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Was aber haben in der Ausstellung dann Verweise auf »Sterne« (DDR) und »Geh und sieh« (UdSSR) und Zitate aus ihnen zu suchen, auf Werke der Filmkunst, mit denen doch gerade bewußt gemacht und gehalten wurde, was das gewesen war: Europa und in ihm Millionen seiner Bewohner unter der Geisel des Hakenkreuzes. Mythen? Die Ausstellung, gewollt oder nicht, gehört zum Vorprogramm des 60. Jahrestages der Befreiung. Sie bietet ein mit beeindruckendem Aufwand an Kenntnissen, Spürsinn und Kosten zusammengetragenes Material, das die Arbeit, Erinnerungen wachzuhalten; zu pflegen, sie lebendig weiterzugeben, in deren Ergebnissen anschaulicht macht. Präsentiert werden Plakate und Fotos, Zeichnungen und Gemälde, Münzen und Briefmarken, seltener Plastiken, häufig Filmsequenzen. Staat für Staat des europäischen Kontinents wurde durchmustert, auch die Schweiz ist nicht ausgelassen, dazu die USA und Israel. Eine Auswahl selbstredend. Doch nichts Wesentliches aus Initiativen von Staats wegen, von Militärs, Künstlern, Publizisten, Schriftstellern scheint unberücksichtigt geblieben zu sein. Die Ausstellung zieht ein internationales Publikum an. Zwei Aussagen sollen sich dem Besucher einprägen. Die erste: Mit dem Blick in das letzte Kriegsjahr, in dem die Alliierten die Eroberer zurück ins Reich trieben und sie dort endlich entwaffneten und entmachteten, wird verkündet: Von Westen kamen die Befreier, von Osten die Besatzer. Die Interpretation ist nicht neu. Dogmenhaft formuliert wurde sie jüngst so: »In der Normandie begann die Befreiung Europas.« Da machen die Museologen weiter. Sie leisten ihren Beitrag zur Neuverwendung des Begriffs Befreiung, zwanzig Jahre nachdem Ri-chard von Weizsäcker, damals Bundespräsident, den nun als gescheitert anzusehenden Versuch unternahm, den Bürgern der Republik angemessen zu erklären, was den deutschen Zeitgenossen in letztlich von ihnen verursachten Zuständen 1945 widerfuhr. Ihrer volkspädagogischen Idee folgend lassen die Gestalter den Rundgang mit den USA beginnen, die als Boten und Installateure von Freiheit und Demokratie gezeigt werden, während den Beschriftungen der Exponate zufolge die Befreiung Osteuropas nur in Einbildungen, Ansprüchen und in der Propaganda existierte. Die sowjetischen Armeen befreiten Millionen Menschen Ost- und Süd-osteuropas – in besetzten Staaten wie der Tschechoslowakei und Polen und in Ländern der einstigen Bündnispartner des Naziregimes – nicht wirklich vom Faschismus, wie wir hier erfahren. Diese Millionen samt ihren Nachfahren wurden »durch die Sowjetunion gezwungen«, sich deren Sicht zu eigen zu machen. Erst »nach dem Krieg wurden aus diesen Staaten vom Faschismus befreite Länder«, wird behauptet. Das Denkmal im Zentrum der Hauptstadt Österreichs, das an die im Kampf um Wien umgekommenen Sowjetsoldaten erinnert, nennt der Text das »sogenannte Befreiungsdenkmal« und »Russendenkmal«. Die zweite: Das Ende des sozialistischen Staatensystems wird als die Öffnung eines Tores dargestellt. Danach sei nun auch im Osten des Kontinents der Weg zu undiktierter Darstellung der Geschehnisse in Krieg und Nachkrieg nicht länger verbarrikadiert. Indessen werde er noch nicht hurtig beschritten und der »kategorische Erinnerungsimperativ des Westens« – was immer in dieser Worthülse sich verbergen mag – bisher nicht angenommen. Ist das aber geschehen, dann, so versteht man, werden alle Kriegsgegner Deutschlands von ihren letzten noch besetzten hohen Sockeln heruntergestiegen sein und sich der eigenen Kollaborateure, ihrer Brutalität, ihrer Grausamkeiten und Verbrechen erinnert haben und bekennen müssen: »Wir auch.« Dann ist das vereinende, auch für die Deutschen zwischen Rhein und Oder akzeptable europäische Geschichtsbild über den Zweiten Weltkrieg geschaffen. »Dank euch, ihr Sowjetsoldaten«? Dank ohne Ausnahme allen, welcher Nation, welcher Hautfarbe, welchen Glaubens, welcher Weltanschauung, welchen Sinnes auch immer, die ihr die Gefahr eines Europa unter Hitler und Göring, Himmler und Goebbels und den ausbeutungshungrigen Flick, Krupp und Co. abgewendet habt? Kein Gedanke daran, kein Gefühl dafür kann die Ausstellungsmacher beschlichen haben. Außerhalb ihrer Phantasie lag die Welt derer, denen mit dem Anblick des ersten Soldaten der alliierten Truppen das Leben ein zweites Mal geschenkt wurde, ein Moment, den viele erschütternd – und unter diesen vielen Primo Levi unvergeßlich – beschrieben haben. Mit dieser Ausstellung bestätigt das Deutsche Historische Museum: Die größere Bundesrepublik hat auch den »Kampf um die Geschichte« auf- und hier schon »mehr Verantwortung« übernommen. PS. Den ostdeutschen Besuchern, die sich der Lebensmitte nähern und eigene Erinnerungen an ihre Jahre in der DDR besitzen, steht im Souterrain des Pei-Baus darüber hinaus noch eine Begegnung bevor, die sie sich umso eher zumuten können, als sie auf derlei inzwischen trainiert sind: Im knappen Text zu den Exponaten wie in dem voluminösen zweibändigen Begleitbuch werden sie von zwei hauptberuflichen Mitarbeiterinnen des veranstaltenden Hauses verfaßte Sätze lesen wie: »In der Sowjetischen Besatzungszone mußte man vergessen, was wirklich im Kriege geschehen war.« Oder »Der Völkermord wurde nicht thematisiert.« Oder im Text zum Plakat des schon erwähnten Konrad-Wolf-Films: Mit dem Thema Holocaust »beschäftigte man sich in der DDR nur, wenn es im Zusammenhang des Antifaschismus stand«. Hier äußert sich Unkenntnis. Oder wird vielleicht auf sie gar spekuliert? Es kann auch – muß aber nicht – als Einstimmung auf die Dauerausstellung zur deutschen Geschichte gedacht sein, an der im Gebäude Unter den Linden gearbeitet wird.
Die Ausstellung wird bis zum 27. Februar 2005 gezeigt. Begleitband: »Mythen der Nationen 1945. Arena der Erinnerungen«, herausgegeben vom Deutschen Historischen Museum, zwei Bände, 970 Seiten, Verlag Philipp von Zabern, Museumsausgabe 50 €, im Buchhandel 128 €
Erschienen in Ossietzky 23/2004 |
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