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Dieses Jahr wurde die Kartoffel an Hans-Dietrich Genscher vergeben. Zu den Rednern, die die Verdienste des früheren bundesdeutschen Außenministers und heutigen FDP-Ehrenvorsitzenden würdigten, gehörte Sabine Christiansen. Sie pries das »Phänomen Genscher«, indem sie »die vielen Facetten des gewieften und routinierten Interviewpartners« beschrieb. Einige dieser »Facetten« konnte der Fernsehzuschauer bereits drei Tage später in der ARD-Sonntagabendsendung begutachten, die nach eben der Genscher-Bewunderin benannt ist. Der »Heiße Kartoffel«-Preisträger gehörte zu den Gesprächsteilnehmern, die das Thema »Feiertagsfiasko. Deutschland 15 Jahre nach dem Mauerfall« erörterten. Genscher enttäuschte seine Gastgeberin nicht. Mit Schillerschem Pathos verteidigte er den nationalen arbeitsfreien »Tag der Einheit in Freiheit«, da seine »täglich neue Freude darüber fortbesteht bis auf den heutigen Tag«, was ihm den lebhaften Beifall des Publikums eintrug. À la bonne heure, Genscher zeigte sich tatsächlich als »gewiefter und routinierter« Öffentlichkeitsarbeiter. Nicht zufällig ist er als Kommunikationsspezialist Vorsitzender des Aufsichtsrates der WMP Beratung GmbH, deren Tätigkeit nach eigener Auskunft in der Herstellung »seriöser Verbindungen zu Entscheidern in Wirtschaft, Verbänden, Politik und Verwaltung« besteht und zu deren Klientel der Ausschuß Verteidigungswirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie ebenso gehört wie der Mitteldeutsche Rundfunk, der nicht unwesentlich an der Vergabe des Kartoffelpreises beteiligt ist. Im Verlaufe der Debatte offenbarte Genscher noch eine andere »Facette«: Er nimmt es mit der Wahrheit nicht allzu genau. Als das Gespräch auf das Anwachsen des Rechtsextremismus in Ostdeutschland kam, erklärte er tatsächlich, daß es in der DDR »nicht die Aufarbeitung der Geschichte der dunklen zwölf Jahre von 1933 bis 1945 gegeben (hat), die wir in einem ganz schwierigen Prozeß über Jahrzehnte vorgenommen haben«. Diese Behauptung läßt keinen anderen Schluß zu, als daß der Ehrenvorsitzende bewußt lügt oder an Gedächtnisschwund leidet. Als er seine Vaterstadt Halle 1952 im Alter von 25 Jahren verließ, kann ihm schwerlich entgangen sein, wie schonungslos im Osten Deutschlands die Auseinandersetzung mit der Geschichte der »zwölf dunklen Jahre von 1933 bis 1945« geführt wurde und wie pfleglich demgegenüber die Regierenden in seiner westdeutschen Wahlheimat mit den ehemaligen verdienstvollen Nazis umgingen. Noch weit in die 60er Jahre hinein – Genschers politische Karriere war bereits weit fortgeschritten – waren da viele von ihnen, darunter solche, die barbarische Kriegsverbrechen begangen hatten, in leitenden Positionen tätig: 21 Minister und Staatssekretäre, 100 Generale und Admirale der Bundeswehr, 828 hohe Justizbeamte, Staatsanwälte und Richter, 245 leitende Beamte des Auswärtigen Amtes und des diplomatischen Dienstes, 297 hohe Beamte der Polizei und des Verfassungsschutzes. Gerade die fast immer mitregierende FDP – man denke nur an Genschers Vorgänger Erich Mende (den mit dem Ritterkreuz) – trug viel dazu bei, führende alte Nazis zu rehabilitieren und wiederzuverwenden. In der gleichen Talkshow wies Genscher den Vorwurf, 1990 aus falsch verstandenem Patriotismus unter den DDR-Bürgern Illusionen über schnell »blühende Landschaften« verbreitet zu haben, empört zurück: »Ich kann zu jedem Wort stehen, das ich damals gesagt habe: Das wird ein langer und schwerer Weg werden, mit Rückschlägen, mit Stillstand, aber wir werden es schaffen!« Das also will er gesagt haben, aber wer von den 70 000 Hallenser und den 110 000 Karl-Marx-Städter Bürgern, vor denen er im März 1990 als eifriger bundesdeutscher Wahlkämpfer in der DDR auftrat, kann sich wohl daran erinnern? Wer von den Zehntausenden Thüringern auf dem Erfurter Domplatz, die er mit den Worten »Ich grüße die Bürger der deutschen Stadt Erfurt! Ich grüße die Bürger des deutschen Landes Thüringen!« einstimmte und vor denen er den Befürchtungen, daß es nach einer deutsch-deutschen Währungsunion zu einem Ausverkauf der DDR kommen könne, wortreich widersprach, kann seine Warnung vor dem »langen und schweren Weg« bezeugen? Es wird sich schwerlich einer finden. Dafür ist in den Berichten der Nachrichtenagenturen festgehalten, daß der damalige FDP-Vorsitzende und Vizekanzler viele seiner westdeutschen Wahlkonkurrenten an glücklichen Verheißungen für die Ostdeutschen nach der Vereinigung übertraf und ein »deutsches Aufbauwunder« versprach. Das »Phänomen Genscher« hat das alles vergessen. Wie er auch in seinen 1995 erschienenen »Erinnerungen«, in denen er auf vielen Seiten seine politischen Aktivitäten in der Jugoslawienkrise bis ins nebensächlichste Detail beschreibt, die Vielzahl der an seine Adresse gerichteten Warnungen vor einer voreiligen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens und deren katastrophalen Folgen für Bosnien-Herzegowina und ganz Jugoslawien jedoch »vergaß«. Die beschwörenden Briefe und geradezu inständigen Appelle des damaligen EG-Vermittlers Lord Carrington und des seinerzeitigen UNO-Generalsekretärs de Cuellar, von einer solchen verhängnisvollen Politik Abstand zu nehmen, sind dort mit keinem Wort erwähnt. Er hat sie damals mißachtet und in seinen Memoiren »vergessen«. Nun also hat er die »heiße Kartoffel« verliehen bekommen: eine Skulptur, die eine verletzte Hand mit einer Kartoffel zeigt, die sie trotz der Verletzung nicht fallen läßt – ein Sinnbild von Prinzipienfestigkeit und Charakterstärke. Wäre es nicht passender gewesen, ihm tatsächlich heiße Kartoffeln zu überreichen? Lange schon vor Columbus sprachen die Indios dem Knollengewächs Zauberkräfte zu und verwendeten es als Heilmittel, unter anderem gegen Gedächtnisschwund.
Erschienen in Ossietzky 24/2004 |
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