Der Lohn der Revolution

Gerhard Zwerenz

Das wollen wir nun mal genau nachrechnen: Was ist bei der großen Umwälzung von 1989 für die vormaligen DDR-Bürger auf Euro und Cent herausgekommen?

Ab Januar 2005 wird die Stütze nach Hartz IV, das Arbeitslosengeld II also, 345 Euro im Westen und 331 Euro im Osten betragen. Dies sei zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel, heißt es fälschlich, denn es ist falsch, soweit es den Osten betrifft. Wie wir wissen, ist ein Euro so viel wie zwei D-Mark, was schon 662 DM ergibt. Legt man den Wert der Westmark zugrunde, der fünfmal soviel betrug wie der einer DDR-Mark, erhöhen sich die 662 DM auf 3316 Ost-Mark. Wer hätte, Hand aufs Herz oder den Computer, als DDR-Bürger jemals so viel Geld in die Finger gekriegt und auch noch ohne Arbeit? Da ist es nur gerecht, daß diejenigen, die noch Arbeit haben, ohne Lohnausgleich länger schuften dürfen, damit weniger Werktätige mehr Produkte herstellen und zugleich mehr Arbeitslose, die in den Genuß von Hartz IV kommen. In der DDR mußte man für viel weniger Geld auch noch roboten und sich im Parteilehrjahr den marxistischen Quatsch vom Klassenkampf anhören.

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 18. Juli 2004 war der Wirtschaftsteil wahrheitsgemäß übertitelt mit der Aussage: »Das Ende des Klassenkampfes«. Deshalb feiern wir ja den 3. Oktober als Tag der Einheit. In den Medien waschen uns seitdem westliche Fachleute die Gehirne, während 20 bis 30 theologische Widerstandskämpfer in der Gauck-Birthler-Behörde darüber wachen, daß keine vormaligen IM-Klassenkämpfer die Ordnung spekulierender Milliardäre stören. Wenn Marx tot ist, haben seine Nachkommen mindestens scheintot zu sein. Zwar predigte die vormalige Goebbels-Lobrednerin Elisabeth Noelle in der FAZ, man müsse »mehr miteinander sprechen«, damit Deutschland zusammenwachse, doch reden die Westdeutschen lieber separat mit ihresgleichen sowie den drei Dutzend theologischen Widerstandskämpfern aus der DDR, die als tapfere Bürgerrechtler die Revolution zum Siege führten.

Das aufständische Volk freilich soll auch etwas davon haben, so stehen für die Empfänger von Arbeitslosengeld II genügend unrenovierte Plattenbauten zum Quadratmeterpreis von zwei Euro leer und bereit. Bis zu 25 Quadratmeter pro Person wird auch noch die Miete übernommen. Da wohnen die Helden von 1989 dann mit sich und der Welt zufrieden in übersichtlicher sozialer Ordnung und nehmen am freiheitlichen Fernsehen aktiv teil: Entweder ist Fußball, Tennis, Schwimmen, Autorennen, oder man erlebt die Tragödien von Tannenberg bis Stalingrad. Hitler, Hindenburg, Stalin, Adenauer treten auf, Olympia wird zelebriert und Boxen am Samstagabend nach dem Wort zum Sonntag. Um 21.45 Uhr versammelt sich sonntags die intellektuelle Creme de la Creme bei Christiansen – und das alles gibt’s zu den 331 Euro beziehungsweise 3316 Ostmark noch verbilligt dazu.

Dafür hat es sich schon gelohnt, Revolution zu machen. Oder etwa nicht?

Erschienen in Ossietzky 25/2004