Wer spuckt, ist ein Verfassungsfeind

Günther Schwarberg

Deutschland ist in Gefahr. Überall lauern Terroristen und Verfassungsfeinde auf eine Möglichkeit, den Staat umzustürzen Das Schlimmste ist: Die Bundesbürger haben keine Ahnung davon. Sie lesen noch nicht einmal die mit so viel Mühe und Geld produzierten Verfassungsschutzberichte, die ihnen vor Augen führen sollen, woran man einen Verfassungsfeind erkennt.

Zum Beispiel steht in dem spannenden »Verfassungsschutzbericht 2003« des Landes Schleswig-Holstein, mit welch infamer Gewalt in Neumünster ein Anschlag auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit inszeniert wurde: »Am 5. April fand in Neumünster anläßlich der dort gezeigten Ausstellung ›Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 – 1945‹ eine Demonstration der rechtsextremistischen Szene statt.« Doch ihr gutes Recht, mit Springerstiefeln durch die Stadt zu marschieren, Landserlieder zu singen und »Rotfront verrecke!« zu rufen, wurde von Gegendemonstranten gestört, von denen eine Reihe zum »linksextremistischen Spektrum« gehörte. Dadurch kam der Zug der Neonazis »zeitweise ins Stocken« und »mehrere Personen wurden durch Steinwürfe leicht verletzt«, aber dann konnten die jungen Helden unseres Volkes ihre Demonstration gegen die Verunglimpfung der Wehrmacht singend fortsetzen, unter dem Schutz der Polizei.

Die jungen Linken tendieren, wie die Verfassungsschützer erkannten, zum »so genannten Anti-Faschismus-Kampf«. Zur Tarnung behaupten sie zwar, sie kämpften gegen die Rechtsextremisten, aber davon lassen sich unsere treuen Verfassungsschützer nicht täuschen: Solch eine Behauptung ist »nur vordergründig«. In Wirklichkeit kämpfen sie »letztlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, in deren ›kapitalistischem System‹ der Faschismus seine Wurzeln habe«.

Die Gefahr wurde abgewehrt, genau so wie am 30. August 2003, als die »regionale linksextremistische Szene« gegen das »Bündnis Rechts für Lübeck« auftrat. Sie hatte »eine Straßenkreuzung kurzfristig besetzt und durch ein Drahtseil abgesperrt, an das sich sechs Personen mit Handschellen anketteten«. Auch hier konnte die Verfassung durch das beherzte Eingreifen starker Polizeikräfte schnell wieder gerettet und den Rechten ihr Auftrittsrecht gesichert werden.

Weil Nazigegner immer noch und immer wieder aktiv werden können, überwacht unser tüchtiger Geheimdienst permanent die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten«. Nicht minder aufmerksam beobachten die Kieler Verfassungsschützer selbstverständlich die Mitglieder der »Deutschen Kommunistischen Partei« und die »von ihnen gegründeten ›Friedensgruppen‹ als Versuche der Wiederbelebung der Friedensbewegung«. Auch die PDS und »Attac Deutschland« wurden beobachtet, weil sie Aktionen »gegen den Krieg im Irak« durchführten. Offenbar hatten diese Gruppen die Erklärungen von Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer gegen den Militäreinsatz im Irak einfach ernst genommen, obwohl sie nicht so gemeint waren.

Sonst war im Berichtsjahr 2003 wenig los im Lande Schleswig-Holstein, aber zur Warnung erwähnt der Kieler Verfassungsschutzbericht, was in anderen Bundesländern Gefährliches geschah, damit es nicht auf das meerumschlungene SPD-regierte Land nördlich der Elbe übergreife. Höhepunkt dieser Angriffe auf unsere Grundordnung war ein Flugblatt, das »von etwa 30 Personen am 29. Januar vor dem Wohnhaus des Bundesaußenministers in Berlin-Mitte hinterlassen wurde«. Darin fordert »das extremistische Lager« zum Kampf gegen den »Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak« auf und empfiehlt sogar: »Spucke auf Uniformen kommt auch gut an.« Und: »Zur Untermauerung dieser Aufforderung listen die Autoren militärische Standorte der Bundeswehr und alliierter Streitkräfte in Deutschland auf.«

Hätten Sie solch einen Abgrund an Verfassungsfeindlichkeit für möglich gehalten? Andere Verfassungsfeinde haben sich nicht geschämt, vor dem Abschiebeknast in Rendsburg »gegen staatlichen Rassismus« zu demonstrieren, vor dem Arbeitsamt in Kiel »gegen die Interessen des Kapitals« laut zu werden, auf der Maikundgebung der Gewerkschaften eine lokal verankerte »Gegenmacht« zu verlangen und sich gegen den Abriß des Szene-Treffs »Merhaba« in Kiel zu wehren.

Um solche Gefahren künftig ganz auszuschalten, sollten wir alle treu zu unsern Schlapphüten stehen.

Erschienen in Ossietzky 25/2004