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Da gab es ein eigenes Grenzregime – wer den Grenzzaun unerlaubt überwinden wollte, mußte damit rechnen, daß man auf ihn schoß –, ein eigenes Paßwesen, eine militärische Gerichtsbarkeit mit Spezialgefängnis, ein von der Außenwelt unabhängiges Kraftwerk und selbständige Bundeswehr-Küchen, Ärzte und ein Krankenhaus. Sogar eigene Gebetsräume und Pfarrer gab es, die wie alle anderen Vorgesetzten wenig vertrauenswürdig waren; einmal bramarbasierte der protestantische Geistliche: »Wenn mein gelähmter Bruder bei uns zu Hause von einem Russen angegriffen wird, dann entleer’ ich mein MG in ihn. Den mach’ ich ein Pfund schwerer!« Ich war noch immer mitten in meiner Stadt und doch so weit entfernt von der Gesellschaft, in der ich aufgewachsen war, daß ich mich wie auf einem fremden Planeten fühlte. Schon am zweiten Tag war ich in eine Uniform gezwängt worden, und man vollzog an mir eine Folter namens »Befehl und Gehorsam«, aus der es kaum ein Entrinnen gab. Wer weglief, wurde von Häschern namens »Feldjäger« bundesweit gejagt, eingefangen und in Gewahrsam genommen, bis es zu den Gerichtsverhandlungen kam – eine in der Kaserne, eine in der Welt »da draußen«. Unsere Grundrechte waren für die Dauer des Dienstes nicht aufgehoben, sondern nur eingeschränkt – auf dem Papier. Einem Offizier, dem ich für sonst nichts dankbar war, dankte ich für diese offenen Worte in kleiner Runde: »Menschenrechte gibt es hier nicht, die könnt Ihr Euch abschminken.« Er war es auch, der uns über die Laufbahnbedingungen von Berufssoldaten aufklärte: »Man muß das richtige Parteibuch haben, sonst kommt man nicht weit.« Richtig hieß so viel wie CDU. Was das bedeutete und zu welchem Gesinnungsterror das führen konnte, erfuhren wir während einer Unterrichtsstunde in Staatsbürgerkunde. Der Kasernenkommandant, der sich als Gast zu uns gesetzt hatte, hob zu einer Lobeshymne an, als die Sprache auf unseren gerade verschiedenen Ministerpräsidenten Barschel kam: »Ich habe Uwe Barschel gekannt. Er war mein Freund! Wir haben viele Wochenenden miteinander verbracht. Ich weiß, daß er ein durch und durch ehrlicher Mann war!« Durch und durch ehrlich… – nachdem gerade ein »Ehrenwort« Barschels geplatzt war. Doch keiner wagte, dem Kommandanten zu widersprechen, auch die anwesenden Unteroffiziere nicht. Nach den Gründen ihres Schweigens gefragt sagten sie, daß es für eine abweichende Meinungsäußerung eine Folter namens »Disziplinarmaßnahme« gegeben hätte: »Der hätte befohlen: Holen Sie Ihren Klappspaten und heben Sie sofort ein zwei Meter tiefes Loch aus!« Derselbe Kommandant hielt viermal jährlich eine Bataillonsansprache, in der immer auch der Satz fiel: »Glasnost und Perestroika haben uns die Sinne vernebelt!« Wir Untergebenen mußten uns in Formation anhören, daß man den Russen eben doch nicht trauen könne, denn sie wollten den Kalten Krieg unbarmherzig weiterführen. In der wirklichen Welt vor dem Kasernentor schrieb man übrigens das Jahr 1988. Unseren Kompaniechef nannten alle »Hauptmann Rotarsch«, weil er seit über zehn Jahren nicht befördert worden war. Um endlich aufzusteigen, riß er jede Menge Wachdienste an sich, die er gnadenlos an uns Untergebene weiterreichte. Als Schreibstubenkraft mußte ich sein Büro sauberhalten; dabei entdeckte ich in seinem Bücherschrank reichlich Erlebnisberichte von Wehrmachtsangehörigen aus dem Zweiten Weltkrieg. Einmal stieg ich unter Rotarsch vom Folteropfer zum Folterknecht auf, als er einem Soldaten, den er auf dem Kieker hatte, eins auswischen wollte: »Gefreiter Petersen, ich erwarte den Namen dieses Mannes in Zukunft auf sämtlichen Wachplänen zu lesen. Der macht von jetzt an die miesesten Jobs, haben wir uns verstanden?« Es gab keine Zeugen für diesen illegalen Befehl. Ich schäme mich noch heute, daß ich gehorchte. Damals begann ich, meinen Wehrsold in Süßigkeiten anzulegen. Ich ging auf wie ein Hefekloß, was schwere gesundheitliche Folgen hatte. Noch eine Folter, aber eine, die ich selbst gegen mich einsetzte. Im übrigen entzog ich mich der Folter, wo ich nur konnte. Ich lernte, körperliche Leiden überraschend echt zu simulieren; darüber hinaus verschaffte ich mir kleine Vergünstigungen, von denen keiner etwas ahnte. Ich erschlich mir drei zusätzliche Urlaubstage, wurde also kriminell, wofür ich mich noch mehr schämte, so daß ich noch mehr Süßes in mich hineinstopfte. Den Spieß brachte ich mit meiner Begriffsstutzigkeit auf die Palme: »Wenn mir die Leute vom Innendienst noch so einen wie den Petersen schicken, häng’ ich sie alle auf!« Gut zehn Jahre später besuchte ich meinen Bruder in derselben Kaserne. Er wußte Erschreckendes zu berichten, beispielsweise von einer Ausbildungskompanie, deren Soldaten in voller Montur einen See durchschwimmen mußten. Ihr Vorgesetzter folgte ihnen in einem Boot und simulierte den Einschlag von Gewehrkugeln, indem er mit dem Bootspaddel zentimeternah an den Köpfen der Wehrpflichtigen aufs Wasser einprügelte. Auch gab es lustige Spiele, von denen ich noch nichts gehört hatte, etwa das »Spindwürfeln«. Dabei wurde ein Wehrpflichtiger in Unterwäsche in einen der engen Spinde gesperrt, wo er sich im Dunklen die Uniform anlegen mußte. Um den Schwierigkeitsgrad des Spieles zu erhöhen, wurde der Spind über den Flur gewürfelt, kopfüber. Der Unteroffizier, die an jenem Abend Wachdienst hatte, war Spielleiter. Mancher wird sagen, das alles sei gar keine Folter gewesen. In der Tat: Es gibt ein gesellschaftlich akzeptiertes Maß an Gewalt, das als »bundeswehrübliche Umgangsformen« verharmlost wird. Dieses Maß wächst. Unsere Gesellschaft ist zwar noch nicht so weit, Stromstöße und Scheinerschießungen als Ausbildungsmethoden für Wehrpflichtige zu akzeptieren. Aber wie ich dieses Land kenne und diese Zeit, werden alle Uniformierten, die heute vor Gericht kommen, eines Tages als mutige Vorkämpfer einer Modernisierung der Gesellschaft bewundert werden.
Erschienen in Ossietzky 25/2004 |
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