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Vier Jahre später durften 4,7 Millionen Amerikaner über 18 Jahre ihre Stimme nicht abgeben. Wie kommt es, daß in einem Land, in dem seit Jahren über niedrige Wahlbeteiligung geklagt wird, etwa zweieinhalb Prozent der Wahlberechtigten von der Wahl ausgeschlossen werden? Wer wird da ausgeschlossen? Und warum? Die amerikanische Demokratie ist in dieser Hinsicht eine besondere: Ihre Verfassung sieht das Recht zu wählen nicht ausdrücklich vor – wie im Jahr 2000 das oberste Verfassungsgericht bestätigte, als es in der Entscheidung über das Nachzählen der Stimmen in Florida befand: »The individual citizen has no federal constitutional right to vote for electors for the President of the United States.« Wahlen – auch Präsidentschaftswahlen – sind Angelegenheit der Einzelstaaten, die ihre Wahlordnung nach Belieben regeln können. Die Wahlgesetze von 49 Bundesstaaten (allen mit Ausnahme von Maine und Vermont) schließen Inhaftierte, die eine Haftstrafe von über einem Jahr verbüßen, von den Wahlen aus. In 31 Bundesstaaten dürfen auch zu Bewährungsstrafen Verurteilte nicht an der Wahl teilnehmen, und 35 Bundesstaaten verbieten vorzeitig auf Bewährung Entlassenen die Teilnahme an Wahlen. In 14 Bundesstaaten kann auch nach Verbüßung aller Strafen nicht gewählt werden, wobei sieben das Wahlrecht nach einer gewissen Warteperiode auf Antrag wieder erteilen, während die anderen sieben ehemalige Straftäter lebenslang vom politischen Leben ausschließen. Zu letzteren gehört Florida, wo in diesem Jahr 436 900 Bürger auf Grund früherer Verurteilungen von der Wahl ausgeschlossen waren. In den zuletzt erwähnten Bundesstaaten bleibt zum Beispiel auch ein 18jähriger Ersttäter, der sich vor Gericht schuldig bekennt und zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt wird, von da an für den Rest seines Lebens ohne Wahlrecht. Er muß Steuern zahlen und sich nach Gesetzen richten, auf deren Entstehen er in keiner Weise Einfluß nehmen kann. Traditionell wurde dies im englischen Recht treffend als »civil death« bezeichnet. Heute betrifft diese Praxis in den USA 1,7 Millionen Menschen, die ihr Leben als »politisch Tote« verbringen müssen. In den USA stößt diese Regelung kaum auf Kritik, lediglich die teilweise fehlerhafte Handhabung wird häufig moniert. Die Tatsache, daß bei der Präsidentschaftswahl 2000 in Florida etliche Wähler auf Grund von Namensähnlichkeiten und Verwechslungen von der Ausübung ihres Wahlrechtes abgehalten worden waren, wurde in der nationalen Presse breit kommentiert. Auch im Vorfeld der Wahl 2004 wurde erneut Skandalöses aus Florida gemeldet: Die staatliche Wahlkommission hatte wiederum fehlerhafte Listen erstellt, die schwarze ehemalige Straftäter von der Wahl ausschlossen, nicht jedoch solche hispanischer Herkunft – ein folgenschweres Mißgeschick. Denn Schwarze wählen mehrheitlich demokratisch, Exilkubaner aber eher republikanisch. Die Leiterin der Wahlkommission des Staates Florida war gleichzeitig führend (als »co-chair«) an George W. Bushs Wahlkampf in Florida beteiligt. Vertreter ethnischer Minderheiten weisen kritisch darauf hin, daß grundsätzlich verschiedene Bevölkerungsgruppen in unterschiedlichem Maße von diesen Gesetzen betroffen sind, in besonders hohem Maße Afro-Amerikaner, vor allem afroamerikanischen Männer, von denen in diesem Jahr 1,4 Millionen, das sind 13 Prozent, nicht wählen durften. In Florida waren sogar 31 Prozent aller afro-amerikanischen Männer von der Wahl ausgeschlossen, in Virginia und Mississippi 25 Prozent. Die diskriminierende Praxis war bereits in den Anfängen des Wahlrechtsentzugs angelegt: Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg begannen die Staaten des unterlegenen Südens, diese Methode massiv zu nutzen, um die nunmehr wahlberechtigten Schwarzen nach Möglichkeit von den Wahlurnen fernzuhalten. Verschiedentlich wurde versucht, vor dem Obersten Verfassungsgericht Klage wegen Diskriminierung zu erheben. Die US-Verfassung verbietet nämlich – auch wenn sie kein eigentliches Wahlrecht etabliert – Diskriminierung bei den Wahlen. Dieser Rechtsweg ist jedoch kaum gangbar, weil nach der Verfassung die eindeutige Absicht der Diskriminierung erwiesen sein muß. Günstiger erscheint es, sich auf den im Gefolge der Bürgerrechtsbewegung 1964 verabschiedeten Voting Rights Act zu berufen, der Praktiken, die »im Ergebnis« diskriminierend sind, verbietet. Aber auch hier befanden die obersten Gerichte (z.B. in 1986 im Fall Wesley v. Collins), beim Entzug des Wahlrechts für ehemalige Strafgefangene handele es sich nicht um Diskriminierung, weil der Staat damit den Bürgern nicht ab initio, also von Anfang an, das gleiche Recht vorenthalte, am politischen Prozeß teilzunehmen, sondern der Einzelne habe die freie Entscheidung, ob er eine Straftat begehen und somit sein Wahlrecht verwirken wolle. Eine solche Klage nach dem Voting Rights Act war 2000 der Fall Johnson v. Bush in Florida, wo acht Betroffene gegen die Wahlgesetze dieses Bundesstaates klagten. Die Kläger hatten selber Haftstrafen zwischen sechs Monaten und sieben Jahren verbüßt und konnten nach den Gesetzen des Staates Florida alle nicht mehr wählen. Einer von ihnen, Omali Yeshitala, war 1966 wegen einer politischen Protestaktion verhaftet und zu dreißig Monaten Haft verurteilt worden, bis heute darf er nicht wählen. Die Klage wurde in letzter Instanz abgewiesen. Noch am 8. November dieses Jahres weigerte sich der Supreme Court, eine ähnliche Klage (Locke v. Farrakhan) anzunehmen, mit der sich ein unteres Gericht in der üblichen Weise befaßt hatte. Es gibt Initiativen, darunter eine des Bürgerrechtlers Jesse Jackson, die Praxis der Wahlrechtsaberkennung durch einen neuen Verfassungszusatz zu beenden, der allen Bürger das Wahlrecht zuerkennt. Die derzeitigen politischen Machtverhältnisse machen den Erfolg solcher Initiativen jedoch sehr unwahrscheinlich – nicht nur, weil die Republikaner traditionell nicht gerade als Interessenvertretung von Straffälligen hervorgetreten sind, sondern auch weil die politischen Machthaber von der derzeitigen Regelung profitieren. Nach Analysen der 2000er Wahl wären 27,2 Prozent der von der Wahl Ausgeschlossenen wählen gegangen, wenn sie gedurft hätten, und davon hätten 68,9 Prozent demokratisch gewählt. Auf Florida angewendet bedeutet das, daß der Demokrat Gore den Republikaner Bush mindestens mit 80 000 Stimmen geschlagen hätte. Es gibt wenig Grund zur Annahme, daß die Zahlen für 2004 grundsätzlich anders aussehen. Und welches Interesse sollte da ein republikanisch dominierter Kongreß oder Senat haben, an diesen Verhältnissen etwas zu ändern? Angesichts der wachsenden Anzahl von verurteilten Straftätern in den USA ist wohl eher damit zu rechen, daß immer mehr Bürger der größten demokratieexportierenden Nation auch weiterhin nicht wählen dürfen. Katharina Sophie Rürup, Amerikanistin, lebt in Berlin.
Erschienen in Ossietzky 24/2004 |
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