Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. 7½ Notate über Wekwerth zum 75.Elmar Faber Die Produktion von Unruhe ist eine höchst sinnvolle Funktion von Büchern, vielleicht ist es deren nützlichste. Dies hat Jurek Becker 1989 in seine Frankfurter Poetikvorlesungen geschrieben, und ich mußte mich sofort daran erinnern, als ich das Manuskript von Manfred Wekwerths Autobiographie »Erinnern ist Leben« das erstemal in der Hand hielt. Hier wurden Bilder entworfen, die der Gegenwart widersprachen. Aus dem Untergrund historischen Erlebens schälte sich das Zukunftspotential unserer schönen und unserer infamen Erfahrungen heraus. Dies war im Jahr 2000. Wekwerth erschien mir wie ein Historiograph einer Zeit »Zwischen den Untergängen«. Die Frechheit seiner Dialektik verblüffte und beeindruckte mich. * Manfred Wekwerth, 1929 geboren, von 1951 an vierzig Jahre lang mit Brechts Bühne, dem Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm, verbunden, ein Mann, der das realistische Theater in Deutschland jahrzehntelang mit dominiert hat und darüber mitunter alles »andere« Leben vergaß, der in den europäischen Metropolen für seine Aufführungen enthusiastisch gefeiert wurde, der ein Jahrzehnt lang Präsident der ostdeutschen Akademie der Künste in Berlin war, ein Kulturpolitiker wider Willen und in einer schwierigen Zeit, den nach der Wende eine Bannbulle des Berliner Kultursenators ins künstlerische Exil trieb, ein scharfsinniger Intellektueller, der die Veränderung der Welt für möglich hielt und den eine neue Dummheit aus dem Land der schöpferischen Phantasie evaluieren wollte, hat alle Wirren und Widernisse seines Jahrhunderts aufrecht überstanden und… er ist nicht zynisch geworden. Wer weiß ein besseres Zeugnis für einen großen Charakter? * Ich erinnere mich an eine Lesung mit ihm, auf der sich ein Zuhörer darüber wunderte, daß sich der Brauch der Bilderstürmerei bis in den demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik vererbt habe. Er solle sich keine Sorgen machen, entgegnete ihm Wekwerth, dies sei ein altes Ritual. Bilderstürmerei sei schon Teil der byzantinischen Geschichte gewesen, und auch die Reformation, vor allem der Calvinismus hätten solche Aktionen hervorgebracht. Im alten Ägypten hätten sie, wenn neue Herrscher an die Macht kamen, die Kartuschen mit den Huldigungen der vergangenen Pharaonen zerschlagen – entweder um flüssiges Geld aus der Zerstörung herauszuschlagen oder um Denkbilder einfach zu vernichten. Aber was habe es genutzt? Auch die Marginalisierung der DDR in eine vergeßliche Fußnote der Weltgeschichte, so war das Resultat der Lektion, werde mit einer Überraschung enden. Vielleicht würde sie eines Tages eine »interessante« Republik, nicht als vergangenes Staatsgebilde, aber als soziales und gesellschaftspolitisches Laboratorium? Hier war einer, der die Selbstgerechten von heute zum Selbstzweifel mahnte, weil er schon die Intoleranz der alten Kirchen verabscheute. Ich war während dieser Lesung stolz auf Brechts Schüler. Der Mann blieb unbequem. * Wenn ich in die Liste von Wekwerths Inszenierungen schaue, dann tritt mir die geballte Macht der Aufklärung entgegen: Shakespeare, Goethe, Schiller, Kleist, Gorki, Brecht, Peter Weiß, Volker Braun, das Leben noch einmal im Licht der Bühne, im Schmerz noch heiter, im Glück nicht schwelgend, die »optimistische Tragödie« par excellence. »Nachdenken« und »Produzieren«, das scheint mir das Lebenselixier dieser Persönlichkeit zu sein. Wekwerth »produziert« Theater, er »produziert« Klugheit durch die Aufdeckung von Konflikten. * Wer Wekwerth schon einmal beobachtet hat, bei einer Probe, bei einer Festlichkeit, bei einem Schreibversuch, weiß: Der Mann ist ein Perfektionist. Er tüftelt, zankt, grollt, grübelt, rennt hin und her und lächelt erst dann still in sich hinein, wenn jedes Detail stimmt, auch das kleinste, das scheinbar nebensächlichste. Das Randständige könnte der Mittelpunkt sein, wer kann es wissen? Wekwerth hat stets den Kosmos vor Augen und weiß, daß ein Sandkörnchen ihn sprengen kann, wenn es an der falschen Stelle zu Reibungen führt. * Wer glaubt, Ernst und Lachen paßten nicht zueinander, Geist, Charme und Schönheit könnten sich nicht vertragen, der schaue in die Augen von Renate Richter, seiner Frau, der großen Komödiantin, und dann weiß er, daß dies eine Legende ist. Wekwerth, scheint mir, hat ein seltenes Glück gehabt, daß er allen Zorn auf diese Welt und alle Schönheiten dieser Erde mit dieser Frau teilen kann und daß er sich in ihr wie in einem Spiegel erblickt, an dem man die eigenen Falten schnell glätten kann. * Mit rührender Leidenschaft ist Manfred Wekwerth Freund. Ich glaube, man könnte Elogen auf seine Freundschaften schreiben, wie behutsam er sie aufbaut, mit welcher Zähigkeit er daran festhält. Welche Zuneigung die Freunde erfahren und daß sie Schonung nicht verdienen, wenn sie die Welt nicht besser machen wollen. Was hat er nicht alles getan, um Volker Brauns, des Freundes, »Großen Frieden« auf die Bühne zu bringen, wie hat er sich eingesetzt für Peter Sodann, als für ihn nach politischer Haft ein neuer Schauspielerplatz gefunden werden mußte, wie hat er Werner Mittenzwei zur Theaterarbeit angetrieben, weil er dessen dramaturgisches Talent erkannte! Man könnte erzählen und erzählen. Neben den freundschaftlichen »Großtaten« würden einem unzählige kleine und kleinste Details einfallen, mit denen Freundschaft gewürzt wird: ein gut gebrauter und besahnter Kaffee, ein gutes Stück Käsetorte, ohne Boden, die Empfehlung einer Lektüre, die erregt hat, und zwischendurch immer wieder eine feine Einladung zu diesem, zu jenem Theaterereignis, wo man dann neue Freunde kennenlernt. Es ist, wenn man in Wekwerths Nähe ist, als würde sich ein unsichtbares Netz von Koordinaten über Deutschland und halb Europa spannen, in die, wie Fixpunkte, die verläßlichen Freunde eingebaut sind, ohne die der Erdball nur eine triste Scheibe wäre. * Wenn man in die Jahre kommt, ist Eile weniger vonnöten als vordem. Ich erinnere mich da gern an die Geschichte eines kleinen Farmers aus Missouri, der einmal eine religiöse Erweckungsversammlung besuchte. Eine Arbeiterin im Weinberg des Herrn legte ihm die Hand auf die Schulter und fragte mit gurrender Stimme: »Mein guter Mann, möchten Sie nicht Jesus sehen?« – »Heute Abend nicht mehr, Schwester«, antwortete dieser, »heute Abend nicht mehr.« Manfred Wekwerth ist ein umtriebiger, ein phantasievoller, ein ruheloser Mann. Ich bin mir nicht sicher, ob er je die Gelassenheit des fernen Gutsbesitzers erwerben kann oder ob er nicht doch schon losgestürmt ist, um den Herrn zu sehen, um ihn zu einer Theaterprobe zu überreden. Elmar Faber verlegt Bücher in Leibzig.
Erschienen in Ossietzky 24/2004 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |