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Jahrgang 1929, Kindheit und Jugend im kleinbürgerlichen Kreis von Familie und Verwandtschaft in Braunschweig, Naziherrschaft und Krieg, der Fünfzehnjährige wird Luftschutzhelfer und Soldat, die Not der Nachkriegsjahre: Erfahrungen, deren Aufarbeitung gegen Ende seiner Schulzeit mit Erzählungen und Theaterstücken beginnt. Damit ist sein beruflicher Weg als Journalist und Verfasser zahlreicher Bücher vorgezeichnet. Die Sendereihe »Zur Person« (1963 – 2004) wird unter wechselnden Titeln zur längsten Interviewfolge in der Geschichte der Bundesrepublik, deren gesellschaftliche und politische Entwicklung auch durchgängiges Thema der Memoiren ist. Sie enden mit dem Bericht über seine Tätigkeit als Chefredakteur des Spiegel im Jahre 1972. Über seine Zeit als erster Ständiger Vertreter der Bundesrepublik in der DDR, sein Eintreten 1989 für eine zentraleuropäische Föderation statt der nationalen Vereinigung, seine Sorgen angesichts der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung seit 1999 (»Warum ich kein Demokrat mehr bin«) und seine Auseinandersetzung mit der SPD bis zum Austritt aus der Partei 2001 konnte er über das bereits Geäußerte hinaus keine weitere Auskunft mehr geben. Es blieb Günter Gaus erspart, das Scheitern seines letzten politischen Anliegens erleben zu müssen, dem er das Schlußkapitel seiner Erinnerungen unter der Überschrift »Klar« widmen wollte. Seine Tochter Bettina, journalistisch und schriftstellerisch tätig wie ihr Vater, schreibt darüber liebevoll in ihrem Nachwort: Noch einmal widerfuhr meinem Vater im Dezember 2001, was ihm im Laufe seines Lebens so oft widerfahren ist: Er interessierte sich für ein Thema, er sah eine berufliche Herausforderung – und er fand einen Menschen. Im Besucherraum des Gefängnisses Bruchsal in Baden-Württemberg führte er für seine Reihe »Zur Person« das erste Fernsehinterview mit dem ehemaligen RAF-Terroristen Christian Klar, der zu diesem Zeitpunkt seit neunzehn Jahren inhaftiert war. Nervös wirkte der damals Neunundvierzigjährige auf ihn. Die erkennbare Mühe, die es dem Häftling bereitete, sich zu konzentrieren, hat meinen Vater tief verstört. Er konnte keinen Sinn in einer Fortdauer der Haft mehr sehen. Weder den der Resozialisierung noch den der Vereitelung weiterer Straftaten. Er sah nur einen Mann, dessen Taten er mißbilligte und für dessen Recht auf eine eigene, wenigstens in Teilen noch selbstbestimmte Biographie er bis zuletzt eingetreten ist. Ich habe meinen Vater nur sehr selten weinen sehen. Als er mir erzählte, daß Klar auf einer Postkarte um Gnade gebeten hat, die ein Segelschiff zeigte, da weinte er. Er hat das Maß der Sehnsucht nach Freiheit, das er aus diesem Motiv herausgelesen hat, nur schwer ertragen. Seinen diskreten Bemühungen um eine Begnadigung des Gefangenen blieb der Erfolg versagt. Das hat er nicht mehr erleben müssen. Es war uns, seiner Familie, vergönnt, ihm an seinem Todestag – an dem er sich zum letzten Mal nach dem Stand der Dinge erkundigte – wahrheitsgemäß zu sagen, die Angelegenheit sei noch nicht entschieden. Das ist sie, wenn man so will, noch immer nicht. Nichts ist endgültig, solange Menschen leben. »Nicht entschieden« – das Gnadengesuch liegt nach wie vor unter den Akten des Bundespräsidenten, inzwischen denen des Nachfolgers von Johannes Rau, Horst Köhler. Die Bemühungen um die Freilassung von Christian Klar und den anderen noch Inhaftierten aus der vor Jahren aufgelösten RAF gehen weiter. Sie haben mich als Mitglied eines zu Anfang der 90er Jahre von der IG Medien Hamburg zu diesem Zweck gegründeten Arbeitskreises und als Betreuer von Christian Klar mit Günter Gaus zusammengeführt – wenige Wochen nach der Sendung »Zur Person«, die am 12. Dezember 2001 in einer der Besuchszellen der Justizvollzugsanstalt Bruchsal aufgenommen worden war. Das Interview gab dem in der Öffentlichkeit bis dahin kaum noch Wahrgenommenen Gesicht, Stimme und Ausdruck: wie durch einen Riß in den Mauern