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Links heißt nicht mehr verneinen, sondern bejahen. Das denkt auch der französische Autor Pascal Bruckner, der nach einem »dritten Weg« sucht – aber nicht zwischen Kapitalismus und Sozialismus, sondern zwischen Optimismus und Pessimismus. Der Autor erweist sich als Zyniker, der zwar viele häßliche Details aus dem realexistierenden Kapitalismus anführt, um dann aber zu dem Ergebnis zu kommen, nicht der Kapitalismus sei das Übel, sondern die derbe Kritik an ihm. Sorgen macht er sich allerdings um die europäische Variante des Kapitalismus. Er rügt übermäßigen Konsum der Europäer, denn Konsum zivilisiere nicht, sondern mache uns zu »Wesen, die vor allem in der Bequemlichkeit des Kommerzes verankert sind und die über nichts anderes reden können als über Geld«. Man möchte ihm spontan zustimmen. Doch sein Ziel ist nicht die Rebellion gegen diese Entfremdungen. Dagegen zu rebellieren, habe keinen Zweck. Wer rebelliere, könne nicht an der Wandlung der Ökonomie von der »Religion der Elite zum Volkskult« mitwirken. Deshalb müsse der Protest »durch Staaten, Vereinigungen und Wertmaßstäbe kanalisiert« werden. Europa werde die USA nur dann besiegen können, wenn es von den USA lerne. Die amerikanische Vorherrschaft sei »keine Zwangsläufigkeit, ebensowenig wie der europäische Rückzug, vorausgesetzt, die europäische Union gerät nicht zu einer bloßen Bündelung von Schwächen, sondern entwickelt neue und glaubwürdige politische und militärische Instrumente.« Endlich sind wir auf Bruckners »drittem Weg« angelangt. Ein europäisches Imperium kann natürlich nur gedeihen, wenn die Europäer im »Dienst einer Sache oder einer großen Idee« stehen. Wer nur an die Eroberung einer neuen Markenjeanshose denkt, wird wohl kaum in einen grünen Kampfanzug schlüpfen wollen, um mittels eines »klugen Konservatismus« Europa zum Sieger über die USA zu machen. Sowohl Kaufrausch wie Massendemokratie können zu Hindernissen für den erfolgreichen europäischen Weg werden, weiß der Autor. Also fordert er eine Reform des Bildungswesens, an deren Ende wieder »Demut und Neugier« stehen müßten. Auf diesem Weg würden die »Geißeln der Massendemokratie«, zu denen er Gleichförmigkeit, Geschichtslosigkeit und Dummheit zählt, beseitigt. Die »Marktdemokratie«, bei der das Parlament in die Unternehmen verlagert sei, dränge die »Idee der Nation als überholt und vorgestrig« in den Hintergrund. Dabei vermittle doch gerade die Nation »Leidenschaft und Werte«. In einem Verlag, der eigentlich eine andere geistige Tradition zu pflegen hat, dem Berliner Aufbau-Verlag, rühmt Bruckner die Nation als »die besondere Ganzheit, durch welche wir das Universelle erreichen«. Mit wachsender Arbeitslosigkeit in Europa werden Rebellionen größeren Ausmaßes wahrscheinlicher. Bruckner will diese Rebellionen unter dem Banner eines europäischen Nationalismus versammeln. Ein nationales »Kollektivbewußtsein«, das von der konkreten Form der Ökonomie ablenken soll – hatten wir das nicht schon mal in Europa? Der amerikanische Autor Eric Schlosser lenkt unseren Blick auf »die dunkle Seite der USA«, die Bruckner ausblendet, will er doch gerade den amerikanischen Patriotismus als Richtschnur für den »dritten Weg« ins Europäische transponieren. Schlosser kommt, nachdem er beispielsweise die amerikanische »Schattenwirtschaft« der wie Sklaven gehaltenen Leih- und Wanderarbeiter in der Landwirtschaft und Industrie in ihren riesigen Ausmaßen dargestellt hat, zu dem Ergebnis: »Die Schere zwischen Reich und Arm öffnet sich immer weiter.« Ein Beispiel für die wachsende Armut: Ungefähr elf Prozent der Bevölkerung von Los Angeles im arbeitsfähigen Alter haben weniger als sechs Jahre die Schule besucht. Schlosser ist kein Apologet des Kapitalismus. Er schreibt: »Die Vorstellung, der Markt sei der vollkommenste Ausdruck der Demokratie, ist überaus reizvoll. Aber sie unterstellt, daß die einzigen Motive der Menschen ökonomischer Natur sind.