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Wir wurden aber weiterhin nur als Feiglinge und Vaterlandsverräter beschimpft und bedroht. Erst Anfang der 80er Jahre bekamen wir in der Friedensbewegung unsere ersten Verbündeten. Der Kampf um unsere öffentliche Anerkennung und Rehabilitierung begann Mitte der 80er Jahre mit dem Aufstellen von Denkmälern für Deserteure, was in vielen Städten heftige Diskussionen hervorriefen. Im Oktober 1990 konnten wir endlich unsere Bundesvereinigung gründen. Wir, das waren 37 alte Menschen, fast alle gebrechlich – kaum einer hatte Anschluß an die Gesellschaft gefunden. Seitdem kämpfen wir für unsere Rehabilitierung, für die Aufhebung unserer Verurteilungen – für unsere späte Würde. Immer wieder sind wir in den zuständigen Ausschüssen und im Plenum des Bundestages gescheitert, bis das Parlament endlich am 15. Mai 1997 in einem Beschluß zu unserer Rehabilitierung erklärte: »Der 2. Weltkrieg war ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen.« Das war ein geschichtlicher Durchbruch. Ansonsten war der Beschluß unbefriedigend, denn er erklärte die gegen uns gesprochenen Urteile nur dann für Unrecht, wenn die damaligen Handlungen heute kein Unrecht sind. Desertion wird aber auch heute bestraft. Die am 28. Mai 1998 vom Bundestag beschlossene gesetzliche Aufhebung aller NS-Unrechtsurteile war für uns Deserteure gleichfalls nicht befriedigend, denn obwohl die meisten aller Todesurteile der gesamten NS-Justiz gegen uns gefällt wurden, sind unsere Verurteilungen – anders als Millionen andere NS-Unrechtsurteile – nicht explizit aufgehoben worden. Nach einem Leben in Demütigung – besonders auch durch bundesdeutsche Gerichte – sollten wir uns nun zur Aufhebung unserer Urteile einer staatsanwaltschaftlichen Einzelfallprüfung unterziehen. Diese Entwürdigung taten wir uns nicht mehr an. Am 20. Oktober 1998 beschloß die neue rotgrüne Bundesregierung in einer Koalitionsvereinbarung, die Urteile gegen Wehrmachtsdeserteure umgehend gesetzlich aufzuheben. Doch dann führte Deutschland Krieg gegen Jugoslawien – einem Land, in dem die Wehrmacht Völkermord begangen hatte – und unsere Rehabilitierung war kein Thema mehr. Das merkten wir auch am 20. Juli 2000 in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Dort hatte die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär nach der offiziellen Gedenkveranstaltung und vor dem öffentlichen Gelöbnis der Bundeswehr eine Gedenkfeier für die Wehrmachtsdeserteure organisiert. Bei meiner Ansprache im Ehrenhof wurde ich von dem Kommandeur der Feldjäger als Straftäter beschimpft, und unser Kranz wurde über Nacht und unter dem Hausrecht der Bundeswehr gestohlen. Anfang 2001 brachte die PDS den früheren SPD-Gesetzentwurf zur Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure wörtlich in den Bundestag ein, was zu einiger Irritation führte. Endlich, am 17. Mai 2002, wurden unsere Urteile gesetzlich aufgehoben. Nicht aufgehoben wurde der Straftatbestand »Kriegsverrat«. Zu meiner Bemerkung, daß doch Millionen KZ-Insassen und Zivilisten nicht mehr hätten zu sterben brauchen, wenn es im deutschen Vernichtungskrieg mehr Kriegsverrat gegeben hätte, sagte mir der zuständige Staatssekretär Hartenbach: »Das haben wir dem Kanzler nicht vermitteln können.« Besonders bedrückend ist die Politik des Gedenkens für die Opfer der NS-Militärjustiz in Sachsen, wo in Torgau ab 1943 das Reichskriegsgericht wütete. Über 1000 Todesurteile, unzählige Hungertote und viele Folteropfer sind die düstere Bilanz unserer Verfolgung im Torgauer Fort Zinna. Auch nach 1945 war Fort Zinna Haftanstalt, zuerst bis 1950 unter der sowjetischen Militäradministration, dann bis 1989 Strafvollzugsanstalt der DDR und seitdem sächsische Justizvollzugsanstalt. Nach der Wende war der ehemalige sächsische Justizminister Steffen Heitmann – bekannter als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten – für Fort Zinna zuständig. Seiner Äußerung, ihm sei das Gedenken an die nach 1945 Verfolgten wichtiger, ließ er