Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Die Große Deutsche Friedliche RevolutionRalph Hartmann Ein Wort hatte im zurückliegenden Herbst in Deutschland Konjunktur. Es war nicht das »Unwort des Jahres« und nicht das »schönste deutsche Wort«, aber vielleicht neben »Hartz IV« und »Gesundheitsreform« das am häufigsten gebrauchte: die »Revolution«, die »friedliche« in Ostdeutschland vor 15 Jahren. Das Wort wird uns weiter begleiten, auch im kommenden Jahr, denn die fünfzehnten Jahrestage mehrerer revolutionärer Ereignisse stehen noch an: der »ersten freien und demokratischen Wahlen in der DDR« am 18. März, der Währungsunion vom 1. Juli und schließlich der deutsch-deutschen Vereinigung am 3. Oktober. Erst in ihrer Gesamtheit bilden sie den gesellschaftlichen Umbruch, dessen Beginn, die Massendemonstrationen in Leipzig und Berlin sowie der Mauerfall, jüngst von Rot-Grün und CDU/CSU/FDP gleichermaßen gefeiert wurde. Bundespräsident Köhler rüttelte das Volk – wie schon sein Vor-Vorgänger Herzog, der immer aufs neue von der »ersten geglückten friedlichen Revolution in der deutschen Geschichte« gesprochen hatte – gleich in seiner Antrittsrede mit den Worten auf: »Mut zur Zukunft sollte uns... die Erinnerung daran machen, was vor 15 Jahren in Deutschland geschah. Den Menschen in Ostdeutschland gelang eine friedliche Revolution.« Auch Bundeskanzler Schröder lobte anläßlich des 15. Jahrestages des Falls der Mauer die Ostdeutschen: »Die Menschen in der DDR haben die deutsche Geschichte um ein einmaliges Ereignis bereichert: Sie haben in einer friedlichen Revolution eine Diktatur zu Fall gebracht.« Oppositionsführerin Merkel überreichte kurz vor dem erwähnten Jahrestag Bärbel Bohley, der »Mutter der Revolution«, den Verdienstorden »Goldene Henne«, um wenig später zu erklären: »Die Ostdeutschen haben das höchste Gut in unser vereintes Deutschland eingebracht: eine erfolgreiche Freiheitsrevolution. Darauf können wir alle stolz sein.« Wie treffend, wie wahr! Und wie unverständlich dagegen die – allerdings noch vereinzelten – Stimmen, die es eine »Konterrevolution« nannten. Die Tatsachen sprechen schließlich eine klare Sprache: Dank der »friedlichen Revolution« gelang es, in Ostdeutschland die Machtverhältnisse – Kernfrage einer jeden Revolution – grundlegend zu ändern, den totalitären Unrechtsstaat DDR zu zerschlagen und durch den demokratischen und freiheitlichen Rechtsstaat BRD zu ersetzen, das widernatürliche Volkseigentum zu liquidieren und in treusorgende privatkapitalistische Hände zu legen, die nichtsnutzige politische, wissenschaftliche und kulturelle Elite der DDR zu verjagen und an deren Stelle bewährte westdeutsche Spitzenkräfte einzusetzen, die Rückkehr altehrwürdiger Adelsgeschlechter auf ihre Schlösser und Ländereien zu ermöglichen, die Gleichmacherei im Gesundheitswesen zu beenden und endlich wieder eine Zwei-Klassen-Medizin zu schaffen, das abwegige Recht auf Bildung für alle zu beseitigen und bewährte Bildungsprivilegien wiederherzustellen, vom »verordneten Antifaschismus« und verbotenen Nazismus zum erlaubten und geschützten Neonazismus überzugehen und den wehrfähigen Männern und Frauen die Freiheit zu geben, als Staatsbürger in Uniform deutsche Interessen überall in der Welt zu verteidigen. Wer will angesichts dieser unleugbaren Tatsachen bestreiten, daß sich auch in Ostdeutschland die Marxsche