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ParallelgesellschaftAlle Welt redet plötzlich von der Parallelgesellschaft. Vorher gab es schon die Hypothese eines Paralleluniversums, aber das war nur den Eingeweihten bekannt, die auch etwas von Antimaterie und schwarzen Löchern verstehen. Oder die Parallelaktion aus kakanischen Zeiten, die in Robert Musils Roman »Der Mann ohne Eigenschaften« beschrieben wird. Aber was um Himmels willen ist eine Parallelgesellschaft, wo doch die ganze Gesellschaft sowieso aus Parallelen besteht, die entweder horizontal oder vertikal verlaufen? Ach ja, islamisch soll sie sein, das ist natürlich etwas anderes. Davor kann man nur warnen, wie es die Minister Beckstein und Schily sogleich parallel zueinander tun, obwohl sie verschiedenen Parteien angehören sollen. Was ist so gefährlich an dieser Parallelgesellschaft? Daß sie ihre eigene Religion hat, ihre eigene Sprache, die niemand sonst versteht, daß sie sich abschottet, sich nicht gemein macht mit den übrigen Leuten, sich nicht integriert, keinen genügenden Beitrag leistet zum Sozialprodukt und Gemeinwohl, weil sie zuviele Arme und Sozialschmarotzer in ihren Reihen hat. Alles nachlesbar in Bild, das Jürgen Trittin prompt die Gretchenfrage stellte, wann er zum Islam übertrete, da er in Erwägung gezogen hatte, der Vielzahl von christlichen Feiertagen einen islamischen hinzuzufügen, was die Parallelgesellschaft perfekt machen würde. Bild-Leser reagierten entsprechend: »Beschneidet Trittin und setzt ihm für immer ein Kopftuch auf!« – »Eindosen und pfandfrei entsorgen« (Bild, 18. 11. 2004). Alles schön und gut, aber könnte uns nicht noch eine ganz andere Parallelgesellschaft einfallen, wenn wir von Abschottung, Arroganz, mangelnden Bei-trägen zu Reichtum und Wohl der Allgemeinheit, also Sozialschmarotzerei hö-ren? Könnten wir da nicht an eine Götzenreligion denken, der eine kleine radikale Minderheit in unserem Land frönt, die sich in Wohnghettos ein-schließt, in besonderen Läden einkauft, ja sogar nur bestimmte Automarken fährt, was von kultureller Absonderung zeugt? Diese Minderheit ist absolut integrationsunwillig, will nicht einmal Steuern zahlen und besteht darauf, etwas Besonderes zu sein. Typisch Parallelgesellschaft. Merkwürdig nur, daß weder Beckstein noch Schily vor ihr warnen. Auch wird ihr nicht mit Observierung gedroht, schon gar nicht mit Ausweisung ihrer schlimmsten Vertreter. Wohin sollte man schließlich einen Angehörigen der oberen Zehntausend ausweisen, der wirtschaftskriminell ist oder den Terror der Ökonomie predigt, wenn schon alle Steueroasen und karibischen Inseln überfüllt sind? Reiner Diederich
Und wieder reiten die WalkürenEin Teilnehmer des Zweiten Weltkriegs erinnert sich: »Gleich nach Kriegsbeginn sah ich im Kino in der Wochenschau Bilder der Luftwaffe. Piloten mit markanten und ernsten Gesichtern unter der Fliegerkappe lenkten ihre Ju86-Sturzkampfbomber zur Musik aus Ri-chard Wagners ›Walkürenritt‹ den Zielen entgegen.... Ich möchte fliegen! Ich werde ein Pilot! Und im inneren Ohr hörte ich Richard Wagners ›Walkürenritt‹.« Gekonnt eingesetzte Licht- und Tontechnik: Jüdische Marktszenen sind mit verzerrten maurischen Klängen unterlegt. Arische Arbeiter dagegen werden mit Musik in Verbindung gebracht, die an Wagners »Walkürenritt« erinnert. So machten es die Nazis in ihrem Hetzfilm »Der Ewige Jude«. Es ist wieder soweit. »A psychological operations Humvee blaring Richard Wagner’s ›Ride of the Valkyries‹ drove by, followed by creaking military construction equipment.« So schreibt am 10. 11.2004 der Berichterstatter der Chicago Tribune, der mit US-Einheiten in die irakische Stadt Falludscha vorrückte. Also: Ein Wagen der psychologischen Kriegsführung, gefolgt von knarrender militärischer Gerätschaft, läßt über Lautsprecher den »Walkürenritt« erschallen... »Die irakische Stadt Falludscha ist binnen Tagen in ein großes Totenhaus verwandelt worden. Aus einem Bericht der Washington Post geht hervor, daß die US-Armee bei ihrer ›Operation Mor-gendämmerung‹ genannten Großoffensive auch Chemiewaffen einsetzt. Wie die US-Zeitung meldete, feuerte die Artillerie Granaten mit Weißem Phosphor auf die 300 000 Einwohner zählende Stadt ab. Dadurch sei eine Feuerwand entstanden, die mit Wasser nicht gelöscht werden konnte. Krankenhausarzt Kamal Hadeethi sagte gegenüber der Washington Post: ›Ich habe zahlreiche Tote mit schweren Verbrennungen gesehen. Einige Leichen waren geschmolzen.‹ Auch andere Bewohner von Falludscha berichteten von gespenstischen Szenen: Im Bezirk Dscholan seien die Straßen mit Kratern übersät, überall lägen Leichen. An Hausmauern klebten Fleischfetzen.« (junge Welt, 13.11.2004) Vor dem Krieg, am 28.1.2003, hörten wir Präsident Bush in seinem Bericht zur Lage der Nation sagen: »Der Diktator, der die gefährlichsten Waffen der Welt ansammelt, hat sie bereits gegen ganze Dörfer eingesetzt – wodurch tausende seiner eigenen Bürger getötet, blind oder entstellt wurden... Wenn das nicht das Böse ist, dann weiß ich nicht, was das Böse ist.« Und die Medien standen in ihrem moralischen Eifer nicht zurück. Zur Einstimmung auf den Krieg hieß es zum Beispiel im Spiegel über die Vorkommnisse, die bis heute letztlich nicht geklärt sind: »Im März 1987 ernannte Saddam seinen mörderischen Cousin Ali Hassan al-Madschid zum Gouverneur des Nordirak. Am 16. März 1988 unternahm Ali Hassan seinen berüchtigten Überfall auf die kurdische Stadt Halabdscha. Er setzte verschiedene chemische Kampfstoffe ein und tötete mindestens 5000 kurdische Zivilisten...« Und was hören wir jetzt, nach dem verheerenden Überfall der USA auf die Stadt Falludscha? Bundeskanzler Schröder spricht den Betroffenen sein Beileid aus: »Mit großer Bestürzung habe ich vom Tod der (Menschen) erfahren, die heute Opfer eines besonders heimtückischen Angriffs in... Falludscha geworden sind. Ihnen, den Familienangehörigen der Opfer und dem ganzen... Volk möchte ich zu diesem Verlust mein tief empfundenes Beileid ausdrücken.« Aber nein, dieser Text hat nichts mit dem Blutbad, das die USA angerichtet haben, zu tun. Dieser Text stammt nicht vom November 2004, sondern vom 2. November 2003, als ein US-Militärhubschrauber abgeschossen worden war. Das Beileidsschreiben in vollem Wortlaut: »Sehr geehrter Herr Präsident, lieber George, mit großer Bestürzung habe ich vom Tod der 15 amerikanischen Soldaten erfahren, die heute Opfer eines besonders heimtückischen Angriffs in der Nähe von Falludscha geworden sind. Ihnen, den Familienangehörigen der Opfer und dem ganzen amerikanischen Volk möchte ich zu diesem Verlust mein tief empfundenes Beileid ausdrücken.« Heute warten wir vergeblich auf eine derartige Erklärung. Seit Beginn des völkerrechtswidrigen Raubüberfalls der USA und ihrer »Koalition der Willigen« auf den Irak werden 100 000 Tote auf Seiten der irakischen Bevölkerung gezählt (laut einer Studie, die am 29.10.2004 von der britischen Medizinzeitschrift The Lancet veröffentlicht wurde), ohne daß die führenden Politiker und die Medien aufheulen. Der »Walkürenritt« ertönt. Die Zeit, in der diese Musik nur im Rahmen von Antikriegsfilmen wie Francis Ford Coppolas »Apocalyse Now« zur Untermalung eines Massakers an – damals vietnamesischen – Zivilisten zum Einsatz kommt, ist vorbei. Der »Walkürenritt« ertönt wieder in Zusammenhang mit realen Kriegen. Andreas Vogel
Unsereiner massakriert nichtDer Film eines NBC-Fernsehteams zeigt, was dann die ARD in ihren Tagesthemen den Zuschauern ebenfalls nicht vorenthalten will (»…schwer erträgliche Bilder«): Ein US-Soldat erschießt in einer Moschee in Falludscha einen unbewaffneten, verwundet am Boden liegenden Iraker und kommentiert anschließend seinen Mord mit selbstzufriedenen Sprüchen. Seit der Vorfall am Vormittag des 16. November bekannt wurde, berichtet die Tagesschau nahezu stündlich von der »hellen Empörung«, die er weltweit ausgelöst habe, »…auch in den USA«. Tagesthemen -Moderatorin Susanne Holst nimmt zwar zunächst kein Blatt vor den Mund: »Erschießung eines verwundeten und wehrlosen Irakers… Dokument eines Kriegsverbrechens…« Sie interviewt dazu Tom Buhrow, den ARD-Korrespondenten in Washington. Der aber betont: »Noch ist es ein Einzelfall.« Und diese Einschränkung steht denn auch seitens der Redaktion nicht mehr in Frage. Um würdigen zu können, was solche Nachrichtengestaltung bedeutet, mag uns ein Blick auf die Irak-Meldungen dieses grauen Novembertages genügen. Da werden die bis dahin 38 gefallenen US-Soldaten genannt (die Guten zuerst), danach »mindestens 1500 Tote«, bei denen es sich nach US-Angaben um »Rebellen« handelt. Manchmal werden diese Opfer auch »Aufständische« genannt. ARD-Korrespondent Buhrow bezeichnet sie einmal sogar als »Partisanen«, mit denen die US-Soldaten (verständlicherweise?) »anders« verführen als mit Angehörigen einer regulären Armee … Von Mord und Totschlag, begangen an irakischen Widerstandskämpfern gegen Fremdherrschaft nach einem völkerrechtswidrigen Krieg ist in allen Funk- und Fernsehnachrichten an diesem 16. November überhaupt keine Rede, von Völkerrechtsbruch und Kriegsverbrechen nur selten, niemals von einem Massaker. Das Wort existiert in diesem Zusammenhang nicht. Lediglich einmal wird an diesem Tag in einem Nebensatz erwähnt, daß die US-Truppe in Falludscha nur etwa 200 Iraker gefangen genommen habe. Viele Tote und wenige Gefangene – ein Mißverhältnis. Hatte die US-Truppe etwa den Kaiser-Wilhelm-Befehl, keine Gefangenen zu machen? Tagesschau und Tagesthemen stellen Fragen nicht. Anscheinend wird in der Redaktion auch nicht darüber nachgedacht, daß außer den toten, den verwundeten und den gefangenen Kämpfern nach aller Erfahrung auch eine weit höhere Zahl toter und verwundeter Zivilisten zu den Opfern gehören muß. Im heute-journal, den ZDF-Fernseh-nachrichten, heißt es an diesem 16. November im Nachspann zu dem Film über die Gefangenen-Erschießung, die Vielzahl der Bilder aus diesem Krieg erkläre sich aus der Allgegenwart der Medien und ihrer modernen Aufnahme- und Übermittlungstechnik. Ein irreführendes Selbstlob. Peter Scholl-Latour, der sei-nerzeit für das ZDF gearbeitet hat, konnte die Redaktion anscheinend nicht rechtzeitig daran erinnern, daß die USA ihren Vietnamkrieg unter dem Druck einer aufgebrachten Weltöffentlichkeit abbrechen mußten, weil damals zahlreiche Fernsehteams ohne die heute verhängten krassen Beschränkungen und ohne Militärzensur Filme von der barbarischen Schlächterei der US-Soldateska an den Vietnamesen drehen konnten. Die Bilder von der Ermordung des Wehrlosen in der Moschee zu Fallu-dscha gerieten nur ans Licht der Öffentlichkeit, weil einer der »eingebetteten« Reporter die US-Militärzensur umging. Das verantwortungsvolle Handeln dieses einen Journalisten und seines Senders ist der Einzelfall. Die Ermordung eines wehrlosen Verwundeten in diesem widerwärtigen Krieg des Weltterroristen Bush ist es nicht. Volker Bräutigam Und kaum eine deutsche Zeitung bedachte das Ereignis mit einer Schlagzeile oder einem Kommentar. Eine Ausnahme: die Süddeutsche Zeitung. Sie kommentierte: »Der Widerstand kann nach der fehlgeleiteten Entwicklung der vergangenen 18 Monate tatsächlich nur militärisch gebrochen werden« Dafür wünschte die SZ den US-Truppen brüderlich einen »raschen Sieg«. Red.
Heldenbrei angebräuntDie militärischen Leistungen der Deutschen im 20. Jahrhundert seien noch nie so tabuisiert gewesen wie heute, beklagt der nicht erwähnenswerte Autor eines 2004 in der Deutschen Verlags-Anstalt erschienenen Buches. Abhilfe zu schaffen, begab er sich in der Armee Wilhelms II. auf Heldensuche und wurde – nach seinen Maßstäben – in den Zeiten des Ersten Weltkriegs fündig. Die Gefundenen (unter ihnen Paul Lettow-Vorbeck, Felix Graf Luckner, Ernst Udet, Erwin Rommel, Ernst Jünger) präsentierend, möchte er für die an Auslands-einsätzen teilnehmenden Soldaten der Bundeswehr die heldenlose Zeit beenden. Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagt das zu. Aber es genügt ihr nicht, wie in der Ausgabe vom 19. November 2004 nachzulesen ist. Die Rezension schließt mit zwei Fragen: »Und wie war das im Zweiten Weltkrieg? War nur der Widerstandskämpfer ein Held?« Nach dem Opferbrei à la Kohl, verabreicht an der Neuen Wache in Berlin Unter den Linden, wird den Deutschen nun Heldenbrei angerichtet. Sie brauchen nur zu schlucken, zu schlucken und immer zu schlucken. K.P.
Kaum glaublich, aber aktenkundigBei seinen ergiebigen Recherchen zum Frankfurter Auschwitz-Prozess, die mehrfach Früchte getragen haben, stieß der Marburger Historiker und Pädagoge Friedrich-Martin Balzer auf ein Manu-skript aus der Feder des Juristen Heinz Düx. Es berichtet von den mehr als 40jährigen Erfahrungen eines Mannes, der Altbundesbürgern, namentlich denjenigen unter den Älteren, die konsequent demokratischen und antifaschistischen Bestrebungen voranhelfen wollten, mit seinen Verdiensten nicht vorgestellt zu werden braucht – womit freilich das Fehlen eines Vor- oder Nachwortes nicht gerechtfertigt ist. Was Düx bis zu seinem 21. Lebensjahr erlebte, wie er dann in den kleinen Kreis demokratischer Juristen gelangte, der sich für das Aufspüren und Verfolgen der in der Bundesrepublik reichlich vorhandenen NS-Täter einsetzte und dazu den Kampf gegen die Mehrheit der alten Kameraden, bald auch gegen deren Nachwuchs führen mußte, wer ihn mit der richterlichen Voruntersuchung für den Auschwitzprozeß betraute, schließlich was der heute achtzigjährige Unermüdliche treibt, das hätte eine ebenso informative wie anspornende Einleitung des lesenswerten Bandes ergeben. Hauptinhalt des Buches ist, was der Jurist im Kampf für die Bestrafung von Verbrechern aus der Nazizeit und während seines Eintreten für die Entschädigung der Opfer erlebte. Vieles davon würde man, wäre es nicht aktenkundig, für unglaublich halten. Diese Kurzgeschichten könnten ein anderes als das Knoopsche Fernsehen zu Dokumentationen anregen, die ins Nachdenken statt ins Wundern, Gruseln und Kopfschütteln brächten. So etwa die Geschichte eines polnischen Zwangsarbeiters, dessen Anspruch auf Entschädigung der Bundesgerichtshof mit der Begründung abwies, er sei doch nicht als Pole verhaftet und verschleppt worden, »sondern allein deshalb, weil das nationalsozialistische Deutsche Reich zur Fortsetzung des Krieges unter allen Umständen Arbeitskräfte benötigte«. Gleiche und ähnliche Benachteiligungen und Diskriminierungen kennt Düx aus seiner Praxis von einer Jüdin aus der Ukraine, von der schwer gesundheitsgeschädigten Tochter von KZ-Insassen, nicht zuletzt von Kommunisten. Wer den Text liest, von dem man sich wünschen könnte, er würde zu einer Biographie gestaltet, für den hat sich ein weiteres mal die Frage erledigt, warum der Vorschlag, eine vergleichende Geschichte der beiden deutschen Staaten zu schreiben, auf taube Ohren jener stößt, die Kräfte und Mittel besitzen, ein solches Unternehmen auf den Weg zu bringen. Kurt Pätzold
Heinz Düx: »Die Beschützer der willigen Vollstrecker. Persönliche Innenansichten der bundesdeutschen Justiz«, hg. von Friedrich-Martin Balzer, Pahl-Rugenstein, 171 Seiten, 14, 90 €.
Ein Traum vom LebenIn Besprechungen von Dirk Szuszies’ Dokumentarfilm »Resist!«, einer Arbeit über die Jahre und die Welten des New Yorker Living Theatre, finden sich Beiwörter wie aufwühlend, erschütternd, überwältigend und ähnliche mehr. Fast möchte man meinen: zu überschwenglich. Falsch. Die Wörter treffen zu – und Verlierer ist, wer sich den Film entgehen läßt Hier hat ein waches Kameraauge die Theatergruppe um Judith Malina eingefangen, eine Amerikanerin deutsch-jüdischer Herkunft, hat sie bei Aktionen im ehemaligen Gefangenenlager der israelischen Armee im Südlibanon beobachtet, in Genua auf dem G8-Gipfel, während der 68er Maitage von Paris, nach den Anschlägen vom 11. September vor Ground Zero in Manhattan – kurzum, es hat mit ihr eine Reise zu den brisantesten Schauplätzen unternommen, eine Reise durch Zeit und Raum, die erregend ist – ein Beiwort so treffend wie die anderen. Es ist erregend, die Truppe in Aktion zu erleben, junge Menschen im Widerstand mit anderen, solidarisch gegen Willkür, gegen Unterdrückung, gegen Haß, gegen die Todesstrafe auch und gegen den Krieg: anarcho-pazifistisch in der Grundhaltung, zu kindlich fast für eine Welt wie die unsere und doch überzeugend in ihrer Wahrhaftigkeit. Wem aber solche Fanfaren zu laut tönen, dem sei nüchtern versichert: Hier hat ein deutscher Filmemacher mit einem jungen Team ein Mosaik auf die Leinwand gebracht, das bildhaft ist und lebt, hat viele verschiedene Stimmen zu einem Chor vereint und Kunst zur Waffe gemacht – eine Kunst, die in der Gegenwart wirkt und der die Zukunft gehört. Er hat einen Meilenstein des Dokumentarfilms geschaffen, der bislang auf vielen internationalen Filmfestivals präsent war. Wo er demnächst gezeigt wird, erfährt man unter: www.KarinKaper.com. Walter Kaufmann
Es begann mit einem Sit-in»Angesichts der Tatsache, daß das SNCC kein bundesweites Büro hat, keine nationalen Funktionäre, seit Jahren an keinen bedeutenden Aktivitäten beteiligt ist und dahingehende Zukunftsperspektiven kaum auszumachen sind, schließt das New Yorker Büro den Fall ab.« Mit dieser Mitteilung vom 11. Dezember 1973 beendete das Federal Bureau of Investigation (FBI) die Ausforschung, der das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) seit seiner Gründung im Jahre 1960 ausgesetzt war. Die Buchstaben SNCC waren in den 1960er Jahren für unzählige Schwarze, vor allem in den Südstaaten der USA, ein Zeichen der Hoffnung. Die weiße Mehrheit der US-Amerikaner, die die brutale Rassentrennung verteidigte oder als gottgewollt hinnahm, empfand sie als Provokation, die bei ihnen Angst und Abwehr erzeugte. Entstanden war das SNCC fast zufällig, und zwar in einem Restaurant in Greensboro, North Carolina: Vier schwarze Collegestudenten setzten sich an die Theke, die nur für Weiße reserviert war, und baten, bedient zu werden. Als ihnen das nach den Vorschriften der Rassentrennung verweigert wurde, blieben sie sitzen, einfach sitzen. Dieses »Sit-in« war wie ein Fanal, das in Windeseile von unzähligen weiteren schwarzen Studenten in den Südstaaten aufgenommen wurde: Eine Massenbewegung schwarzer Studenten zur Abschaffung der Rassentrennung war geboren. Wie es weiterging und wie das SNCC neben der bei uns bekannteren SCLC, der Southern Christian Leadership Conference um Pastor Martin Luther King, zur bedeutendsten Organisation der Schwarzen in den 60er Jahren werden konnte, schildert Clayborne Carson in seinem Buch »Zeiten des Kampfes«. Carson, seinerzeit selbst Mitglied des SNCC, lehrt heute Geschichte an der Stanford University in San Francisco und ist zugleich Direktor des Martin Luther King, Jr., Papers Project. Als bester Kenner der US-Bürgerrechtsbewegung konnte er zu einem Prozeß und zu einem Film über die Ermordung Martin Luther Kings das beitragen, was man heute mit Sicherheit weiß: King war Opfer einer Verschwörung, an der auch der Regierung zugeordnete Institutionen beteiligt waren, zum Beispiel das FBI. Der Prozeß fand 1999 statt, mehr als 30 Jahre nach dem Mord, der Dokumentarfilm wurde 2004 fertiggestellt (Arte zeigte ihn Ende Oktober). In der Geschichte des SNCC erkennt Carson drei Abschnitte: Der erste war gekennzeichnet durch Mobilisierung schwarzer Gemeinden mittels gewaltfreier direkter Aktionen (beispielsweise Kampagnen zur Eintragung von Schwarzen in die Wählerlisten). Diese Arbeit an der Basis, und zwar von schwarzen und weißen AktivistInnen gemeinsam, war erfolgreich und trug auch zu den Wahlrechtsgesetzen zugunsten der Schwarzen bei. Den zweiten Abschnitt versteht der Verfasser als »Innenschau«. Es war die Zeit der Weichenstellung zu einem »schwarzen Separatismus«, der dann in einem dritten Abschnitt unter anderem durch die Agitation der »Black Power«, die Trennung von den weißen AktivistInnen und zunehmende Militanz nach außen und innen schließlich zum Zerfall führen mußte. Geradezu spannend erzählt Carson vieles, an das sich europäische Leser noch von ferne erinnern, zum Beispiel den berühmten Marsch von Selma nach Montgomery, die Geschichte des kurzzeitigen SNCC-Vorsitzenden Stokely Carmichael und die der Black Panther Party. Darüber hinaus ist das Buch mehr als nur die Geschichtsdarstellung einer Bürgerrechtsorganisation. Da die »aktuelle Massenbewegung gegen die kapitalistische Globalisierung« einen »wesentlichen ihrer vielen Ursprünge« im SNCC hat, kann man, wie der Übersetzer und deutsche Herausgeber des Buches, Lou Marin, zu Recht meint, diese Geschichte auch als ein »Lehrstück« für heutige soziale Bewegungen lesen, zur Ermutigung und als Warnung vor »Abwegen«. Hartwig Hohnsbein
Clayborne Carson: »Zeiten des Kampfes. Das Student Nonviolent Coordinating Committee und das Erwachen des afro-amerikanischen Widerstandes in den sechziger Jahren«, Verlag Graswurzelrevolution, 638 Seiten, 28.80 €
Ernst Ortlepps späte Heimkehr140 Jahre nach seinem Tode fand der Dichter Ernst Ortlepp zum zweiten Mal und, wie nun zu hoffen ist, endgültig seine letzte Ruhe in Schulpforta. Auf dem Friedhof der Landesschule waren erstmals am 14. Juni 1864 die sterblichen Überreste des in einem Straßengraben zwischen Naumburg und Pforta gestorbenen Lyrikers, Übersetzers und Musikers bestattet worden. Der Alumnus portensis Friedrich Nietzsche, damals Primaner, berichtete in einem Brief an seinen Jugendfreund Wilhelm Pinder von der Trauerfeier, an der, wie der Gymnasiast eigens bemerkte, kein Geistlicher teilgenommen habe. Den Grabstein stifteten die Pfortenser Schüler, die zu dem als Trinker und Landstreicher diffamierten Schriftsteller ein freundschaftlich-subversives Verhältnis pflegten. Die Fama will wissen, daß der »alte Ortlepp« manchem Jungen gegen Entrichtung einer kleinen Aufwandsentschädigung beim Abfassen seiner Valediktions-, d.h. Abschlußarbeit geholfen habe. Das Grab verschwand im 20. Jahrhundert – wohl aus Unwissenheit. Auf Initiative der vor drei Jahren gegründeten Ernst-Ortlepp-Gesellschaft e.V. wurde nun eine Tafel an der Friedhofsmauer angebracht, die an den einstigen Absolventen der Pforte erinnert: »Der Dichter / Ernst Ortlepp / 1800-1864 / war von 1812-1819 Schüler in Pforta / Hier fand er Freunde / und seine letzte Ruhestätte.« Sein Werk, unter widrigsten Umständen entstanden, umfaßt Gedichte, Novellen, Übersetzungen Shakespeares, Boccaccios und Byrons sowie literar- und musikkritische Arbeiten. Als Lyriker hat er, parallel zu Heinrich Heine, die politische Dichtung in Deutschland mitbegründet. Wegen Armut aus Leipzig ausgewiesen, wo er in den 1820er Jahren studiert hatte, lebte Ortlepp gut zwei Jahrzehnte in Württemberg. Eine Lebensspanne, die bis dato biographisch im Dunkeln liegt. 1854 kehrte er zurück und hoffte durch das in Halle abgelegte Philologenexamen seinen Lebensunterhalt als Lehrer bestreiten zu können – woraus nichts wurde. Zuletzt verdingte er sich daher als Tagelöhner, des Sommers vor allem als Obsthüter. Den Hauptvortrag des Ortlepp-Kolloquiums hielt Rüdiger Ziemann, der den »Bildern des Christentums in Ortlepps Dichtung« nachging. Ein lohnendes Unterfangen, da der aus einem protestantischen Pfarrhaus stammende Schriftsteller die Freiheit der Religion auch als Freiheit vonder Religion betrachtete. Manfred Neuhaus legte dar, wie intensiv die preußischen und sächsischen Zensoren Ortlepps Texte unter die Lupe nahmen. Sein episches Gedicht »Fieschi – Ein poetisches Nachtstück« (mit Illustrationen von Dieter Goltzsche neu herausgegeben von Roland Rittig und Rüdiger Ziemann, Halle 2001) wurde durch ein von Fürst Metternich höchstselbst verfaßtes Verdammungsurteil verboten. Ortlepp-Kolloquien sollen künftig alle drei Jahre stattfinden. Kai Agthe
Dick, aber dürftigEine von Geburt an blinde Ostberlinerin wird nach der Wende mithilfe eines neuen Verfahrens von einem West-Arzt operiert – sehend gemacht. Das Glück über die neue Fähigkeit ist kurz: Nun sieht sie zwar, aber sie kann damit nicht umgehen. Sie reagiert falsch, leidet. Erst allmählich… Das ist eine der ganz wenigen Geschichten in einem sehr dicken Buch, in der ich Literatur erkenne. Wenn auch der Symbolgehalt von den ewig blinden Ossis sehr den Zeitgeist bedient, einprägsam und mehrdeutig ist das schon. Der große Rest dagegen ist dürftig. Viele Personen bevölkern den Roman. Zwei Drittel davon sind Karikaturen ohne Witz und Originalität, die anderen ganz liebe, aber letztlich uninteressante Zeitgenossen, »wahnsinnig« glücklich, als das Licht der Wende strahlt, aber recht genügsam in ihren Bedürfnissen und Lebensvisionen: einmal Linie 1 fahren, Begrüßungsgeld, Spaghetti-Eis… So »leuchten« sie auch nicht lange, leben vielmehr von der Erinnerung an diesen kurzen Schein. Brussigs von vielen Kollegen hochgelobter Wende-Roman will vieles und viele zeigen und langweilt meist. Der Autor sucht das durch scheinbar Spaßiges und leicht Zotiges zu verhindern, aber eine Soli-Marke im Intimbereich einer seiner Protagonistinnen gibt halt nicht so viel her wie Klaus Uhltzschts viel zu großer, maueröffnender Schwanz in »Helden wie wir« (1995); und eine so gut gearbeitete Figur wie die Mutter dieses Klaus sucht man im neuen Buch vergeblich. Brussig wird sich entscheiden müssen, ob er zum Vielschreiber wird oder mit den eigenen Einfällen weniger selbstverliebt umgeht, also mindestens die Hälfte davon dem Papierkorb überläßt. Christel Berger Thomas Brussig: »Wie es leuchtet«, S. Fischer Verlag, 607 Seiten, 19.90 €
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Press-KohlBei der Beschreibung einer Cocktailbar glänzte Carmen Böker im Magazin der Berliner Zeitung mit einer poetisch gedrechselten Schnörkulatur. »Die Plastikstreifen wehen freundlich zur Tür heraus – sie winken mit kakao-, cappuccino- und sahnefarbenen Ärm-chen, sind aber eigentlich nur eine jener Fliegenschutzeinrichtungen, wie sie bevorzugt in den heißen Sommertagen der Siebziger vor den Terrassentüren neu errichteter Eigenheime hingen.« Wie fein beobachtet. Freundlich möchte ich zur Tür meines in früheren Jahren errichteten Miet-Heims herauswehen, um der Schöpferin des Artikels »im Miß Honeypenny am Winterfeldtplatz« zuzuwinken – dankbar schon wegen ihrer beherzigenswerten Aufforderung »Man muß es ja grund-sätzlich nicht übertreiben mit dem downshifting...« Wem sagt sie das! Wer nicht weiß, was downshifting sein könnte, mag über den Charakter der Cap-puccinofarbe nachdenken: beim Servieren des Getränks braun und weiß, nach dem Umrühren, auf das sich Frau Böker versteht, hellbraun. Was die Farben der Plastikstreifen-Ärmchen betrifft, so tröstet uns die Journalistin wörtlich: »Was dem seine Eule ist, ist dem anderen seine Nachtigall, wie man gern im norddeutschen Raum zu sagen pflegt.« Was ist aber dem seine Eule? Einer, der im norddeutschen Raum gern allerhand zu sagen pflegte, drückte sich kürzer aus: »Wat den einen sin Uhl, is den annern sin Nachtigal.« Der Kerl ward nie im Miß Honeypenny gesehen, er hieß Fritz Reuter. * Aus der Agenturmeldung für Presse und Rundfunk haben wir vom Ableben des Kirchenmannes und Politikers erfahren: »Er ist an seinem Urlaubsort gestorben.« Vermutlich ist er aber in seinem Ur-laubsort gestorben. Vielleicht an einer Krankheit oder durch einen Unfall. Wäre er tatsächlich an seinem Urlaubsort gestorben, so müßte es sich um einen üblen Ort handeln. Ein Reporter, der an Ostern ein paar Ostereier zu viel verzehrt hat, käme auch ohne Bauchschmerzen mühelos auf den modischen Satz: »Er ist in der Kirche an Weihnachten gestorben.« Obwohl der doch sein ein frommer Mensch war. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 24/2004 |
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