Vorsteuerabzugsberechtigt

Matthias Biskupek

Gern verteidige ich meinen weltstädtischen Freunden gegenüber die Provinz: Sie ist lieb, zwischenmenschlich und anteilnehmend. Wenn ich mit meinen weltstädtischen Freunden spreche, reden wir über Ungerechtigkeit, Arbeitslosigkeit, Kunst und Steuern. Wenn ich sage, daß ich es blöd finde, mit Tricks den Staat um die rechtmäßige Steuer zu bescheißen, schließlich tragen wir doch alle eine Vision von Gerechtigkeit in uns – ich vergaß zu sagen, daß meine weltstädtischen Freunde und ich der Kunst und Literatur obliegen –, dann grinsen meine Freunde blöd.

Erzählte ich meine jüngsten Provinzabenteuer mit dem Finanzamt, würden sie gewiß nicht mehr blöd grinsen, doch das will ich ihnen ersparen. In unserer Provinz paßt man aufeinander auf, könnte ich sagen. Deshalb geben Menschen wie ich sämtliche Einkünfte treulich an. Täten dies alle, kämen wir der Gerechtigkeit gewiß näher.

Aber unsere Menschen und auch die Finanzamtsmenschen lesen Zeitung. Und in der Provinz gelangt man schneller in die Zeitung, als es die Polizei erlaubt. Was, der ist Schriftsteller?, fragt sich ein lesender Finanzbearbeiter. Dann will ich doch mal sehen, was so einer verdient. Er guckt in meine Steuererklärung – liegen ja treuherzig in unserem ländlich-harmlosen Finanzamt herum – und befindet: Das kann nicht stimmen! Steht in der Zeitung und verdient fast nix. Also guckt er in meine Papiere und stellt fest: Der Schriftsteller läßt sich nach Vorsteuerabzugspauschalen veranlagen, die für Journalisten gedacht sind.

Nun haben wir es, das gruselige Wort: Vorsteuerabzugspauschale. Wer so gruselige Worte benutzt, der will damit auch wirken. »Ich will wirken in dieser Zeit«, hieß mal ein geflügeltes Wort in der Unrechtsrepublik. Der Finanzämtler läßt daher prüfen, ob der Schriftsteller berechtigt ist, sich journalistisch zu tarnen. Natürlich prüft der Aufmerksame nicht selber. Er hat seine Leute. Die tun nur ihre Pflicht. Sagen sie. Und stellen fest: Ein Gedicht in der Zeitung ist Schriftstellerwerk. Eine Reportage im Buch ist journalistisch. Oder umgekehrt. Jedenfalls geht alles durcheinander, und das darf nicht sein. Drum prüfen mehrere Leute mehrere Tage, lassen alles neu berechnen, um festzustellen: Dieser Typ, der als Schriftsteller in der Zeitung steht, wo sonst die Namen von Journalisten gedruckt werden, hat leider überhaupt nicht die tausend ganz legalen Steuertricks angewandt. Er zahlt ganz pauschal und auch ganz genau die richtigen Steuern.

Die Prüfer raufen Haare und Akten. Finden wundersame Gesetzblätter: Ein vorlesender Schriftsteller hat andere Steuersätze als ein schreibender, während ein musizierender Publizist veranlagungstechnisch besonders zu behandeln ist, wenn dieser während öffentlicher Verlautbarung sich elektronisch speichert, gleichgültig, ob der Speicher zum Zwecke einer öffentlich-rechtlichen Wiedergabe genutzt wird oder nicht.

Es müßte doch mit Hans Eichel zugehen, wenn die Prüfer viele Tage umsonst geprüft hätten. Drum prüfen sie, welche Steuern sich auf ewig binden lassen und ob das alles einen netten Straftatbestand ergeben könnte. Natürlich dauert die Prüfung, und der Geprüfte – also ich – darf ihnen »in meinem Unternehmen« Arbeitsplatz und Arbeitsmittel zur Verfügung stellen. Ich stelle gern und helfe beflissen und habe zu tun wie der Leipziger Rat, wie man früher in der Unrechtsrepublik sagte.

Meine weltstädtischen Freunde jammern derweil, daß unsere Erde unter Arbeitslosigkeit und Ungerechtigkeit zugrunde gehen wird, aber unsereiner in der Provinz habe es ja gut, der merke von all dem nichts. Dazu grinsen sie blöd. Natürlich könnte ich aufschreiben, wie es mir wirklich ergeht, aber dazu komme ich seit geraumer Zeit nicht mehr. Ich bin, finanztechnisch gesehen, nichtschreibender Schriftsteller. So daß meine Finanzamtsmenschen irgendwann nicht mehr jenes die Welt bewegende Rätsel lösen müssen: Wie speichert ein vorsteuerabzugsberechtigter journalistisch Untätiger auf einem nicht vorhandenen elektronischen öffentlich-rechtlichen Richtungsanzeiger?

Da der Autor unrechtmäßigerweise sich journalistisch veranlagen läßt, ist dies alles nicht ausgedacht, sondern die in Fachausdrücken rein aufgefundene Wahrheit.

Erschienen in Ossietzky 23/2004