des festungsähnlichen Baus (errichtet 1848) jemand mit »Menschenantlitz wie wir« (Brecht). Daß es Günter Gaus aber um mehr ging – nicht weniger als die Freilassung von Christian Klar – erwies sich, als er sich erneut und wiederholt bei ihm einfand, als Besucher wie andere auch, jede Vergünstigung ablehnend. Beim letzten Besuch, in der Hitze des Hochsommers 2003, gesteigert noch durch das aufgeheizte Mauerwerk, fand der Gefangene »unzumutbar«, was sich sein Besucher abverlangte. Warum und in welchem Sinn er sich für den Gnadenerlaß einsetzte, erläuterte er bei unserem ersten Treffen, als wir uns über die unterschiedlichen Gründe für unseren »gemeinsamen Versuch« verständigten, fast wörtlich so, wie er es in seinen Erinnerungen darlegt, wenn er den von ihm geprägten Begriff von der »Gnade der späten Geburt« erläutert: Wäre ich nicht 1929 geboren worden, sondern zehn Jahre früher – wie hätte ich mich denn verhalten als Scherge in Bergen-Belsen? Oder, dieses Entsetzen drang etwas später in mein Bewußtsein, an der Rampe in Auschwitz? Könnte ich meine Hand für mich ins Feuer legen? Helmut Kohl, übrigens, hat das Wort von der Gnade der späten Geburt in einer Rede in Israel Anfang 1984 benutzt, als sei es von ihm (…) nicht nur entlehnt, sondern auch falsch verstanden, und als Text eines Ablaßzettels mißbraucht. Statt dessen sollte sie (die Metapher; R.B.) in streng lutherischem Sinne eine Gnade bezeichnen, die keine Schuld tilgt, nicht erworben werden kann, sondern unverdient gewährt wird. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Günter Gaus verabscheute wahrheits- und geschichtsverfälschende Gleichsetzungen mit dem Nazireich, ob der DDR oder der RAF. Den zitierten Sätzen folgten im Gespräch die Überlegung, wie er sich wohl nach 1968 verhalten hätte, wenn er zwanzig Jahre später zur Welt gekommen wäre, und die Infragestellung seiner Überzeugung von der Unantastbarkeit des Gewaltmonopols in einem demokratischen Staat: Er sei »heute im Grunde überzeugt, daß wir unterwegs sind in eine böse Zukunft«. Hinzu kommt, was sich leitmotivisch in seinen Erinnerungen wiederholt, zusammengefaßt im Nachwort seiner Tochter: … die bedingungslose Solidarität mit denen, die er für schwächer hielt als sich selbst. Und vor allem für schwächer als jene, die er als die privilegierte Schicht seiner eigenen, westdeutschen Gesellschaft betrachtete (…), die Bereitschaft zu Loyalität und Verständnis gegenüber Menschen, deren Verhalten und Überzeugungen er für falsch hielt. Freilassung der politischen Gefangenen wäre Voraussetzung für die ausstehende gesellschaftliche Auseinandersetzung mit ihnen und ihrer Geschichte, die, wie immer wir sie bewerten, auch Teil unserer eigenen Geschichte ist. Im Herbst 2002, als das zweite Jahrzehnt der Haft von Christian Klar endete, gab ich an Günter Gaus weiter, was wir im gewerkschaftlichen Rahmen erklärt hatten: »Wir können nicht sagen: unterwirf Dich, weil wir den bestehenden gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnissen unterworfen sind wie Du und sie vorerst nicht verändern können (am allerwenigsten durch Wünsche und Agitation); wir sagen: wenn bei einigen von denen, die politische Macht und Einfluß haben, noch Solidarität und Menschlichkeit lebendig sind: Entlaßt Christian Klar in die Freiheit, er ist keine Gefahr mehr.« 22 Jahre ist Christian Klar jetzt in Haft.
Günter Gaus: »Widersprüche – Erinnerungen eines linken Konservativen«, Propyläen/Ullstein Buchverlage, 380 Seiten, 25,-; empfehlenswert auch das Buch von Bettina Gaus: »Frontberichte – die Macht der Medien in den Zeiten des Krieges«, Campus Verlag, 200 Seiten, 19,90 – eine Darstellung zunehmender Abhängigkeit der (Kriegs-)Berichterstattung von Auftraggebern und politischen Machthabern anhand eigener Erfahrungen; Kontakt in Sachen Christian Klar: Arbeitskreis für politische Gefangene, ver.di Hamburg, FB 8, OVV, Besenbinderhof 60, 20095 Hamburg
Erschienen in Ossietzky 23/2004 |
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