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Zu »Dämonen« sagte Norén im Interview: »Hinter dem, was sie (die Figuren) tun, verbergen sich Fantasien zu töten und getötet zu werden.« In »Kälte«, wenige Jahre nach »Dämonen« und einer Zusammenarbeit mit jungen Neonazis entstanden, töten die Figuren. Zeitzeichen. Eine Gruppe Jugendlicher (Abiturienten, letzter Schultag, Weg in die »Freiheit«), dominiert von Sozialneid, Fremdenfeindlichkeit, Bereitschaft zum Töten, ist die Personage dieses Stückes. Sein Tenor: »Einen totschlagen, wäre der Kick! Besser als vögeln!« Im Werkraum wird vor dem schwarzen, eisernen Vorhang gespielt (Bühne/Kostüm: Sascha Gross). Eine stählerne Säule senkt, hebt, teilt sich, ergibt die Spielfläche des Darsteller-Quartetts. Drei Schauspielschüler, ein Ensemblemitglied des DT. Flankiert sind die Spieler von zwei Cellistinnen, die während des gesamten Abends mit samtenen und dramatischen Klängen das brutale Geschehen begleiten. Sie streichen mit weichem Bogen Kulturgeschichte in unser Ohr. Für Deutschland übertragen hieße das: Bach, Goethe, Hitler. Auftakt: Drei junge Männer, Oberkörper entblößt, Shorts, Springerstiefel, betrunken, stampfen einen imaginären Feind in den Boden. »Scheiße« ist ein bevorzugtes Wort, »Eier zu Brei treten« auch. Ihre Devise: »Glaube, Hoffnung, Kampf!« Ein rüdes, aggressives Gespräch hebt an, ihre Lust zu töten ist offenkundig. Krieg soll sein, wünschen sie. Kanaken und Muslime sind keine Menschen, behaupten sie. Saufen, Treten, Zerstören ist ihr lustvolles Ziel. Keith ist der Ideologe: »Wir normale weiße Schweden wollen uns nicht vermischen, wir müssen töten, dann sind wir frei.« Ismael, ein Muslim, stammt aus dem Kosovo. Er ist ausgeliefert an seine weißen, schwedischen Kumpane. Folgt er ihnen nicht, droht ihm die Hinrichtung. Auf die hochgeputschte Gruppe trifft Kalle, ein Koreaner, als kleiner Junge von wohlhabenden Schweden adoptiert. Er hat alles, ist alles, woran es den anderen mangelt. Er ist Klassenfeind und Fremdkörper. Ist Jude, Nigger, Schlitzauge. Die Inkarnation dessen, was sie hassen. Lässig verwickeln sie ihn in ein Gespräch, nötigen ihn, zu trinken, zu bleiben, sich einzulassen auf ihre Lebensart. Kalle ist geduldig, versucht sanft, mit Vernunft, ihren Argumenten seine entgegenzusetzen, verweigert standhaft, ohne Aggression, doch erkennbar angstbesetzt, den Hitlergruß. Sie demütigen den jungen Mann, künden ihm spielerisch, beiläufig, seinen Tod an. Wie selbstverständlich, ja rechtmäßig erläutern sie ihm ihre Absicht, ihn zu töten. Man mag nicht glauben, daß sie tun werden, was sie da sagen, und ist trotzdem in permanenter Erwartung der Katastrophe. Normalität im Grauen. Der gewöhnliche Faschismus grassiert, eskaliert, wird beklemmend praktiziert. Keith, Anders und Ismael töten Kalle. Reißen sein Haar aus, den Arsch auf, die Nase, legen seinen geöffneten Mund auf eine Stahlkante, treten auf seinen Kopf, brechen seine Zähne heraus, zerstören ein Auge, reden dabei über Autopreise und Kaninchenbraten. Ismael muß Kalle den Rest geben. »Kick ihm an den Kopf.« Er tut das. Entspannt, ohne jedes Schuldbewußsein verlassen die »echten weißen Schweden« die Bühne. Ismael macht einen hilflosen Versuch, aus dem blutdurchtränkten Rest, der sein Klassenkamerad war, einen »ordentlichen« Leichnam zu machen. Er kämmt dessen verkrustetes Haar. Abgang. Stille. Langsam erhebt sich der Leichnam. Behutsam löst er die blutverschmierten Teile von seinem Gesicht, entfernt die demolierten Zahnprothesen, die Polster für die geschwollenen Gesichtspartien, stellt sein Gesicht her. Steht da. Ein Mensch. Schaut uns an. Jeden von uns. Ist ein »normaler Weißer«. Könnte auch sein wie die anderen. So oder so. Assoziiert das Gefühl der Verantwortung dafür, daß wir sind, wie wir sind. Robert Schuster (Regie) ist eine bestechend klare Inszenierung gelungen. Er hat klug entschieden, die Nationalität der jungen Männer nicht äußerlich zu markieren. sie stehen »pur« auf der Szene. Wer sie sind, erzählt ausschließlich der Text. Sie sind jedermann. Mit großem Können, handwerklich perfekt, haben die drei Studenten der »Busch« ihre Bühnentaufe bewältigt: Niklas Kohrt, Peter Becker, Gabor Biedermann. Biedermann beeindruckte nachhaltig. Aus gesammelter Stille heraus gestaltet er den Leidensweg des Koreaners Kalle, vertieft mit Verhaltenheit die erschütternde Wirkung des exemplarischen Schicksals. Achim Schelhas hat den Studenten des dritten Studienjahres an Professionalität nichts voraus. Heftiger, verdienter Beifall galt allen Beteiligten.
Erschienen in Ossietzky 23/2004 |
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