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Man definiert ein Ziel, legt Regeln fest, holt sich eine Kandidatenschar ins Studio und überträgt deren Hampeleien in Millionen Wohnzimmer: Im besten Fall kommt dabei eine Sendung wie »Wünsch Dir was« heraus, im schlimmsten erhalten wir das heutige Fernsehprogramm. Auf RTL läuft gerade die deutsche Version des US-Erfolgskonzeptes »Big Boss«. Die Titelfigur wird vom Schwergewicht Reiner Calmund mit Betonmiene, Zigarrenstummel und Sargträgerstimme angemessen abstoßend verkörpert. »Wenn du 27 Jahre auf der Kommandobrücke warst und nicht in der Klapsmühle bist, ist das schon ein ganz großer persönlicher Erfolg,« behauptete Käptn Calmund und heuerte in der Klapsmühle RTL an. Seitdem stellt er zwei Spielerteams, jeweils sechs jungen Männer und Frauen, jede Woche eine tolle Aufgabe: Mal sollen sie Würstchen verkaufen, mal die Schleichwerbekampagne einer Fluggesellschaft auf die Beine stellen. Das Gewinnerteam darf mit Calmund schlemmen, die Verlierer finden sich auf der Anklagebank eines Scherbengerichtes wieder, dessen Vorsitz der Big Boss selbst sowie zwei gruslige Firmenberater stellen. Dieses totalitäre Trio legt dann fest, welcher Glückliche die Sendung verlassen darf: »Sie haben frei.« Seltsamerweise hat sich bisher niemand über seinen Rauswurf, der doch einer Begnadigung gleichkommt, freuen wollen. Vielleicht deshalb: Der »Gewinner« dieser Negativauslese darf mit 250 000 Euro Startkapital selbst als ein Big Boss seine Untergebenen terrorisieren, wie er es von Calmund gelernt hat. Der sieht sich tatsächlich als »Missionar« in Zeiten von Hartz IV: »Uns nützt kein Pessimismus, man muß Aufbruchstimmung erzeugen.« Vergebt ihm nicht, denn er weiß genau, was er tut! Gleiches gilt für seine Beisitzer, die mit Sätzen glänzen wie: »Was wir heute in Deutschland nicht brauchen können, sind Leute, die sich wegducken.« Der Bildungsauftrag, den die Öffentlich-Rechtlichen seit Jahren stur ignorieren, hier zieht er als Perversion seiner selbst ins Kommerzfernsehen ein. Diese Spielshow zündelt an lästig gewordenen humanen Grundwerten der Gesellschaft, »Big Boss« macht Werbung fürs Duckmäusertum und bürograue Anpassung an die Erwartungen der Globalisierungsbosse. Daß hier wie in anderen Sendungen Unterdrückung und (Selbst-)Ausbeutung schonungslos offengelegt werden, ist durchaus zu begrüßen; gefährlich ist die Alternativ- und Ausweglosigkeit, mit der das sozialdarwinistische Spielszenario umgesetzt wird. Da findet sich kein einziger Kandidat, der dem Calmund oder den anderen aufgeblasenen Backpfeifengesichtern offen die Meinung sagt oder ganz telegen eine klebt. Alle machen mit, alle lassen sich vorführen. Sogar die »Verlierer« (die, wenn sie es wollten, ein bißchen Selbstachtung und Rückgrat zurückgewinnen könnten) halten sich an die Spielregeln und gehen stumm nach Hause. Zwölf Kandidaten machen es vor, Millionen Zuschauer ahmen es nach. Scheiß Spiel! Wer nun glaubt, es gehe bei den Gebührensendern menschlicher und sozialer zu, der muß etwas genauer hinsehen. Beispielsweise ins Vorabendprogramm der ARD, wo die Pseudo-Dokumentarserie »Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus« zwanzig Menschen zeigt, die acht Wochen lang so tun, als lebten sie in der Ständegesellschaft der Kaiserzeit. Zehn Auserwählte dürfen die anderen zehn Tag und Nacht hemmungslos ausbeuten. Das Spiel lief so gut, daß die Laiendarsteller die Standesunterschiede auch in den Drehpausen wahrten. 16 Folgen lang erbringt das Fernsehen den Beweis, daß die Rückkehr zu einer vordemokratischen Gesellschaft von Herren und Dienern durchaus machbar ist; hier tut sich endlich ein Verwendungszweck für die Millionen im Kapitalismus überflüssig gewordenen ArbeitnehmerInnen auf: Als Stubenmädchen oder Plumpskloreiniger können sie für, sagen wir, einen Euro pro Stunde den Gewinnern der asozialen »Reformen« unter Schmidt, Kohl und Rot-Grün zur Hand gehen. Wer unter den Zuschauern noch einen Job hat, der wird sich angesichts des fernsehgerecht aufbereiteten Arbeiterelends aus der Zeit vor hundert Jahren viel leichter mit Lohnkürzungen, gestrichenen Feiertagen und Arbeitswochen von 40 bis 50 Stunden abfinden. So wird aus dem angeblichen Spiel unerbittlicher Ernst. Oben und unten, reich und arm, herrschen und kriechen – das ist nie ganz aus der bundesdeutschen Gesellschaft verschwunden. Jetzt metastasiert es wieder in den Köpfen von Millionen Fernsehkonsumenten. Dieses Fernsehen macht krank und verschweigt, daß es ein Heilmittel gibt. Auch das ZDF nimmt an der als Spielerei getarnten neoliberalen Massenindoktrination teil. Gerade baut es mit »Harte Schule« ein britisches Quotenwunder nach: Eine Realschulklasse wird in die Nachkriegszeit der Fünfzigerjahre zurückgeworfen, als noch Zucht und Ordnung, also alte Nazilehrer an westdeutschen Schulen herrschten. Ob die SchülerInnen, wenn man sie nur mit dem Rohrstock züchtigt, bessere Leistungen erbringen? Ihre guten Noten werden sie fürs Parieren, nicht fürs Denken bekommen. Ein in kritischer Gedankenarbeit eher ungeübtes Publikum wird vorhersehbar eine Rückkehr in die »gute, alte Zeit« fordern, als es noch hieß: Wie die Zucht, so die Frucht! So landen die pädagogischen Neuerungen der letzten fünfzig Jahre auf dem Müllhaufen der Geschichte. Die erzieherische Absicht hinter dieser Art von Fernsehunterhaltung lautet: Wer Knechte will, muß auch Knechte erziehen. Mit dem Zweiten sieht man tatsächlich besser, jedenfalls in die Abgründe der neoliberalen Weltkarte. »Big Brother«, »Popstars«, »Dschungelcamp«: Weltweit hat sich ein neues Fernsehformat etabliert, in dem echte Menschen den Raubtier-Kapitalismus durchspielen. Der kennt nur eine Regel: Kämpfe oder geh unter. Die Kinder und Jugendlichen, die mit dieser TV-Propaganda aufwachsen, werden eine Alternative nicht kennen oder denken können. Sie werden nach dieser Regel nicht spielen, sondern leben, jeder gegen jeden. Sie werden keine Ziele und Werte kennen außer den rein ökonomischen, an denen alles Menschliche, auch ihr Spieltrieb, verkümmern und absterben muß. Der »Big Boss« Reiner Calmund sagt das so: »Wenn der Drecksack gut ist, bleibt er drin. Es gewinnt ja nicht der Sympathischste, sondern der Erfolgreichste.« Wer außer den Fernsehgewaltigen hätte gedacht, daß es so spielerisch einfach ist, die Menschheit zu verderben?
Erschienen in Ossietzky 24/2004 |
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