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Dann konnte man, selbst wenn man völlig pleite war, raufgehen, wußte man doch, daß er einem wenigstens ein Bier kaufte… Wenn wir zu Regierungsempfängen ins Haus der Ministerien an der Leipziger Straße eingeladen wurden, Görings einstige Schreibstube, hatte Leonard die Krawatte um und seinen hellen Unternehmerhut auf, einen hocheleganten Homburger – womit er vor allem jene immer wieder verblüffte, die meinten, sich einen proletarischen Touch geben zu müssen, und grundsätzlich mit Schillerkragen und ungebügelten Hosen ins Theater gingen. Leonard trat, solange ich ihn kannte, nie anders als mit tadellos gebügeltem Hemd und passender Krawatte an. Ihnen, Jean, als einem Uralt-Mitarbeiter kann ich dazu noch was Komisches erzählen: Nach Leonards Tod erbte ich zwei Koffer, auf denen mein Name stand und die ich bei seiner Frau abholen mußte. Sie führte mich in ihren Keller, wo noch eine Unzahl weiterer Koffer gestapelt lagen, so viele, wie ich in einem Privathaushalt noch nie gesehen hatte. In meinen beiden lagen Akten. Frau Leonard übergab sie mir, dann sagte sie: »Nun passen Sie auf, gleich werden Sie lachen«, und öffnete hintereinander drei große Reisekoffer. Sie alle waren bis zum Rand mit Krawatten vollgestopft. Das war Leonards Krawattentick: Wo immer er konnte, kaufte er sich zumeist sehr elegante Krawatten, aber niemals warf er eine weg. V: Irgendwann in den fünfziger Jahren muß in Ostberlin das Projekt eines weiteren zentralen Periodikums ernsthaft erwogen worden sein. Man scheint schon damals – wie dann auch 1963-64 – von einer Zeitschrift, halb dem Spiegel, halb der Zeit nachempfunden, geträumt zu haben. Auch mit Hans Leonard muß darüber verhandelt worden sein, denn eines Tages, als ich zu Besprechungen in der Redaktion weilte, erzählte er mir ausführlich, daß solch ein Vorhaben am Kochen sei, und fragte mich allen Ernstes, ob ich mich dabei in der Rolle eines Chefreporters sehen könnte. Als vorläufiger Arbeitstitel stand Die Republik zur Debatte. Sagt Ihnen das etwas? M: Bei mir läuft jetzt ein ganz anderer Film ab. Das Projekt Die Republik war eine Idee von Hermann Budzislawski. Der geriet, wie Abusch und Norden, wegen der Noel-Field-Affäre (der engagierte Antifaschist Noel Field, Repräsentant christlicher Hilfsorganisationen in den USA, war auf Veranlassung von Stalins Geheimdienstchef Berija als angebliche Schlüsselfigur eines frei erfundenen US-Spionagerings verhaftet worden, darauf folgten Schauprozesse in allen europäischen Volksdemokratien; Dutzende Kommunisten wurden hingerichtet; J.V.) Anfang der fünfziger Jahre unter schweren Druck, wurde aller Funktionen enthoben, mußte sich mühselig als Übersetzer durchschlagen, wurde dann aber in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre rehabilitiert. Die Republik, die er nun gern herausgegeben hätte, war indes, genau betrachtet, ein gegen die Weltbühne gerichtetes Projekt. Denn Budzislawski fühlte sich immer noch als der eigentliche Besitzer der Weltbühne, der er nach 1931 im Exil vorübergehend tatsächlich gewesen war. Im Grunde seines Herzens wollte er eine Art Gegenweltbühne aufmachen und hatte auch wirklich ein großes, in diese Richtung zielendes Konzept entworfen. Und er hatte auch schon einige der Autoren, die er dafür gerne gehabt hätte, zu Vorbesprechungen eingeladen. Wir erfuhren davon durch Carl An-drießen, den er zu einem dieser Gespräche eingeladen und heftig umworben hatte. Sein klares Ziel war, für seine Republik einen Stab von First-Class-Journalisten zu gewinnen, und so kann es durchaus sein, daß auch Sie mit im Gespräch waren. V: Wenn es sich tatsächlich so verhielt, finde ich es um so merkwürdiger, daß mich Hans Leonard gerade auf diese Weise mit dem Projekt bekannt machte! M: An Budzislawski vermitteln wollte er Sie bestimmt nicht… V: Wohl aber vermutlich