« Der Mensch ist eben, wie Erich Fromm einmal sagte, kein Ding, sondern er hofft – auch wenn er Produkte der »Schattenwirtschaft« konsumiert – seine Sehnsucht nach einem Leben ohne Entfremdung und ohne Angst vor sozialer Kälte, gefüllt von Liebe und Sinnlichkeit, gestillt zu bekommen. Peter Brückners Buch »Sozialpsychologie des Kapitalismus« ist zwar bereits 1981 im Rowohlt Verlag erschienen, der Autor 1982 gestorben, doch viele seiner Aussagen könnten heute geschrieben worden sein. Viele von ihm bereits analysierte Erscheinungsformen des Kapitalismus sind inzwischen deutlicher zu erkennen, so die Verrohung der menschlichen Beziehungen in allen Lebensbereichen, verbunden mit der schädlichen Illusion für die Einzelnen, die Familie könne als »Nest« dennoch ein Stück Humanisierung retten. »Partikularisierung, Parzellierung und Isolierung des Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft und ihr Fundus an zwischenmenschlicher Feindseligkeit,« stellt Brückner scharfsinnig fest, »reproduzieren sich zu prägnant in der sozialen Organisation, in der zugleich zu viel Nähe herrscht«: in der Familie. Kindesmißhandlung, Drogenkonsum, Depressionen gedeihen immer prächtiger in der Vereinzelung der Familien und ihrer Mitglieder, sie gedeihen aber, so Brückner, vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Eigentums- und Besitzverhältnisse, die die einzelnen Menschen gegenseitig in Konkurrenz setzen. »Im Streben nach (verwertbarer) Leistung werden Konkurrenz und Rivalität einheitsstiftend.« Was dazu führt, daß »ein Kontinent verwildert«. Jeder kämpft für sich, für »seinen« Betrieb, »seinen« Umsatz, und immer mehr Menschen scheitern. Auch jene, die siegen, scheitern menschlich. »Die Stärkeren – ihrer Identität, ihrem möglichen Glück nicht weniger entfremdet als die Schwächeren – erzeugen den Schrei, den sie selbst nicht mehr ausstoßen durften noch wollten, tausendfach in ihren Gegnern.« Mit wachsendem technischem Fortschritt paßte sich auch die akademische Intelligenz immer mehr an die Klassengesellschaft an. Brückner spottet: Das Privileg der Intelligenz, dokumentiert in Statussymbolen und Lebensstilen, »entleerte sich rasch: Den Handlangern, so Bertolt Brecht, traten die Kopflanger zur Seite. Da aber die Bedeutung der Wissenschaften für die Produktion weiter anwächst, können zumindest die Heranwachsenden im Kulturschutzpark ihrer verlängerten Pubertät die Chance der Sensibilisierung und des ›Klassenverrats‹ weiter nutzen.« Die bürgerliche Kultur, meint Brückner, basiere schlechthin auf Repression, die in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs nicht unbedingt mit offener Gewalt sich paare, sondern mit Integrations- und Sozialisationsgeschwafel. »Fortwährend stützt den Integrationsprozeß auch die Fetischisierung des Konsums (als Entnahme von Waren und Inanspruchnahme von Dienstleistungen).« Prämien, Belobigungen, PR, Urlaub, Luxus, »schöner Wohnen« sind die Korruptionsvehikel, mit der die Intelligenz, aber auch Teile der Arbeiterklasse geködert werden. Die Spontaneität der Menschen in ihrem Widerstand gegen ihre menschliche Vereinzelung und Entfremdung, soll durch die Strategien der Integration, wie wir sie heute besonders in vielen Kommunikationsschulungen, Meta-Plan-Techniken oder »Round-Table-Talks« in der betrieblichen Fortbildung beobachten können, geopfert werden. Statt Schärfung des Klassenbewußtseins soll auf diese Weise die Integration in ein System vollzogen werden, das sich letztlich gegen die »Schwächeren« richtet. Daran wirken, so Brückner, auch die Gewerkschaftsfunktionäre mit, die sich lauthals gegen die »wilden Streiks« mit den Unternehmern in eine Front zu setzen pflegen. Brückner – Psychologie-Professor in Hannover, bis er als angeblicher Sympathisant des Terrors mit Berufsverbot belegt wurde – hoffte auf die qualitative Entwicklung dieser Spontaneität, die er als »Rekonstruktion von Klassenbewußtsein« begriff. »In Subregionen und Gemeinden liegen Zonen möglicher Aktivität, die von den überregional oder gar national gegliederten Organisationen, Verwaltungen usw. nur schwer in Kontrolle genommen werden können. Im Bereich ihrer primären Erfahrung: Betrieb und Wohnviertel organisiert sich auch die Spontaneität der streitbaren Lohnabhängigen.« Beweisen nicht die Montagsdemonstrationen und der Streik bei Opel die Richtigkeit dieser These? Christoph Keese: »Rettet den Kapitalismus – Wie Deutschland wieder an die Spitze kommt«, Hoffmann & Campe, 19.90 €; Pascal Bruckner: »Ich kaufe also bin ich – Mythos und Wirklichkeit der globalen Welt«, Aufbau-Verlag, 19,90 €; Eric Schlosser: »Die scheinheilige Gesellschaft – Sex, Drogen und Schwarzarbeit – Die dunkle Seite der USA«, Riemann Verlag, 21 €; Peter Brückner: »Sozialpsychologie des Kapitalismus«, Argument-Verlag, 180 Seiten, 15,90 €
Erschienen in Ossietzky 24/2004 |
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