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Fontane ist parat; doch will es im ersten Eindruck scheinen, als wäre mit ihm das literarische Angebot vollständig, bis auf ein von Verwerfungen durchzogenes Segment namens Kleist. So ausgedünnt stellt sich Brandenburg dem Blick aus einiger Entfernung dar. Im dtv-Atlas zur deutschen Literatur – nicht nur aus der Zeit, als die Mauer die Wahrnehmung beeinträchtigte, der Befund hat sich bis in die deutsche Einstaatlichkeit erhalten – sind ganze fünf Orte der Erwähnung für wert befunden, mit karger Auffüllung. Der anderthalb Jahrhunderte zurückliegende Zustand des Erstaunens nach der Veröffentlichung von Fontanes »Oderland«, daß es auch in der Mark etwas von literarischer Fündigkeit gibt, hat sich immer noch nicht erledigt. Nun bestimmt Werner Liersch apodiktisch Brandenburg zum Dichterland und macht sich daran, es nachzuweisen. Es ist nicht das erste Begängnis. Vor zwei Jahrzehnten schon war er unterwegs zu »Dichters Ort«; Gerhard Wolf und Günter de Bruyn ergingen sich damals im »Märkischen Dichtergarten«; und unlängst wurde eine Auflistung aller brandenburgischen Ansiedlungen publiziert, die mit literarischen Bemühungen in Verbindung zu bringen sind: »Musen und Grazien in der Mark«. Liersch kommt es nicht auf Statistik an, ihm geht es um die Strahlkraft, die Orten und Gegenden zugewachsen ist aus dem geistig-literarischen Wirken außerordentlicher Männer und Frauen in ihrer Verwobenheit in die Zeitumstände. Es ist der Sog des »Dreiklangs von Natur, Geschichte und persönlichem Erleben«, in den die Orte und ihre Literaten ihn hineinziehen. Das einzelne Schicksal als Brennglas der Zeitgeschichte. Liersch greift in die Fülle der Fakten und handhabt sie meisterhaft. Selbstverständlich Fontane. Doch indem Liersch ihm ins Oderland nachgeht, nicht nur nachgeht, sondern ihn begleitet, also erlebt und erduldet, »was die Umstände so mit sich brachten, Ungeziefer bekämpfen, märkische Gasthausküche ertragen, auf das Halstuch achten«, hat er weitere literarische Fundorte im Blick: das auf der westlichen Oderseite gelegene Kunersdorf, wo Chamisso den »Schlemihl« schrieb; die einst gleichnamige Ansiedlung östlich der Oder, auf deren Gemarkung eine der friedrichschen Schlachten dem von seinem großen Namensvetter überschatteten Ewald von Kleist das Leben kostete; nicht weit entfernt Ziebingen, wo Tieck den »Phantasus« verfaßte; Madlitz, ein zweiter Aufenthaltsort Tiecks, der diese Gunst dem Grafen Friedrich Ludwig von Finckenstein zu verdanken hat, dem Regierungspräsidenten, Gartengestalter und selber auch Dichter. Einer der vielen in den Zeitläuften Abhandengekommenen. Sie gehören aber zu einem Geflecht, das die Namen und Leistungen derer trägt, die sich bewahrt haben. Liersch nimmt sich auf seinen literarischen Exkursionen ihrer an, zeigt die soziale und menschliche Verwobenheit und macht die Orte dadurch lebendig. Im Gang durch die märkische Literaturgeschichte füllt sich die literarische Kartierung: Friedrich de la Motte Fouqué bringt Sacrow und Nennhausen ein, die Arnims Wiepersdorf, Pückler Branitz, die Friedrichshagener firmieren überhaupt geographisch, durch Hauptmann wird Erkner zum literarischen Begriff, durch Fallada Neuenhagen, Rheinsberg durch Tucholsky, Hermsdorf durch Richard Dehmel, das uckermärkische Biesenbrow als Kummerow durch Ehm Welk, Werder ist mit Kellermann verbunden, Grünheide mit Georg Kaiser... Orte an denen sich leben und dichten läßt. Und irgendwann nicht mehr. Tödliche Orte. Für Gertrud Kolmar wird Finkenkrug zum Vorort von Auschwitz, Oranienburg mit dem auf einem Brauereigelände eingerichteten Konzentrationslager für Erich Mühsam zum Leidens- und Sterbeort. Die Nazis ruinieren wie alles auch die literarische Landschaft. Liersch legt Sorgfalt auf die Betrachtung der Schwierigkeiten, in der Verwüstung wieder literarische Ort zu finden. Es sind antifaschistische und Emigrantenschicksale, die so nach Brandenburg kommen, fast ausschließlich in Reichweite von Berlin. Bodo Uhse läßt sich in Groß Glienicke nieder, Friedrich Wolf in Lehnitz, Hans Marchwitza und Eduard Claudius in Potsdam, Johannes R. Becher und Brecht – zumindest zeit-, was vor allem heißt sommerweise – in Bad Saarow und Bukkow. Freilich fragt sich, wie weit das den eigenen Werten des Berliner Umlands geschuldet ist und wie weit dem der Metropole. Aber da sind auch jene Autoren, denen es gerade auf die Nichtstadt, die Stadtferne ankommt, auf das Biotop, das sie benötigen und in dem sie, wenn es gut geht, als Autoren wachsen können. Erwin Strittmatter. Auch er wechselt, aber von Dorf zu Dorf, von Bohsdorf in der Niederlausitz, wo er aufwuchs, nach Dolgow-Schulzenhof, wo er sich später einrichtet, und beide werden durch ihn zu literarischen Orten erhoben. Nicht jeden rettet das Ausweichen an die Peripherie der realsozialistischen Gesellschaft, zumal sie keine Idylle ist. Boris Djacenko, der 1954 mit seinem Roman »Herz und Asche« die Toleranzgrenze von Partei und Staat überschritt, hilft weder der Rückzug ins Abgelegene noch die zusätzliche Mimikry des Pseudonyms als Krimiautor (Peter Adams), 1974 ist er am Ende. So weit läßt es Peter Huchel nicht kommen. 1971 verläßt er Wilhelmshorst, Brandenburg, die DDR. »Ein deutscher Wechsel, wie ihn viele Ostdeutsche noch erfahren werden.« Ein Wechsel aber auch um den Preis der Erkenntnis, daß Leben an anderem Ort nicht nahtlos fortzusetzen ist. Heimat ist keine Sache des Willens. Liersch bringt die mit der märkischen Landschaft verbundenen Autorenschicksale eindringlich zur Sprache. Auch solche, für die Brandenburg lediglich Zwischenstation war: Storm, Gorki, Weisenborn, Leonhard Frank... Überhaupt nur als zeitbegrenzte Herberge für Literaten etablierte sich in der DDR das »Schriftstellererholungsheim Friedrich Wolf« am Schwielowsee. Ein besonderer Punkt in der märkischen Dichterlandschaft, literarischer Begegnungs- und Schicksalsort, um den kaum einer, der in der DDR als Autor zählte, herumkam: Christa und Gerhard Wolf, Günter de Bruyn, Rainer Kunze, Brigitte Reimann, Maxi und Fred Wander, Sarah und Rainer Kirsch, Karl Mickel, Georg Maurer, den es in diesem Haus aus dem Leben riß, und die vielen, deren literarischer Platz mit der DDR verschwunden ist. Liersch erweist dem einen und anderen Reverenz, indem er sich ihrer nicht ebenfalls entledigt: Werner Lenz und Horst von Tümpling. Liersch kennt den Ort, angefüllt mit Erlebnissen, eigenen und mitgeteilten, guten und weniger guten. Ein Ort in den Zeitverhältnissen. Natürlich gibt es Brandenburg nicht ohne Potsdam, auch ohne Potsdam als literarischen Ort nicht. Liersch fixiert ihn auf überraschende Weise. Die Stadt, der wie kaum einer anderen die Aura des Absolutismus anhaftet, erweist sich als Dichterort, gerade dank des absoluten Monarchen, der sich hier ansiedelt. Denn der ist den Musen zugeneigt, zumindest als junger Mann, wie Liersch zu belegen weiß. Als Dichter verfügt er über das, was des Dichters sein sollte: »er ist moralisch, empfindlich, traurig, menschlich, einsichtig«. Vielleicht mangelt es lediglich an dem, dessen es außerdem bedarf, der Meisterschaft. So fügt er sich den Unausweichlichkeiten, der Kronprinzenbürde und dem despotisch-gnadenlosen Vater, die ihm die Monarchenrolle aufzwingen. Daß er, nachdem er diese angenommen hat, sich auf die Partnerschaft eines der großen Köpfe seiner Zeit, Voltaire, einläßt, erklärt Liersch als nachgereichten Tribut an das andere, nicht ausgelebte Ich. Sanssouci, das architektonische Symbol des Absolutismus, wird zum Refugium der Rückfälle. Aus einem Brief Voltaires nach Frankreich von 1753: »Endlich bin ich an diesem früher sehr wilden Ort, der jetzt durch die Künste verschönt und durch Ruhm geadelt ist. Siegreiche Soldaten, keine Prokuratoren, Oper und Schauspiel, Philosophie und Poesie, ein Held, der zugleich Philosoph und Dichter ist, Größe und Armut, Grenadiere und Musen, Kriegstrompeten und Geigen, platonische Gastmahle und Gesellschaft und Freiheit. Wer sollte es glauben? Und doch ist alles ganz wahr.« Das Königsamt – eine Notlösung... Es lohnt, sich Liersch auf seinen Wegen durchs Dichterland Brandenburg anzuvertrauen.
Werner Liersch: »Dichterland Brandenburg – Literarische Streifzüge zwischen Havel und Oder«, Patmos Verlag, 377 Seiten, 19.90 €
Erschienen in Ossietzky 23/2004 |
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