testen, ob ich zu den von diesem bereits Angepeilten zählte. Womit wir wieder beim leidigen Stichwort »Mißtrauen« wären. M: So war es wohl. Doch das Republik-Ding ging in die Hosen. Es wurde nie weiter konkretisiert. V: In den sechziger Jahren gab es, unter der Regie von Hans Otten, ein weiteres Projekt dieser Art. Entwickelt wurde ein sozialistisches Nachrichtenmagazin namens Profil, das es im Oktober 1964 immerhin bis zur Nullnummer brachte. M: Das haben wir voll mitbekommen, denn wir saßen ja damals in der Mauerstraße im selben Verlagshaus wie die von Otten geleitete NBI, und in solch einem Hause bleibt sowas nicht lange hinter den Türen. Wir wußten auch, daß Sie da eifrig mitmischten. Leonard sagte dazu nur: »Hoffentlich haben die sich abgesichert.« V: Hatten wir nicht. Otten ist letzten Endes darüber hinweggestorben. M: Für mich war das Ende des Profil-Projektes ein Modellfall, typisch für die unfairen Mittel und Methoden, mit denen politische Meinungsdifferenzen und andere Konflikte, die man meiner Meinung nach durchaus offen miteinander hätte diskutieren können, oftmals ausgetragen wurden. V: Was freilich bei allen Beteiligten ein entsprechendes Maß an Intelligenz, Kompetenz und Psychologie vorausgesetzt hätte. M: Woran es aber gerade denen, die an der Macht waren, häufig spürbar fehlte. Was der im Laufe seines Lebens mehrfach geprügelte Hans Leonard immer sehr genau voraussah. Wenn es wirklich brenzlig wurde, hatte er es fast immer schon sehr zeitig gerochen, doch leider verfügte er weder über die Macht noch den Einfluß, irgendjemanden zu warnen. Auch hierzu ein klassisches Beispiel: Als ihm Erich Loest in einer angespannten Situation ein bestimmtes Manuskript anbot, las Leonard es und reichte es ihm mit den Worten zurück: »Lieber Loest, legen Sie das ganz hinten rein in Ihren Schreibtisch. Jetzt ist nicht die Zeit für solche Texte!« Daraufhin veröffentlichte Loest das Manuskript im Buchhändlerblatt, was mit seiner Verhaftung endete… V: Bei Profil hätte es immerhin besser ausgehen können, wäre nicht im Oktober 1964 Nikita Chruschtschow gestürzt und damit die verhängnisvolle restaurative Entwicklung eingeleitet worden, die im Jahr darauf zum katastrophalen 11. Plenum des ZK der SED führte. Schon im Vorfeld des 11. Plenums kriegten wir Profil-Leute die ersten schweren Breitseiten ab. M: Kurz darauf standen auch wir zur Debatte. Unserer Silvesternummer 64/65 wegen, der besten Verkaufsnummer, die wir überhaupt je hatten. Nicht ein Exemplar davon blieb liegen. V: Und was für schlimme Dinge standen drin? M: Dazu muß ich etwas weiter ausholen. Mitunter kommt es vor, daß man in einem Jahr bei wöchentlichem Erscheinen nicht 52, sondern 53 Nummern herausgeben muß. So geschehen auch 1964. Entsprechend eng waren um Weihnachten herum unsere Produktionszeiten. Also baten wir Kusche und Cwojdrak schon lange vorher, eine nicht so sehr auf Aktualität bedachte, sondern vorwiegend satirisch-literarisch unterhaltsame Jahresend-Nummer zu bauen. Die beiden machten sich ans Werk, holten so profilierte Autoren wie die May und den Kunert ins Boot. Aber auch Cwojdrak selber verfaßte etwas sehr Pfiffiges, und zwar über die damals gerade für einige Aufregung sorgende dumme Diskussion um die Formen und die Farben aller möglichen neu auf den Markt gekommenen Konsumgüter, unter anderem der sogenannten Röhrenvasen. V: Ach ja, der von Walter Ulbricht wohl mehr zufällig als gezielt vom Zaun gebrochene famose Röhrenvasenfarben-Streit! Hatte sich doch der große Gelehrte WU mal bei irgendeiner Gelegenheit darüber beklagt, daß die Formgestaltung und die Farbgebung vieler neuer Produkte, darunter eben auch bestimmter Vasen, zu wünschen übrig lasse. Namentlich die vorherrschenden Grautöne würden dem optimistischen sozialistischen Lebensgefühl kaum gerecht. Was etliche Kulturfunktionäre der mittleren Ebene, die Peter Adolf Thyssen, der damalige Vorsitzende des DDR-Forschungsrates, nicht ganz zu Unrecht »das zähe Medium« nannte, zum Anlaß für eine regelrechte Kampagne für fröhlichere Farbgestaltung nahmen... M: Es ging um einen ausgemachten Quatsch, der es wahrlich verdiente, in unserer Silvesternummer durch den Kakao gezogen zu werden. Wenn ich mich recht erinnere, war es Gisela May, die sich bei der Gelegenheit emphatisch zu diesen glatten, schlichten neuen Formen äußerte, wogegen Kunert den Disput in einem frechen Gedicht aufs Korn nahm, in welchem vom Einäugigen die Rede war, der unter Blinden der König sei. Das ganze Heft war Zeile für Zeile witzig und dabei gänzlich frei von politischer Bösartigkeit. Trotzdem beschlich Leonard, als es in Druck gehen sollte, plötzlich ein ungutes Gefühl. Einmal mehr spürte, roch er etwas. Also veränderten wir zwischen Weihnachten und Neujahr in Dresden zweimal den Umbruch, und schließlich wollte er gar die Nummer anhalten; das Kunert-Gedicht sollte raus und irgendein anderes sollte, telefonisch durchgesagt, an seiner Stelle erscheinen. Am Ende blieb das Heft aber doch unverändert, und zwar meinetwegen. Ich war damals sehr krank, hatte einen längeren Sanatori-umsaufenthalt hinter mir und gerade erst zwei Nummern hintereinander gemacht, da wollte er mir nicht noch eine dritte Fahrt zur Druckerei nach Dresden zumuten und hoffte, daß es trotzdem gutgehen werde. Doch es ging nicht gut. Weil unsere Glosse so witzig verschlüsselt war, dauerte es nur ein bißchen länger, bis jemand ernsthaft über sie stolperte. Es bedurfte erst des vom 11. Plenum geübten kulturpolitischen Kahlschlags, damit auch unsere mittlerweile bereits um ein Jahr zurückliegende Silvesternummer in die Schußlinie geriet und uns einen derart schrecklichen Krach einbrachte, daß es für einen Moment so aussah, als sollte, wie so manches andere damals, auch die Weltbühne das Zeitliche segnen. Wie mir erst viel später Albert Nordens Referent Stadler anvertraute, stand das weitere Schicksal der Weltbühne tatsächlich für einen Augenblick auf Messers Schneide. Im Zuge der »Auswertung« des 11. Plenums diskutierte man im Politbüro ausführlich auch über ihre Sünden und stimmte schließlich darüber ab, ob sie weiter existieren solle oder einzustellen sei. Mit einer Stimme Mehrheit, der von Kurt Hager, wurde für ihr Fortleben entschieden. V: Worüber man ins Grübeln kommen könnte. Bedeutet doch diese eine rettende Stimme, daß die Hälfte minus ein Politbüromitglied die Weltbühne entweder nicht mochte oder daß sie fast der Hälfte der im höchsten Exekutivorgan der SED sitzenden Genossinnen und Genossen absolut egal war. Und dies, obschon der permanente Leserkreis der Zeitschrift zum guten Teil aus profilierten Wissenschaftlern, Künstlern aller Sparten, Pädagogen, Ärzten bestand, die der SED-Führung nicht gleichgültig sein konnten. M: Zum soziologischen Profil unserer Leserschaft ergänzend vielleicht dies: Einzelne Parteifunktionären behaupteten zwar immer wieder mit abschätzigem Zungenschlag und der dazu passenden Handbewegung, die Weltbühne sei ein typisches »Intelligenzblatt«. Wir selber haben uns nie so gesehen und auch nie so genannt. Unsere Formel lautete vielmehr: »Wir machen ein Blatt für intelligente Leser.« Und selbstverständlich bestand unsere Hauptleserschaft sowohl in der DDR wie auch weiter westwärts aus Intellektuellen. Aber eben nicht nur aus solchen! Wir hatten auch sehr viele junge Leser. V: Studenten? M.: Auch junge Arbeiter – wie jene Gruppe von Dresdner Bauarbeitern, an die ich mich noch gut erinnere. Sie machten sich durch Leserbriefe bemerkbar. Natürlich können es Bauarbeiter mit Abitur gewesen sein – die gab’s ja damals. Sie stellten interessante Fragen. Auch auf dem Lande wurden wir gern gelesen. Von Lehrern und anderen Vertretern dörflicher Mittelschichten kamen viele Briefe. Für sie war die Weltbühne eine Vermittlerin des Konzentrats der wöchentlichen Weltereignisse. Hinzu kam, daß wir in der Weltbühne immer wieder Themen aufgriffen, über die in der übrigen DDR-Presse wenig bis nichts zu finden war. Weil es anfangs noch kein Fernsehen gab, weil die Menschen die Weltereignisse noch keineswegs allabendlich vor die Nase gesetzt kamen und weil die meisten andern Printmedien noch keine eigenen Auslandskorrespondenten hatten, standen gut geschriebene Originalberichte aus dem Ausland in hoher Lesergunst. Ich glaube schon, daß es vor allem unsere internationale Berichterstattung war, welche die Weltbühne für viele ihrer Leser so attraktiv machte. Unsere DDR-Berichterstattung hat dagegen kaum jemand je gelobt. Die war und blieb unsere schwache Stelle. V: Ausgenommen die Theaterkritik und... M: ... richtig, außer Theater und Kultur. Da waren wir gut, das muß ich selber sagen. Vor allem unsere Musikbeiträge wurden in Fachkreisen beachtet. V: Dasselbe läßt sich über die Brecht-Diskussion sagen, die ich seinerzeit mit brennendem Interesse verfolgte... M: ... und die wir nicht zuletzt so kompetenten Mitarbeitern wie Palitzsch, Wekwerth und Tenschert zu verdanken hatten, die damals zum engeren Kreis um Brecht gehörten und gerne die Möglichkeit nutzten, in der Weltbühne zu Wort zu kommen. Oft kam es auch vor, daß erstrangige Künstler und Wissenschaftler den Kontakt zu uns suchten, weil sie etwas zu sagen hatten und es speziell via Weltbühne loswerden wollten. Auf diese Weise kamen wir zum Beispiel zu unserer über viele Jahre sehr guten Berichterstattung über bildende Kunst. Wenn auch auf einem etwas abenteuerlichen Umweg. Lothar Lang – damals noch kein sehr versierter Publizist – schickte uns ein Manuskript ein, das ich ihm mit allen mir zur Verfügung stehenden freundlichen Worten zurückreichte. Dennoch wurde diese Ablehnung zum Beginn unserer Zusammenarbeit, und zwar deshalb, weil andere Redaktionen Langs Manuskripte bis dahin stets nur kaltschnäuzig oder kommentarlos retourniert oder sie bestenfalls derart verschlimmbessert publiziert hatten, daß ihm die Haare zu Berge standen. In dem Begleitbrief, den wir seiner Arbeit beilegten, stand, daß wir uns freuen würden, ihn kennenzulernen, und Lust hätten, mit ihm über seinen Text zu diskutieren – das war für ihn ein absolutes Novum. Und wir waren an ihm und an der kontinuierlichen Berichterstattung über bildende Kunst, die wir ihm zutrauten, interessiert, nachdem wir lange Zeit nichts darüber gebracht hatten. Auf ähnliche Weise kamen wir zu unserer Filmkritik, für die hauptsächlich Carl Andrießen und Lothar Creutz zuständig waren… V: …die sich beide auch als Drehbuch-Autoren einen Namen gemacht hatten, also sehr genau wußten, worüber sie schrieben! M: Bei uns ging das Genre »Filmjournal« dann allerdings unter, wurde aber später vom Eulenspiegel unter dem Signet »Filmeule« von Renate Holland-Moritz wieder aufgenommen und weitergeführt. Die bei uns ursprünglich sehr lebendige Literaturkritik wurde im Lauf der Jahre leider ebenfalls immer matter. Was sicher auch daran lag, daß immer weniger Autoren geneigt waren, für ein schmales Honorar dicke Wälzer gründlich zu lesen und dann auch noch über sie zu schreiben. Die literarisch anspruchsvolle Auslandreportage, die von uns jahrzehntelang intensiv gepflegt wurde, verlor ab Mitte der sechziger Jahre an Ausstrahlungskraft und Wirksamkeit; das Fernsehen machte sich bemerkbar; auch die Illustrierten waren draußen mittlerweile mit eigenen Reportern und Fotografen unterwegs. Das Publikum, das bis dahin seine Weltsicht aus vielschichtiger literarischer Beschreibung und Erschließung der Wirklichkeit sowie aus eigener Reflexion über das schriftlich Dargebotene gewonnen hatte, gewöhnte sich an zweidimensionale Bilder.
Erschienen in Ossietzky 24/2004 |
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