte der über Rudel bestens Bescheid, und tatsächlich, auch ihm wurde Müller sehr schnell unheimlich. Alles Weitere über den Herrn Müller aus Braunschweig ist in der Weltbühne vom 14. März 1951 nachzulesen. Eine höchst merkwürdige Figur machte unter unsern Mitarbeitern der ersten Nachkriegsjahre auch Walter Westphal. Er wohnte in Berlin-Wannsee, also im amerikanischen Sektor, und behauptete, über ein Archiv zu verfügen, welches ihm der mysteriöse Vormieter seiner Wohnung – vielleicht nicht ganz freiwillig – hinterlassen habe. Ihm diene es nun als wichtige Quelle für seine wirtschaftspolitischen Artikel. Meist schrieb er unter dem Pseudonym »Egon Econ«, niemals unter seinem eigenen Namen. Natürlich klang seine Archiv-Legende ziemlich dubios und war auch nicht die einzige Ungereimtheit, die uns an ihm auffiel. So wurde er denn von Leonard, der nie ganz sicher war, ob W. nicht von irgendwem ferngesteuert war, stets am langen Arm gehalten. Als Journalisten schätzte er ihn allerdings. Intelligent und wendig, verfügte W. tatsächlich über geradezu ungeheure Materialquellen, was zu einer Zeit, da das Wirtschaftsgeschehen zur Nazizeit noch nicht aufgearbeitet und über dessen Exponenten wenig bekannt war, gewaltig ins Gewicht fiel. Woher er sein Wissen wirklich hatte, haben wir freilich nie herausgekriegt. Schließlich kam uns zu Ohren, daß er in Berlin seltsam dämlich-kleinkarierte, aber gerade deshalb in jenen Jahren durchaus diskreditierend wirkende Geschichten über die Weltbühne herumbot, worauf wir erst recht stutzig wurden. Der Höhepunkt aber war, daß Westphal eines Tages nach Zürich fuhr und dort, wie Leonard über drei Ecken gerade noch rechtzeitig gewahr wurde, versuchen sollte, Marcel Brun für irgendeine Sache anzuheuern. In wessen Auftrag und wofür genau, haben wir nie erfahren. Auch von ihm selber nicht, als wir ihn nach seinem erfolglosen Zürich-Trip zur Rede stellten. Da war dann der Faden endgültig gerissen. Leonard war nicht bereit, hinzunehmen, daß auf diese Weise hintenrum einer seiner Autoren zu was auch immer an- oder abgeworben werden sollte, und erteilte Westphal Hausverbot. V: Ich erinnere mich an seinen Zürich-Trip. Der fand 1955 statt. Da Westphal meine Adresse nicht kannte, erfragte er sie im Zürcher Sekretariat der Partei der Arbeit und fuhr dann zu meiner Wohnung, traf dort aber nur meine Frau an, da ich gerade auf Reportage war. Kurioserweise existiert jedoch über seinen Besuch eine ausführliche Aktennotiz der schweizerischen Bundespolizei. Aus ihr geht schlüssig hervor, daß W.’s im Zürcher Parteisekretariat geführtes Gespräch abgehört wurde. Nur was er von mir gewollt haben könnte, läßt sich daraus leider nicht entnehmen. Was vermuten Sie? M: Schwer zu sagen. Möglicherweise gehörte er zu denen, die auf beiden Seiten spielten. Und von beiden Seiten bezahlt wurde. V: Ein Kollege der frühen fünfziger Jahre, von dem ich, anders als von W., außerordentlich viel hielt, dessen journalistische Verve und Eleganz ich sehr bewunderte und dessen spätere Bücher mir wichtig sind, war Ralph Giordano. M: Ja, seine Bücher sind ausgezeichnet, und er selber war ein lieber Kerl, den wir sehr mochten. V: Weshalb eigentlich schied er seinerzeit so plötzlich bei uns aus? Was war geschehen? M: Es handelte sich um eine KPD-Angelegenheit, die dann aber natürlich auch zur SED hinüberwucherte, was zur Folge hatte, daß man hier – vorsichtig ausgedrückt – keinen Wert mehr auf die Publikation von Arbeiten Giordanos legte. Das muß ihn tief verletzt haben, und ich fürchte, daß diese Erfahrung seinen weiteren Lebensweg mitbestimmt hat. In unseren Breitengraden habe ich ihn jedenfalls nie mehr publizistisch wahrgenommen. V: Leider! M: Gerade weil die Sache mit uns eindeutig nichts zu tun hatte, versuchte Leonard, Giordano dennoch irgendwie zu helfen, und wandte sich zu diesem Zweck an Albert Norden. Ausnahmsweise, denn Leonard gehörte nie zu jenen, die bei Norden antichambrierten. Fast immer war es Norden, der zu uns kam, wenn er etwas von uns wollte. Zumeist sehr privat und frei von Parteifunktionärsgehabe. Doch diesmal reagierte Norden sehr offiziell, also abweisend. V: War Norden ein Zyniker? M: Ich würde lieber sagen, daß er mitunter recht hart sein konnte. Aber im Grunde genommen war er gutmütig, ja, weich. Zu weich für den Job, den er wahrzunehmen hatte. Wohl deshalb hat er diese angeblich harte Schale immer nach draußen gekehrt. Uns gegenüber hat er bis zum Schluß niemals den Politbüromenschen herausgekehrt, er begegnete uns freundlich, ja, herzlich, und wo er helfen konnte, half er. Als es beispielsweise unserem alten Weltbühne-Mitarbeiter Leo Menter, seiner Trunksucht wegen, immer dreckiger ging, kam Norden einmal eigens deswegen bei uns vorbei und fragte: »Könnt ihr ihm denn nicht ein bißchen was abkaufen? Wir dürfen doch nicht zulassen, daß ein Opfer des Naziregimes derart vor die Hunde geht.« Das waren Züge an ihm, die sich mir eingeprägt haben. Geblieben ist mir ferner, daß er ein großer Händel-Fan war, selber sehr gut Klavier spielen konnte und seinen Christian Morgenstern heiß und innig liebte. V: Das bringt ihn allerdings auch mir näher und ermutigt mich zu einer weiteren, ihn betreffenden Frage. Während der Genfer Deutschlandkonferenz 1955... Sie lachen? M: ... das Wehner-Explosivinterview!
Erschienen in Ossietzky 25/2004 |
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