gleich Taten folgen, indem er ihnen 1992 eine Gedenkstätte mit einem drei Meter hohen Kreuz im Anstaltsbereich genehmigte und mitfinanzierte. Wir haben trotz unserer weit schwereren Verfolgung am Fort Zinna nicht einmal einen Platz, wo wir für die Opfer der NS-Militärjustiz Blumen niederlegen können. Diese Mißachtung der verfolgten und ermordeten Wehrmachtsdeserteure wurde besonders deutlich, als Sachsen – unterstützt von Bayern – am 19. Dezember 1996 den mit großer Mehrheit verabschiedeten Gesetzentwurf des Bundesrates zur Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure, Kriegsdienstverweigerer und Wehrkraftzersetzer zu unserer Bestürzung ablehnte. Die »Stiftung Sächsische Gedenkstätten«, dominiert von vier Ministern, setzt diese Diskriminierung um. Sie will uns seit Jahren gegen unseren Widerstand eine gemeinsame Gedenkstätte mit den nach 1945 Verfolgten aufzwingen, obwohl damit auch unsere Richter, Henker und Folterer geehrt werden können. Denn allein im Januar 1946 waren im Fort Zinna 498 Schergen der Gestapo und 25 Kriegsrichter inhaftiert. Sie haben uns Opfer in Deutschland und allen besetzten Ländern verurteilt und gefoltert. Mich haben sie bei der Vernehmung und noch in der Todeszelle mehrfach zusammengeschlagen, weil ich meine Freunde aus dem französischen Widerstand nicht verraten wollte und nicht verraten habe. An anderen sächsischen Orten ist es sogar schon möglich, NS-Täter zu ehren. So haben Männer des Waldheimer Kameradschaftskreises dem »Henker von Torgau«, Friedrich Heinicke, der viele Deserteure mißhandelt und erschlagen hatte und dafür in den Waldheimprozessen der DDR zum Tode verurteilt wurde, an seinem Urnengrab »die Ehre erwiesen« (Leipziger Volkszeitung 21.3.2000). Früher bezeichnete der Militärhistoriker Norbert Haase Heinicke noch als einen »NS-Täter der schlimmsten Kategorie«. Heute – als Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten – sieht er in der Ehrung nur noch eine »Deutungsunsicherheit«. Und wenn ihm der Waldheimer Kameradschaftskreis versichert, daß nur »unschuldige Kameraden« geehrt werden, so hat sich damit für ihn der Fall vollends erledigt, obwohl dies den Kern des Problems berührt. Denn als mit dem Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz viele DDR-Urteile aufgehoben wurden, verloren die Urteile der Waldheimprozesse – in denen auch Unschuldige verurteilt wurden –pauschal als Unrechtsurteile ihre Rechtskraft, so daß jeder, der das will, auch die 24 Hingerichteten der Waldheimprozesse für unschuldig halten kann. Das ist um so schlimmer, als die 24 Hingerichteten in der Mehrzahl Richter am Volksgerichtshof, den Kriegsgerichten und Sondergerichten waren. Obwohl der Bundesgerichtshof diese Richter in seinem Grundsatzurteil vom 16. November 1995 als »Blutrichter« brandmarkte, die wegen »Rechtsbeugung in Tateinheit mit Kapitalverbrechen« hätten belangt werden müssen, wurde im Westen keiner von ihnen je bestraft. Deshalb gelten sie alle als unschuldig, auch der Kriegsrichter Hans Filbinger, der Wehrmachtsdeserteure noch bei Kriegsende mit Todesurteil und Hinrichtung verfolgte. Er ist einer dieser Blutrichter und Kapitalverbrecher, außerdem Ehrenvorsitzender der CDU in Baden-Württemberg; bis heute wird er dort auch von der Landesregierung geehrt. Warum sollen da nicht auch die Männer vom Waldheimer Kameradschaftskreis diese Mörder von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern ehren? Die Bundeszentrale für politische Bildung hat über die sächsische Gedenkstättenpolitik eine Dokumentation herausgegeben, in der es im Vorwort heißt: »Neben diesen notwendigen und wichtigen Neuanfängen (nach dem oft einseitigen DDR-Gedenken) zeigten sich jedoch gleichzeitig in vielen sächsischen Städten und Orten Tendenzen, das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus auf neue Art zu vereinseitigen, zu pauschalisieren oder ganz auszulöschen«. So auch geschehen im Zuchthaus Waldheim, der größten Haftanstalt Sachsens. Fast die Hälfte der von 1933 bis 1945 hier inhaftierten Frauen und Männer waren wegen »Hochverrats« verurteilt worden, aber auch 800 Euthanasieopfer wurden hier ermordet. Die auf dem Anstaltsfriedhof beigesetzten NS-Opfer wurden nach 1945 mit einer Gedenktafel geehrt. Diese Tafel wurde nach der Wende entfernt und durch eine Tafel mit der Aufschrift »Den unschuldigen Opfern der stalinistisch-kommunistischen Gewaltherrschaft im Zuchthaus Waldheim 1950 – 1954« ersetzt. Schändungen und Zerstörungen von Grab- und Gedenkstätten für NS-Opfer haben stets auch einen faschistischen Hintergrund und sind strafbar. In Sachsen konnten allerdings in vielen Städten und Orten ganz offiziell Gedenkstätten für NS-Opfer ausgelöscht werden. Die Stiftung Sächsische Gedenkstätten ist nicht bereit, diese Grab- und Gedenkstätten für die NS-Verfolgten wieder herzurichten und zu erhalten. So bleibt das Gedenken an diese NS-Opfer in Sachsen geschändet und ausgelöscht. Anfang 2004 haben der Zentralrat der Juden in Deutschland und alle NS-Verfolgtenverbände die Stiftung Sächsische Gedenkstätten verlassen, weil sie die inzwischen auch gesetzlich festgeschriebene Gleichsetzung der NS-Verfolgung mit der Verfolgung nach 1945 nicht mehr hinnehmen wollten. Auch die Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in Deutschland und der Gedenkstätten weltweit haben die sächsische Gedenkstättenpolitik explizit verurteilt. Trotz dieser beispiellosen Kritik will die CDU/CSU die sächsische Gedenkstättenpolitik bundesweit verwirklichen. Ihr Antrag dazu stand ursprünglich für den 30. Januar 2004 auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestags. Wohl auch, weil das historische Datum zu viele negative Emotionen weckte, wurde der Termin kurzfristig abgesagt. Am 17. Juni 2004 wurde der CDU/CSU-Antrag im Plenum des Bundestags debattiert und mehrheitlich verworfen. Am 9. Mai 2004 eröffnete Joachim Gauck gegen unseren entschiedenen Widerstand im Torgauer Schloß eine Dauerausstellung der Stiftung zur Verfolgung in Torgau vor und nach 1945. Zur NS-Verfolgung werden dort 14 Verfolgtenportraits und 18 Thementafeln gezeigt, zur SBZ-Verfolgung 24 Verfolgtenportraits und 31 Thementafeln. Die beiden Ausstellungsteile sind kaum voneinander getrennt – ein Raum geht offen in den anderen über. Die Schergen der Gestapo und des SD, sowedit sie nach 1945 inhaftiert waren, werden pauschal als unschuldige Opfer bezeichnet. So heißt es im Ausstellungstext über die sowjetischen Speziallager, sie sollten »dazu dienen, ›feindliche Elemente in Gewahrsam zu halten‹: Personen, die als Sicherheitsrisiko angesehen wurden, wie etwa NSDAP-Funktionäre, Mitarbeiter von Gestapo und SD sowie generell alle Gegner der sowjetischen Besatzungsmacht. Dabei erfaßten diese Lager aber nicht mutmaßliche ›Nazi- und Kriegsverbrecher‹.« Die Gestapo und der SD wurden in den Nürnberger Prozessen als verbrecherische Organisationen verurteilt. Ihre »Mitarbeiter« sind der Inbegriff der »Nazi- und Kriegsverbrecher« schlechthin. Beispielhaft für das Gedenken in Torgau ist die Behandlung der luxemburgischen Zwangsrekrutierten: Am 22. und 23. Dezember 1944 wurden elf von ihnen hingerichtet, weil sie nicht für Hitler-Deutschland in den Krieg ziehen wollten. Sie waren blutjung; die Abschiedsbriefe an ihre Eltern können einem das Herz zerreißen. Kein Verfolgtenportrait von ihnen wird in der Dauerausstellung gezeigt. Es soll ganz offensichtlich nicht mehr daran erinnert werden, was zu der Verfolgung nach 1945 – der Verfolgung der Täter – geführt hat. Wir fordern in Torgau eine eigene Dauerausstellung, welche die Ausstellungsteile Vernichtungskrieg/Holocaust, Verfolgung durch die NS-Militärjustiz, Verfolgung durch das Reichskriegsgericht und Verfolgung der Kriegsgefangenen und Zwangsrekrutierten umfaßt. Und wir fordern am Fort Zinna eine eigene würdige Gedenkstätte, welche der Schwere unserer Verfolgung gerecht wird. Ludwig Baumann ist Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Mili-tärjustiz.
Erschienen in Ossietzky 23/2004 |
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