Einschätzung, wonach die Revolution die »Lokomotive der Geschichte« ist, bestätigt hat, zumal der Weltanschauungsbegründer sich im Zitat nicht festgelegt hat, in welche Richtung der ganze Zug fährt? Gewiß sind nicht alle Umwälzungen in Ostdeutschland so gelungen, wie es die westdeutschen Revolutionsfreunde und -förderer prophezeit hatten. Statt »Wohlstand für alle« wuchs die Kluft zwischen arm und reich. Landschaften verödeten, obwohl ihnen das Gegenteil verheißen worden war. Für Reisefreiheit, vergrößertes Konsumgüterangebot und erneuerte Infrastruktur mußte mit Massenarbeitslosigkeit gezahlt werden, mit steilem Kriminalitätsanstieg, Überschuldung, Wohnungszwangsräumungen, Obdachlosigkeit, Rentenstrafrecht und so weiter. Doch trösten wir uns, schon der russische Dichter und Revolutionskenner Alexander Blok wußte: »Wie ein Gewitterwind, wie ein Schneesturm bringt die Revolution stets Neues und Unerwartetes; grausam betrügt sie viele...« Betrug hin, Betrug her, Trost kam auch von anderer Seite. Kein Geringerer als Joachim Gauck – Angela Merkel zitiert ihn mit Vorliebe – hat festgestellt, daß »die Ostdeutschen mit ihrer friedlichen Revolution unserer Nation die Eintrittskarte in den Kreis jener Völker gelöst haben, die ihre eigene Freiheitstradition haben«. Der verdienstvolle Revolutionär vergaß zwar den großen deutschen Bauernkrieg von 1525, die Märzrevolution von 1848 und die Novemberrevolution von 1918, aber das von ihm gewählte Bild beeindruckt auch so. Mit der 1989/90 gelösten Eintrittskarte drang die deutsche Nation endlich in die Reihe jener Völker vor, deren revolutionäre Erhebungen Geschichte machten. Ab jetzt lautet die Reihe der weltverändernden Revolutionen: bürgerliche englische Revolution von 1642, amerikanische Unabhängigkeitsrevolution von 1775/83, Große Französische Revolution von 1789, Große Sozialistische Oktoberrevolution in Rußland von 1917, Große Deutsche Friedliche Revolution von 1989/90. Für die Helden der letztgenannten Revolution bleibt das nicht ohne Folgen. Auch ihre Namen werden im Pantheon der Weltgeschichte mit goldenen Lettern in die Ehrentafel eingetragen: Nach Oliver Cromwell und John Lilburne, Thomas Jefferson und Benjamin Franklin, Maximilien de Robespierre und Georges-Jacques Danton, Wladimir Iljitsch Lenin und Lew Dawidowitsch Trotzki nun auch Bärbel Bohley und Vera Wollenberger, Rainer Eppelmann, Wolfgang Schnur und Günther Krause sowie Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble. Angesichts dieser Helden hätte Gauck gleich, wie weiland Geheimrat Goethe als Zeuge des Sieges der französischen Armee über die Preußen bei Valmy, ausrufen können: »Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabeigewesen.« Doch auf solchen Überschwang verzichtete der ehemalige Rostocker Pfarrer und spätere Berliner Behördenvorsteher. Zu Recht. Vielleicht merkte er schon, daß, wie Carl von Ossietzky es nach der deutschen Novemberrevolution gesagt hat, »jede Revolution mit einer Konterrevolution zu kämpfen hat« und daß es, »wie die Geschichte lehrt, nicht absonderlich, sondern normal ist... daß auf eine Revolution eine Gegenbewegung folgt«. Wenn der Umsturz von 1989/90 eine »Revolution« war, dann freue ich mich schon auf die Gegenbewegung, die Konterrevolution – eine friedliche, versteht sich.
Erschienen in Ossietzky 25/2004 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |