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Höhenflug mit MöweHeinz Kersten Theaterspielpläne richten sich oft nach Jubiläen und meist nach dem Zeitgeist. Schon jetzt wirft das Schiller-Jahr seine Schatten voraus. In der »Räuber«-Inszenierung von Hasko Weber im Berliner Ensemble im doppelten Sinne: Im Repertoire des Hauses am Schiffbauerdamm ist diese dilettantische Digest-Fassung des einst von Karge/Langhoff und Castorf an der Volksbühne ganz nah an der Gegenwart inszenierten Stückes ein Tiefpunkt. Zum Ausgleich bietet man in einer »Filmnacht« Peymanns Burgtheater-Inszenierung des »Wilhelm Tell« von 1989, nachdem schon, ebenfalls als Fernseh-Aufzeichnung, des Hausherrn Bochumer Inszenierung der »Hermannsschlacht« von 1983 gezeigt worden war, zum Vergleich, wie es hieß, mit den Interpretationen dieses Stücks von Heinrich von Kleist im Potsdamer Hans-Otto-Theater und in den Kammerspielen des Deutschen Theaters. Dabei schnitten diese jüngsten Versuche mit dem antinapoleonischen Agitationsdrama unvorteilhaft ab. Immerhin gab ihm Tobias Sosnika in Potsdam als Lehrstück über politische Ränkespiele und Kriegsgreuel eine klare Aussage im Gegensatz zu Tom Kühnels alberner Verlegung der eigentlich überflüssigen dramatischen Ausgrabung von Germaniens Wäldern in ein modernes Menschen-im-Hotel-Ambiente. Womit wir bei Falk Richters Inszenierung von Tschechows »Möwe« in der Schaubühne wären, genauer: bei deren Anfang. Da wütet nämlich Mark Waschke als Kostja in furiosem Stakkato gegen alle Modemätzchen auf Berliner Bühnen. Das steht natürlich so nicht bei Tschechow, sondern ist dessen Antihelden vom Regisseur, der ja auch Hausautor am Lehniner Platz ist (sein Irak-bezüglicher US-kritischer Einakter »Palestine Hotel« läuft unter dem gleichen Dach), in den Mund gelegt, aber es paßt zu ihm. Schließlich ist dieser Kostja ausgezogen, das Theater zu erneuern, womit er allerdings kläglich scheitert. Wie letztlich alle in diesem Stück. Tschechow hat es eine Komödie genannt, und vielleicht ist es auch deshalb bei der Uraufführung in St. Petersburg 1896 durchgefallen, weil die pfeifenden und zischenden Zuschauer sich in ihrer Erwartung an diesen Gattungsbegriff getäuscht sahen. Denn eigentlich ist »Die Möwe« eine Tragödie, und so läßt Falk Richter auch spielen. Er nimmt alle Figuren ernst, was heute keineswegs mehr selbstverständlich ist. Wenn Tschechow wieder häufig gespielt wird, liegt es wohl auch daran, daß seine Bühnengestalten in ihrer Lethargie und Ausweglosigkeit dem Zeitgefühl sehr nah sind. Die Arkadina, ebenso erfolgreiche wie oberflächliche Schauspielerin, hätte auch in unserer Partygesellschaft einen Platz. In auffälliger Kleidung und mit hochtoupierter Frisur macht sie (Sylvana Krappatsch) aus jedem Satz einen Auftritt und verachtet ihren so ganz anderen Sohn Kostja. Das schleudert sie ihm auch ins Gesicht, um in wenigen Momenten doch auch so etwas wie Mutterliebe zu zeigen. Als sie ihren Geliebten Trigorin (André Jung) zu verlieren droht, ist sie noch einmal echt in ihrer Verzweiflung. Dem Erfolgsschriftsteller Trigorin glaubt man in der Szene mit Nina (Yvon Jansen) den Karriereüberdruß und seine Liebe zu diesem jungen Mädchen, von dem er sich einen neuen Lebensimpuls erhofft. Freilich macht Nina, die von Kostja geliebt wird und in dessen verunglücktem dramatischen Versuch ihre erste Rolle spielte, dem berühmten Gast auf dem Landgut von Arkadinas Bruder unübersehbar schöne Augen. Man könnte vermuten, daß sie sich von ihm nur Unterstützung erhofft bei der Erfüllung ihres Traums, Schauspielerin zu werden. Das Ende wäre schon zu ahnen, wenn Trigorin ihr eine von Kostja geschossene Möwe als Motiv für eine neue Erzählung erklärt: »Es lebt ein Mädchen an einem See... Es liebt den See wie eine Möwe... Da kommt eines Tages ein Mann daher, sieht das Mädchen und richtet es zugrunde; bloß so, aus Langeweile...« Als Trigorin zwei Jahre später mit der Arkadina auf das Gut zurückkehrt, kann er sich schon nicht mehr erinnern, daß er einst den Gutsverwalter gebeten hat, die Möwe auszustopfen. Heimlich kommt auch Nina, nun eine zweitklassige Provinzschauspielerin, noch einmal zurück und gesteht Kostja, der auch nur ein kaum beachteter Schreiberling wurde, daß sie Trigorin, obwohl er sie verließ, immer noch liebe. Worauf sich Kostja nach Zerreißen seiner Manuskripte erschießt. Unglücklich, weil sie den Falschen lieben, sind hier alle: Polina (Karin Neuheuser), die von dem zynischen Arzt Dorn (Sylvester Groth) zurückgewiesen wird, und auch ihre Tochter Mascha (Jule Böwe). Anfangs von Lebensekel erfülltes koksendes Punkgirl, flüchtet sie dann aus unerwiderter Liebe zu Kostja in eine Vernunftehe mit dem Lehrer (Thomas Bading), den sie entsprechend mies behandelt. Gespielt wird auf einer kahlen Bühne (Katrin Hoffmann) vor einem Holzgitter. Man kann das Gefängnis assoziieren, in dem jeder steckt. Mit hervorragenden Darstellern ein großer Theaterabend, wie er leider auf Berliner Bühnen selten geworden ist.
Erschienen in Ossietzky 24/2004 |
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